Ein Satz berührt mich besonders in diesem Buch. Er lautet sinngemäß: „Es gibt nicht nur die bekannte posttraumatische Belastungsstörung, es gibt auch posttraumatisches Wachstum.“ Was bedeutet das für Eltern und ihre Kinder, die nach einer Trennung versuchen, gemeinsam „Familie“ zu bleiben?
Fachkompetenz und persönliche Erfahrung
Marianne Nolde vereint in ihrem gerade erschienenen Ratgeber „Eltern bleiben nach der Trennung: Was Ex-Partner für sich und ihre Kinder wissen sollten“ eine überzeugende Mischung aus Fachkompetenz und persönlicher Erfahrung: einerseits hat sie als Psychologin und Gerichtsgutachterin viele Jahre lang Familien im Prozess ihrer Trennung begleitet, andererseits hat sie selbst mit zwei kleinen Söhnen die Trennung von ihrem damaligen Ehemann erlebt.
Entsprechend reflektiert und zugleich empathisch geht sie auf die Aspekte ein, die Eltern nach einer Trennung beschäftigen: wie gehe ich mit der Trauer meines Kindes und mit eigenen Gefühlen der Hilflosigkeit, der Wut oder des Misstrauens um? Was bedeutet es, wenn ich mich zunehmend als Opfer wahrnehme (bzw. den oder die andere/n als Täter/in) und wie komme ich aus dieser Haltung wieder heraus? Wie kann es uns auch nach einer Trennung gelingen, sinnvoll zu kommunizieren und wie finden wir Lösungen zum Wohl unseres Kindes? Was ist überhaupt das Beste für unser Kind? Und ganz praktisch: welche Formen des Umgangs gibt es und was spricht für oder gegen sie? Wie gehe ich mit neuen Partner/innen meines Expartners, bzw. meiner Ex-Partnerin um? Und wir lebe ich nach der Trennung als Familie in einer Patchwork-Konstellation?
Klare Aussagen – aber kein Patentrezept
Zahlreiche Fragen, auf die Nolde in rund zwanzig klar gegliederten Kapiteln eingeht. Erfreulich konkret – mit Beispielen aus ihrer beruflichen Praxis sowie ihrer eigenen Familie – und zugleich mit genügend professioneller Distanz, um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, nämlich dass eine Trennung nicht bloß den Verlust einer heilen Familie oder das persönliche Scheitern bedeuten muss, sondern die Möglichkeit sein kann, Elternsein tatsächlich neu zu gestalten. Im besten Fall so, dass für alle Beteiligten daraus Gutes – oder zumindest Annehmbares – entsteht und die Kinder sich auch mit getrennt lebenden Eltern sicher und geborgen fühlen.
Besonders überzeugt mich, dass die Autorin immer wieder deutlich macht, dass auch sie als „Fachfrau“ keine Patentlösungen zu bieten hat, dass es gar nicht den einen richtigen Weg geben kann, da jede Familie – ob getrennt oder nicht – andere Bedürfnisse hat. So bezieht Nolde z.B. nicht pauschal Position für oder gegen eine bestimmte Umgangsform nach der Trennung. Vielmehr macht sie deutlich, dass sowohl das Wechsel-, als auch das Residenzmodell – und gegebenenfalls auch das Nestmodell, bei dem beide Elternteile von ihrer eigenen Wohnung aus in eine „Familienwohnung“ pendeln, in der die Kinder dauerhaft leben – dass also jede Umgangsform sinnvoll sein kann, insofern sie dem Wohl der Kinder dient und auch die Eltern gut damit leben können.
Die Fähigkeit, das eigene Leben zu gestalten
Ebenfalls gefällt mir, dass die Autorin immer wieder die Selbstwirksamkeit betont, mit der wir unser Leben auch nach einer Trennung oder Scheidung gestalten können – und dass sie zugleich nicht unterschlägt, wie „unperfekt“ und wenig hilfreich wir uns in dieser Situation oft verhalten. Eine Trennung ist eine Krisensituation, umso mehr, wenn gemeinsame Kinder daran beteiligt sind, und allzu oft präsentieren wir uns dabei nicht von unserer Schokoladenseite. Mit ihrem Buch zeigt Marianne Nolde dennoch anschaulich, warum es sich lohnt, nicht in Groll oder Selbstmitleid zu verharren, selbst wenn der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin sich destruktiv verhält. Ihrer Meinung nach ist der Preis eines langjährigen Rosenkriegs so hoch, dass sich zumindest der Versuch lohnt einen versöhnlicheren Blick auf diesen Menschen zu entwickeln. Nolde unterschlägt nicht: Der Weg, nach einer Trennung gute Eltern zu bleiben, ist oft hart. Die Bemühung darum lohnt sich jedoch auf jeden Fall, schon allein weil uns mit dem Menschen, von dem wir uns getrennt haben oder der uns verlassen hat, eines verbindet: unser gemeinsames Kind. Und das ein Leben lang.
Insgesamt ein ehrlich empfehlenswertes Buch – für frisch getrennte Eltern ebenso wie für diejenigen, die sich bereits mitten im Scheidungskrieg befinden. Denn wie Marianne Nolde es auf den Punkt bringt: eine Veränderung des eigenen Verhaltens ist zu jedem Zeitpunkt möglich – und manchmal zeigt sich gerade dadurch erst der tiefere Sinn einer Trennung: dass wir an ihr wachsen statt an ihr zu zerbrechen.
[Foto: privat; ich danke dem Verlag für das zu Verfügung gestellte Rezensionsexemplar. Der Beitrag gibt dennoch ausschließlich meine persönliche Meinung wieder und ist keine beauftragte Werbung.]
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