alleinerziehend, Gesellschaft, Politik

Drei Frauen. Beeindruckende Alleinerziehende und ihre Geschichte

Alleinerziehend ist offiziell, wer ohne Hilfe einer anderen erwachsenen Person mindestens ein Kind unter 18 Jahren großzieht. Der Begriff ist relativ neu, die Lebensform nicht unbedingt. Mich hat interessiert: Gab es schon früher beeindruckende allein- und getrennt erziehende Mütter, von denen es sich zu berichten lohnt? Hier stelle ich drei davon vor.

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Gesellschaft, Kunst, Persönliches

Wovon wir träumten

Wovon wir traeumten von Julie Otsuka

120.000. 

Die Einwohner einer Stadt wie Göttingen oder Wolfsburg: von einem Tag auf den anderen in riesige Gefangenenlager gepfercht, ihrer Wohnungen, ihres Einkommens, ihrer Berufe und Besitztümer beraubt, ohne Anklage und juristische Begründung. Männer, Frauen und Kinder. Dies alles ereignet sich in einer Demokratie, aufgrund eines einzigen Kriteriums: der Herkunft dieser Menschen.

Sie verschwinden wie Geister

Unmöglich? Und doch so geschehen 1942, in den Vereinigten Staaten von Amerika. 120.000 japanische Gastarbeiter und ihre Familien wurden zunächst als „unwanted aliens“, unerwünschte Fremde, diskriminiert und isoliert und schließlich jahrelang in riesigen Gefangenenlagern festgehalten und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Das alles ohne nennenswerten Protest ihrer Nachbarn, Arbeitgeber, Freunde und Bekannten. In den Geschichtsbüchern bleibt das Geschehen für Jahre eine Randnotiz, erst Ende der 1980er Jahre wird es thematisiert, werden Gedenkstätten an den Orten der Lager errichtet.

Julie Otsuka schreibt in ihrem Roman „Wovon wir träumten“ über dieses eigentlich unglaubliche Geschehen. Tatsächlich wirkt die Umsiedlung der Japaner in die Gefangenenlager in den letzten zwei Kapiteln ihres Werkes zugleich real und wie ein böser Traum: 

„Einige von uns gingen weinend. Und einige von uns gingen singend. Eine von uns hielt sich hysterisch lachend die Hand vor den Mund. Einige von uns gingen betrunken. Andere von uns gingen schweigend, mit hängenden Köpfen, betreten und verschämt.“

Da mir dieses Kapitel US-amerikanischer Geschichte vor dem Lesen des Buches tatsächlich unbekannt war, musste ich mich erst informieren, ob es wirklich geschehen sein konnte, dass zehntausende Menschen von einem Tag auf den anderen aus amerikanischen Metropolen verschwanden wie Geister: 

„Die Japaner sind aus unserer Stadt verschwunden. Ihre Häuser sind jetzt mit Brettern vernagelt und leer. Ihre Postkästen quellen inzwischen über. Ungelesene Zeitungen liegen verstreut auf ihren absackenden Veranden und in ihren Vorgärten. Verlassene Autos stehen in ihren Auffahrten. Dickes knolliges Unkraut sprießt auf ihrem Rasen. In ihren Gärten welken die Tulpen. Streunende Katzen streifen umher. Letzte Waschladungen hängen noch immer auf der Leine. In einer ihrer Küchen – in der von Emi Saito – klingelt unablässig ein schwarzes Telefon.“

Hoffnung und Erwartung

Der Roman beginnt jedoch ganz anders, nämlich mit den Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen tausender junger Japanerinnen, die per Schiff nach Amerika übersetzen, um dort die Bräute japanischer Gastarbeiter zu werden. Was die jungen Frauen nicht ahnen: die schmucken Bilder und blumigen Versprechungen ihrer Ehemänner entpuppen sich als dreiste Lüge. Statt an der Seite stattlicher Gentlemen werden sie die nächsten Jahrzehnte als Frauen bitterarmer Landarbeiter verbringen und auf den Feldern weißer Plantagenbesitzer schuften. Ihre Ankunft in den USA gestaltet sich entsprechend: 

