alleinerziehend, Familie

Die kleinste Familie der Welt. Vom spannenden Leben allein mit Kind (Buchrezension)

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Zwischen den Jahren habe ich endlich wieder einmal die Zeit, mich in ein Buch zu vertiefen. Ich greife zu einem, das schon lange auf dem „Zu-Lesen“-Bücherstapel auf meinem Nachttisch liegt. 2016 hat Bernadette Conrad, Reisejournalistin und Autorin, das Buch veröffentlicht, das einen Einblick in ihr Leben als alleinerziehende Mutter ihrer damals 14-jährigen Tochter gibt. Aber sie beschränkt sich nicht auf das Leben ihrer „Zweier-Familie“, sondern macht sich auf zu acht weiteren Alleinerziehenden mit ihren Kindern, die ihr ihre Tür – und ein Stück weit ihr Leben – öffnen.

Ihrer Erzählung zu folgen, vom Bodensee nach Kalifornien, nach Finnland, Großbritannien oder Berlin, wo die von ihr porträtierten Familien wohnen, ist für mich, als gehe ich selbst auf eine Reise. Ich lese, wie Mütter und ihre Töchter und Söhne (nur eine der porträtierten Familien besteht aus einem alleinerziehenden Vater mit seinem Kind) ihr Leben meistern. Wie sie Konflikte und zum Teil existenzielle Bedrohungen überstehen, ohne dabei hart zu werden. Die hier feinfühlig beobachteten und beschriebenen Familiengefüge sind jedes in seiner Weise zerbrechlich und stark zugleich.

Ich bin dein Ein und Alles – auch im Streit

Deutlich wird das auch, wenn Bernadette Conrad ihr eigenes Zusammensein mit ihrer Tochter beschreibt und reflektiert. In guten wie auch in konflikthaften Zeiten sind sie ausschließlich aufeinander verwiesen. Conrad beschönigt nichts, wenn sie die Nähe, aber auch die erbitterten Streitigkeiten zwischen ihrer pubertierenden Tochter und sich selbst darstellt. Alle Liebe, aber auch alle Genervtheit, Gereiztheit und Wut richtet sich jeweils auf die einzig verfügbare andere. Mutter und Tochter sind einander alles – und zugleich sieht Bernadette Conrad sich in der Verantwortung, neben Verbindung auch Autonomie zu wahren und anzuerkennen. Ihre Tochter ist auf der Schwelle, ihren eigenen Weg zu gehen. Und sie selbst, in ihren Entscheidungen und ihrer Verantwortung auf sich selbst zurückgeworfen, muss lernen, eben diese Verantwortung auch loszulassen und ihre Tochter ihren eigenen Weg gehen zu lassen. Projektionsfläche für jugendliche Ablösungsprozesse, Halt- und Reibepunkt zugleich zu sein; dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist in der Pubertät ihrer Kinder sicher für alle Eltern nicht leicht. Als Alleinerziehende sieht sich Conrad jedoch zusätzlich damit konfrontiert, dass sie ihrer Tochter wirklich alleine gegenübersteht. Keiner mischt sich ein in diesen engsten Kreis, aber es steht auch keiner stützend und vermittelnd zwischen ihnen.

Zugleich sind Bernadette Conrad und ihre Tochter nicht allein. Ein Netz aus Freunden, Herkunftsfamilie und „Wahlverwandten“ umspannt ihre Kleinstfamilie verlässlich und elastisch zugleich, bietet Halt und auch Raum. Insofern denke ich, dass diese beiden in gewisser Weise mehr Unterstützung erfahren als manche, die in einer, in sich abgeschotteten, Zwei-Eltern-Familie leben. Der kleinste Kreis sind (nur) zwei, aber gehalten und geborgen sind sie in größerer Runde.

Leben zwischen Freiheit und Schutzlosigkeit

Das machen auch die anderen Familienporträts des Buches deutlich: es ist nicht die Lebensform an sich, die Halt – oder Haltlosigkeit – erzeugt, es ist das wirkliche da Sein füreinander. Der stetige Austausch, das nicht nur aufeinander bezogen Sein, sondern auch die Fähigkeit, miteinander wachsen zu können. Viele dieser Familien haben in den unterschiedlichsten Teilen der Welt gelebt und verschiedene Lebensformen ausprobiert. Sich die Freiheit allein mit Kind zu erobern, ist harte Arbeit. Dass in ihr Glück und Stolz, aber auch Überforderung und Not, bis hin zur Existenzangst begründet liegen kann, machen die beschriebenen Familiengeschichten deutlich. Und auch, welche Rolle das Umfeld für die „kleinste Familie der Welt“ spielt. Gibt es eine Herkunftsfamilie, die trägt und unterstützt, oder eher ausschließt und blockiert? Und welche Rolle spielt der Vater (oder seltener, die Mutter) des Kindes, die nicht bei der Familie leben, im Alltag zu zweit? Ist er oder sie nicht existent, ein ferner Bezugspunkt, oder versucht er, wie in einer der porträtierten Familien, das Verhältnis zwischen Mutter und Kind massiv zu stören?

Bernadette Conrad lässt auch nicht die gesellschaftlichen Bedingungen unerwähnt, die das Leben Alleinerziehender erschweren oder erleichtern. Gut verfügbare oder andererseits kaum bezahlbare oder unzureichende  Kinderbetreuung, ein stützendes oder behinderndes Arbeits- und Unterhaltsrecht und nicht zuletzt das gesellschaftliche Klima eines Landes, das alles sind Kriterien, die es einer Kleinstfamilie aus Elternteil und Kind leichter oder schwerer machen können, das Leben zu zweit zu meistern.

Hoffnungsvoll und inspirierend

Der Ton des gesamten Buches ist hoffnungsvoll, ohne die Schwierigkeiten des Lebens als Familie zu zweit zu beschönigen. Autonomie und Schutz, diese „Gegenpole“ eines guten Lebens, sowie der Wille, beides zu vereinen, scheint das Leben der hier porträtierten Familien zu bestimmen. Sie wollen ihren eigenen Weg gehen und sind einander dabei die kleinstmögliche verlässliche Einheit. Es berührt und beeindruckt mich, wie dieser Balanceakt den hier porträtierten Familien offensichtlich gelingt.

Am Ende formen sich in mir viele Fragen, auch zu meiner eigenen Familie. Die Vielfalt der hier dargestellten Lebenswege bringt mich dazu, meine eigene Lebensweise zu überdenken. Klar macht dieses Buch jedenfalls: Auch für die „kleinste Familie der Welt“ gilt, ob das Leben in ihr glücklich oder unglücklich verläuft, geschützt und innerlich frei oder von Zwängen und Ängsten bestimmt, bestimmen die Menschen, die sie gestalten. Ihr Glück hängt nicht von ihrer Lebens- und Familienform ab, sondern von der Haltung, mit der sie dem Leben begegnen.

„Die kleinste Familie der Welt“: Ein inspirierendes Buch, das zu lesen sich auf jeden Fall lohnt!

Herzlich, Sarah

Bernadette Conrad: Die kleinste Familie der Welt. Vom spannenden Leben allein mit Kind. Btb-Verlag, 2016.

[Foto: privat]

6 Gedanken zu „Die kleinste Familie der Welt. Vom spannenden Leben allein mit Kind (Buchrezension)“

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