alleinerziehend, Familie

Schatzkiste für kleinste Familien: Impulse für das Leben allein mit Kind (3)

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Folge 3: Typisch Mann. Typisch Frau. Welche Rollenbilder und Klischees geben wir an unsere Kinder weiter?

“Papa ist stark, schmusig und lieb. Er trinkt gern Milch und isst gern Süßes.“ So beschrieb mein Sohn kürzlich seinen Vater. Tja… das sind offenbar die Kriterien, auf die ein Vierjähriger achtet. Ich musste lachen und dachte insgeheim, dass die Kombination aus „stark und schmusig“ eigentlich nicht die schlechteste ist. Und schon bin ich mittendrin im Thema „Männer- und Frauenbilder“, die wir als Mütter und Väter an unsere Kinder weitergeben. Dadurch, welche Eigenschaften wir Mädchen und Jungs, Männern und Frauen, zuschreiben, wie wir über das eigene und das andere Geschlecht reden, aber vor allem durch unser Vorbild. Wer sind wir selbst als Frau oder Mann? Und was für ein Modell des Frau- und Mann-Seins vermitteln wir unseren Kindern?

Bei Alleinerziehenden und in getrennt lebenden Familien kommt ja oft hinzu, dass der andere Elternteil wenig präsent ist. Manchmal wachsen Kinder ganz ohne ihren Vater (selten: ohne ihre Mutter) auf. Aber natürlich entsteht auch hier ein Bild des Männlich- oder Weiblich-Seins. Und natürlich prägen auch nicht nur wir Eltern das Rollen- und Geschlechterbild unserer Kinder, sondern zahlreiche andere Bezugspersonen wie Großeltern, Erzieherinnen und Erzieher, nahe Freunde der Eltern und natürlich die Freunde der Kinder selbst. Können wir beeinflussen, was für unsere Kinder „typisch Mann“ oder „typisch Frau“ wird? Und wollen wir das überhaupt? Ein spannendes Thema, dem Bernadette Conrad und ich uns in unserer heutigen „Schatzkiste für kleinste Familien“ widmen.

Wer wir sind?

Bernadette Conrad, Mutter einer inzwischen 19-jährigen Tochter, erfolgreiche Autorin (u.a. „Groß und stark werden. Kinder unterwegs ins Leben“, „Die kleinste Familie der Welt“) und seit Geburt ihrer Tochter alleinerziehend und Sarah Zöllner, Mutter eines vierjährigen Sohnes, getrennt erziehend und seit kurzem ebenfalls Autorin ihres ersten Buches („Alleinerziehend – und nun? Texte der Stärkung bei Trennung und Verlust“).

Bernadette:

Bernadette Conrad, deutsche Autorin

Ich gebe zu: Ich war glücklich, als ich während der Geburt den Satz hörte: „Es ist eine Tochter.“ Der Grund: Ich traute es mir eher zu, eine Mädchen- als eine Jungsmutter zu sein. Zwar war ich mit Brüdern aufgewachsen, aber die Mädchenwelt (ja, tatsächlich, inklusive Puppen, viel Verkleiden und Theaterspielen, inklusive endloser Freundinnengespräche) lag mir doch viel näher als die von Fußball und Wildwestspielen, – um Zocken ging es Anfang der Nuller Jahre, als meine Tochter geboren wurde, noch nicht so sehr.

Tja. Und nun stecke ich schon mitten drin in der Falle der Fragestellung, bin geradewegs hineingerannt. Habe die Klischees bestätigt, die über Mädchen- und Jungenspiele, über weibliche und männliche Sozialisation seit langen Jahren existieren…

Wobei ich heute glaube, dass ich – hätte ich denn einen Sohn bekommen – die meisten Dinge genau gleich gemacht hätte, wie ich sie mit meiner Tochter gemacht habe: viel vorgelesen. Viel Alltägliches besprochen. Viel nach draußen gegangen und Wetter gespürt. Das Kind an meiner Lebenswelt als (oft reisende) Journalistin teilhaben lassen. Mit ihm alle möglichen Sportarten „abgeklappert“, bis die richtige gefunden war (meine Tochter durfte alles probieren, worauf sie Lust hatte, musste dann aber ein Jahr durchhalten – abbrechen ging nicht). Von BUND-Jugend über Pfadfinder eine Gruppe finden, mit der das Kind nah an der Natur älter werden kann.

Als ich mit meiner Zweijährigen alleinerziehend wurde, war mir schnell klar, dass man es nicht schaffen kann, Mutter und Vater zugleich zu sein. Ich würde eine Mutter sein (und war es), die kochte und buk, die tröstete und zuhörte und versuchte, so präsent zu sein wie möglich, – die aber zugleich ihre Arbeit so ernst nahm wie ihr Kind, die teils auch nachts arbeitete, und die auch mit den Grenzen des Machbaren („Jetzt muss ich an den Schreibtisch“) konfrontierte, und auch damit, dass diese Grenzen des Machbaren oft mit knappem Geld zu tun hatten. Typisch alleinerziehend also.

Inklusive jener Grenze, dass ich eben nicht auch Mann, nicht auch Vater war. Für das Männerbild, das meine Tochter entwickeln würde, würden weniger ich als die Männer in ihrer Lebenswelt zuständig sein. Und hier gehört mein Dank einigen Freunden, die sehr liebevoll und vor allem treu diese Aufgabe übernahmen. Es gab ihren Vater, der allerdings weit weg von uns wohnte, und dem ich in seine Arbeit, diese Rolle zu füllen, so wenig wie möglich hineinpfuschen wollte. Was auch bedeutete: Ihn nicht groß zum Thema in unserem gemeinsamen Alltag und unseren Gesprächen zu machen.