„Wir zogen an ihre Stadtränder, wenn sie uns ließen. Und wenn nicht – Sieh zu, dass der Sonnenuntergang dich in diesem County nicht findet, war auf manchen ihrer Schilder zu lesen -, fuhren wir weiter. Wir wanderten in ihren heißen, trockenen Tälern – dem Sacramento, dem Imperial, dem San Joaquin Valley – von einem Camp zum nächsten, und Seite an Seite mit unseren neuen Ehemännern beackerten wir ihr Land.“

Otsukas Stil ist faszinierend: Der Rhythmus ihrer Sätze, von denen jeder zweite eine Geschichte in der Geschichte zu erzählen scheint, trägt mich als Leserin durch den Roman. Schönes steht neben Schockierendem, Liebreiz neben Brutalität:

„Das erste Wort in ihrer Sprache, das man uns beibrachte, war Wasser. Ruf es ganz laut, sagten unsere Ehemänner, sobald du dich schwach fühlst auf dem Feld. „Lern dieses Wort“, sagten sie, „und rette dein Leben.“ Die meisten von uns lernten es, doch eine von uns – Yoshiko, die hinter hoch ummauerten Innenhöfen in Kobe von Ammen großgezogen worden war und noch nie in ihrem Leben einen Grashalm gesehen hatte – lernte es nicht. Nach ihrem ersten Tag auf der Marble Ranch ging sie zu Bett und wachte nicht mehr auf. „Ich dachte, sie schläft“, sagte ihr Mann. „Hitzschlag“, erklärte der Boss.“

Eine der im Klappentext zitierten Rezensionen nennt den Roman „poetisch und fesselnd“ – ja, das ist er tatsächlich. In Zeiten Donald Trumps und seinen Ausfällen muslimischen und mexikanischen Einwanderern gegenüber empfinde ich das Buch aber auch als sehr politisch. Bei seinem Erscheinen 2011 („The Buddah in the Attic“ im Original) nahm es gewissermaßen voraus, was sieben Jahre später erschreckend real ist. 

Ganz klar: ein tolles Buch – auch in der deutschen Übersetzung sehr lesenswert!

Herzlich, Sunnybee 

Julie Otsuka: Wovon wir träumten. Goldmann, 2014 (1. Auflage Taschenbuch; 2011 im englischen Original erschienen).

PS. Der aus „Star Trek“-Filmen als Lieutnant Sulu bekannte Schauspieler George Takei wurde als Kind übrigens in einem solchen US-Gefangenenlager interniert. Einen interessanten Artikel dazu findet ihr hier: Lieutnant Sulus Mission.

 

Beruf, Familie, Gesellschaft, Politik

Die Richterin der Frauen: Erna Scheffler, erste Richterin am Bundesverfassungsgericht

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(C) Bundesregierung / Rolf Unterberg

Lust auf eine Powerfrau?

Dann lest hier über eine Juristin, die sich in ihrer Jugend nicht nur Abitur und Staatsexamen hart erkämpfen musste, sondern als erste Richterin überhaupt am deutschen Bundesverfassungsgericht tätig war. 

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“

Ohne sie würde ich heute vermutlich nicht meinen Beruf ausüben und könnte dadurch, getrennt lebend, meinen Sohn und mich finanzieren. Ich würde vielleicht auch nicht mit entsprechendem Selbstvertrauen meinen männlichen Kollegen gegenüber das Wort ergreifen, im Bewusstsein dessen, was das Grundgesetz seit 1949 in Artikel 3, Absatz 2 formuliert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Und nicht zuletzt würde mein Sohn mit völlig anderen Rollenbildern aufwachsen: Mama am Herd, ohne eigenes Konto, Papa als der „Entscheider“, der das Leben außerhalb des Hauses regelt. So führt er sein (Puppen-) „Baby“ ebenso selbstverständlich mit dem Kinderwagen aus, wie er mit seinem (Spielzeug-) „Motorrad“ zur „Arbeit“ flitzt und ich bin in seiner Vorstellung genauso klar berufstätig und für das Geldverdienen verantwortlich wie sein Vater. 

Pionierin Dr. Erna Scheffler

Ein Kompliment also an Dr. Erna Scheffler, von 1951 bis 1963 erste Richterin am Bundesverfassungsgericht. Im Spiegel habe ich vor kurzem einen sehr interessanten Artikel über sie gelesen („Fünf Wörter“), der mir noch einmal bewusst machte, welche kurze Zeitspanne eigentlich seit dem Moment verstrichen ist, als Männer und Frauen qua Gesetz gleichberechtigt wurden.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“: Dieser Satz, 1949 von der Juristin und SPD-Abgeordneten Elisabeth Selbert durchgefochten, wäre ohne Frauen wie Richterin Scheffler vielleicht heute noch eine leere Floskel. Erst 1953 erreichte sie mit Entschlossenheit und Beharrlichkeit ein Urteil, das den bis dahin umstrittenen Gleichberechtigungs-Passus im Grundgesetz als rechtmäßig und damit auch für Entscheidungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als verbindlich definierte. 

Diskriminierung in der Familie ist illegal

Nach diesem Grundsatzentscheid waren Urteile, die den Familienvater allein aufgrund seines Geschlechts zum Entscheidungsträger und „Oberhaupt“ der Familie erklärten, ungesetztlich, die bis dahin gesellschaftlich akzeptierte Diskriminierung von Frauen in Ehe und Familie wurde illegal. 

Dass das alles erst 65 Jahre her ist, verblüfft mich immer noch. Und zugleich ist auch heute vollständige Gleichberechtigung z.B. bei Gehaltsverhandlungen oder im Steuerrecht ja noch längst nicht selbstverständlich. Aber Frauen sind mit großem Selbstbewusstsein auch in akademischen Berufen tätig und viele Mütter verdienen ihr eigenes Geld, was ihnen im Fall partnerschaftlicher Konflikte oft erst den Schritt zur Trennung ermöglicht. Zugleich erhalten auch Väter die Möglichkeit zu einem neuen Rollenverständnis: Seit 1953 ist der Mann auch vor dem Gesetz nicht mehr vor allem Ernährer und Entscheider, sondern darf gleichberechtigtes Mitglied der Familie sein und z.B. eine Bindung zu seinen Kindern aufbauen, die über Abendspielstunden und Wochenendfreizeit hinausgeht. Die Elternzeit, die allmählich auch immer mehr Väter in Anspruch nehmen, ist sicher ein (richtiger und wichtiger) Schritt in diese Richtung. 

Mehr Raum für Männer und Frauen

Somit haben die „fünf  Wörter“ Elisabeth Selberts („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“), die Richterin Scheffler in ihrem Grundsatzurteil bestätigte, nicht nur das Potential, Frauen zu stärken und sie ihrer Rechte zu versichern, sondern weiten auch den Raum, der sich für Männer auftut: das Recht auf beruflichen Erfolg und finanzielle Unabhängigkeit gilt seit 1953 für beide Geschlechter, aber auch das Recht auf elterliche Fürsorge und innerfamiliäres Engagement. 

Danke Ihnen, Richterin Scheffler! 

Herzlichen Gruß, Sunnybee

Zum Weiterlesen: 

Elisabeth Selbert als „Mutter der Gleichberechtigung“ (Die Zeit online)

Dr. Erna Scheffler am Bundesverfassungsgericht (STB Web)

Initiative zur gesetzlichen Stärkung von „Care“-Arbeit in Familie und Beruf (Online-Petition)