Mein Fazit aktuell, als Mutter einer 19jährigen, ist: Was Rollenbilder und Klischees betrifft, haben wir Alleinerziehenden eigentlich ziemlich gute Karten! Ob Sohn oder Tochter – unsere Kinder werden uns als kompetente Mutter (oder Vater) kennenlernen: Da alleinerziehend, müssen wir, ob wir wollen oder nicht, lernen, eine große Bandbreite an Aufgaben zu übernehmen und an Fähigkeiten zu entwickeln. Und wir müssen, finde ich, die Größe haben, jenen Teil, den wir – qua Geschlecht – nicht ausfüllen können, jenen andersgeschlechtlichen Erwachsenen in ihrem Umfeld zuzutrauen, die dazu bereit sind.

Das ist alles sehr anstrengend – aber wenn ich es mir recht überlege, auch ziemlich cool!

Sarah

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In der Schwangerschaft erfuhr ich: „Es wird ein Junge!“ In diesem Moment hatte ich, ehrlich gesagt, gemischte Gefühle. Ich war mit einer Schwester aufgewachsen, hatte immer mehr enge Freundinnen als Freunde gehabt – und jetzt sollte ich einen kleinen Jungen ins Leben begleiten? Mein Kind, ein Teil von mir, und doch ganz anders als ich?

Und ich kann es vorwegnehmen: bereits heute, mit knapp fünf  Jahren, ist mein Sohn tatsächlich anders als ich es in diesem Alter war – und auch anders als meine fast gleichaltrige Nichte. In gewisser Weise erfüllt er die Klischees des „Junge-Seins“: er schraubt gerne Dinge auseinander und untersucht ihre Funktion, ist sehr körperlich, rangelt und rauft gern und ist immer für einen Wettbewerb oder ein Kräftemessen zu haben. Aber er umsorgt auch liebevoll seine Kuscheltiere, wir erzählen einander Geschichten, er liebt Rollenspiele und redet inzwischen wie ein Buch.

Und er konfrontiert mich täglich damit: welche Rollenbilder und Klischees habe ich selbst im Kopf? Wie reagiere ich darauf, wenn er mit mir kämpfen – und wie, wenn er mit mir kuscheln – will? Was davon tue ich wiederum aus meiner Erfahrung und Sozialisation als Frau heraus und was einfach aus persönlichen Vorlieben?

Im Kindergarten hat mein Sohn nur Frauen als Erwachsene um sich. Und leider lebt auch nur noch einer seiner Opas. Über viel männliche Verwandtschaft verfügen wir ebenfalls nicht. Umso wichtiger finde ich, dass sein Vater sehr präsent in seinem Leben ist. Die beiden haben früh ein enges Band geknüpft, dass auch nach unserer Trennung nicht abriss. Ich merke, wie wichtig es für unseren Sohn ist, dass sein Vater ihm – wie ich – ein facettenreiches Geschlechterbild vorlebt. Die beiden rangeln und toben, aber sein Vater kocht eben auch für ihn, ist da, wenn er sich weh getan hat, bringt ihn ins Bett und kuschelt mit ihm. Vielleicht ist ihre Beziehung auch dadurch so intensiv, dass die zwei sehr viel Zeit allein zu zweit verbringen. Die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben und Verhaltensweisen an den anderen Elternteil zu delegieren ist dadurch einfach nicht so groß.

Ich bin gespannt, wie das wird, wenn unser Kind in einigen Jahren in die Pubertät kommt: wird er ein pupsender, wortkarger und dauerzockender Jugendlicher werden oder ganz andere Wege gehen, während er seine Rolle als Mann entdeckt? Und wie wird es sein, wenn er erwachsen ist? Was für eine Partnerin oder was für einen Partner wird er sich suchen? Wie wird er sein Leben als Mann gestalten? Werden wir lange Gespräche führen, wie ich es heute mit meiner Mutter tue – oder wird er mir eher als Liebesbeweis das Badezimmerschränkchen an die Wand montieren?

Ich merke es bereits jetzt: die Erwartungen „typisch Mann“, bzw. „typisch Frau“ greifen viel zu kurz, um einen Menschen in seiner ganzen Persönlichkeit zu beschreiben. Was macht mir Freude, was geht mir leicht von der Hand – und welche Qualitäten muss ich erst noch entwickeln? Wie will ich mein Leben leben, wie Beziehungen gestalten? Was ist mir wichtig? Während er das herausfindet und für sich mit Leben füllt, will ich meinen Sohn begleiten. In den nächsten Jahren auf jeden Fall – und, als Erwachsene auf Augenhöhe, hoffentlich auch. Eine große Aufgabe, ganz unabhängig von seinem Geschlecht. Ich freue mich drauf!

Und ihr? Wie lebt ihr das Mutter- oder Vater-Sein – mit euren Kindern? Habt ihr Rollenbilder und -klischees im Kopf, die ihr weitergebt oder die ihr gerade zu widerlegen versucht? Wie habt ihr selbst als Sohn oder Tochter gelebt und was für ein Leben wünscht ihr euch für eure Kinder?

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Unsere nächste Schatzkiste?

Unsere nächste „Schatzkiste für kleinste Familien“ findet ihr hier im Blog am 04. September 2020 (immer am ersten Samstag im Monat). Das Thema: „Zocken und Matschburgen bauen – Kinder zwischen Medien und Natur“ Wir freuen uns auf euch!:-)

Bereits erschienen:

Folge 1 „Flexibilität“ (Juni 2020)

Folge 2 „Streiten mit Kind“ (Juli 2020)

Herzlich: Sarah und Bernadette

 

 

 

 

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