Familie, Gesellschaft, Kunst

Ritter Berthold. Oder: „Der ist ziemlich doof, oder?“

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In loser Abfolge empfehle ich hier im Blog Kinderbuchschätze und Illustrationsschmuckstücke. Mit meinem Sohn (4) arbeite ich mich regelmäßig durch die aktuelle U6-Lektüre. Diesmal erreichte uns ein Werk aus der Pixibuch-Reihe als Nikolauspräsent des Kindergartens. Eigentlich sehr nett. Und doch saß ich wenig später kopfschüttelnd da…

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Kunst, Persönliches

Krokodrillo. Oder: Was macht ein Zoo-Krokodil außerhalb der Öffnungszeiten?

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(C) Krokodrillo

Kinderbücher zu rezensieren ist für mich ein bisschen wie „Urlaub“. Urlaub vom erwachsenen, tendenziell wertenden und/oder zweckgebundenen Denken, von einem Blick auf die Welt, der an der Ebene des Offensichtlichen hängenbleibt, womit sich ihm meiner Meinung nach das Wunder der Welt verschließt. 

Krokodrillo ist ein Buch, das genau dieses leicht Absurde und damit Faszinierende hinter dem Alltäglichen entdeckt. Ein Buch ganz ohne Worte, auf dessen kunstvoll illustrierten Seiten sich dennoch eine komplexe Geschichte entspinnt. 

Was macht ein Zookrokodil außerhalb der Öffnungszeiten?

Krokodrillo beginnt seinen Tag wie jeder ordentliche Arbeitnehmer: der Wecker reißt ihn aus seinem Traum, er gewandet sich in Hemd, Krawatte und Jacket und pendelt mit der Metro zu seiner Arbeitsstätte. Dabei zwängt er sich zwischen den Mitreisenden hindurch zum Ausgang der Bahn, eilt die Treppen der Metrostation hinauf, ersteht ein gebratenes Hähnchen als Mittagessen sowie einen Strauß Blumen (für wen, sei nicht verraten), entkleidet sich schließlich im Umkleidebereich eines Bades (nicht ohne seine Straßenkleidung ordentlich in einem Spind zu verstauen) und tritt auf den letzten Seiten des Buches, nackt wie Gott ihn schuf, seinen Dienst an – als zähnezeigendes, regungslos hinter Glas verharrendes… Zookrokodil. 

Wer hätte das gedacht? Und gerade deswegen ist das Buch ein wunderbarer „Lesespaß“! Wie im Leben entfaltet sich während des Betrachtens und Beschreibens der detail- und pointenreichen Bilder eine immer wieder neue Geschichte. Die äußere Handlung – Krokodrillos Weg zur Arbeit – bleibt gleich, aber die Wahrnehmung seines Weges verändert sich bei jeder Lektüre.

Mein Sohn (3) liebt das Buch und ich auch – Mmmm! 🙂

Giovanna Zoboli und Mariachiara di Giorgio: Krokodrillo. Bohem-Verlag. (Ab 2)

Kunst, Persönliches

Kater Carter fährt zum Nordpol

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In Träumen steht das Unglaubliche oft wie selbstverständlich neben dem Alltäglichen. In diesem Buch auch.

„Draußen schien die Sonne, und es war heiß. Alle Katzen trugen leichte Sommersachen, jagten Schmetterlinge oder rollten im Gras. Nur Kater Carter blieb im Haus und strickte etwas Warmes, denn er bereitete sich auf ein neues Abenteuer vor.“

Ein Kater, der einen Wollpullover strickt, ein Haus, in dem die Temperaturen von Etage zu Etage, die die Protagonisten erklimmen, frostiger werden – 

„Die Fenster auf dem Treppenabsatz waren vereist, und von der Decke hingen lange Eiszapfen wie Zähne herab. Der Boden der Halle war schneebedeckt. Kater Carter schnallte sich seine Tischtennisschläger-Schneeschuhe an die Hinterpfoten.“

Illustrationen in kohlestiftfarbenem Grau, die keinen Anspruch erheben, gefällig zu sein. Vielmehr wecken sie den Eindruck einer prachtvollen und zugleich seltsam unbelebten Welt, die Kater Carter und seine (Menschen-) Freundin Maria mit Entschlossenheit durchschreiten.

Schlittschuhlaufen auf dem Arktischen Meer

Dabei muss Kater Carter den Mut finden, das letzte Stück zum Nordpol, seinem Ziel, ganz allein zu gehen. Als er dieses erreicht, dreht er jubelnd auf Schlittschuhkufen Runden auf der vereisten See, entdeckt dann ein verlassenes, zwischen Eisschollen feststeckendes Segelschiff, das „Katzenschiff“, und liest eine Nachricht, die sein Onkel, „Kapitän Roy“, dort für ihn hinterlassen hat. Diesem scheint bereits vor Verlassen des Schiffs klar gewesen zu sein, dass sein Neffe seine Botschaft entdecken würde. Maria stößt wieder zu Carter, verspricht, ihn auf ihrem Schlitten nach Hause zu bringen, Kater Carter schlummert vertrauensvoll ein – und findet sich zu Marias Füßen auf deren Chaisselonge, im nun eisfreien Salon ihres Hauses, wieder…

Die Erzählung endet so unvermittelt, wie sie begann, viele Frage offen, Kater Carter ganz geborgen und zugleich nur eine Schnauzenspitze entfernt von seinem nächsten Abenteuer: 

„Er hatte einen schönen Traum gehabt: von einer Reise, die er zusammen mit Maria und Onkel Roy machte, um rechtzeitig zur Eisschmelze das „Katzenschiff“ zu erreichen. Er schloss seine Augen. Er hoffte, es wäre bald soweit.“

Kopfschüttelnd, bezaubert und ein wenig perplex, lege ich dieses „Kinder“-Buch zur Seite. Träume bemühen sich nicht, „kindgerecht“ zu sein, dieses Buch ebenfalls nicht. Das macht es zu einem echten Fundstück. 

Tim Wynne-Jones und Eric Beddows: Kater Carter fährt zum Nordpol. Jacoby&Stuart. 

Kunst, Persönliches

Halbkreis Sichel Herz

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Willst du zaubern? Dann blättere in diesem (Kinder-) Buch: ein rautenförmiger Drache wird zum ebenso geformten Straßenschild, das Dreieck einer Pyramide zur dreieckigen Krone einer Tanne und der Halbkreis eines Tunnels zum Kopf eines eben aufgetauchten Wals.

Kingt phantastisch? Durchaus. Und folgt doch nur Geometrie und Farbenlehre: durchsichtige Folien zwischen den Seiten, farbig bedruckt mit jeweils einer geometrischen Form (daher der Titel) lassen sich beim Blättern über das Bild links oder rechts legen. In Kombination mit dem jeweiligen Untergrund entsteht das komplette Bild.

Ganz nebenbei erzählt das Buch die Geschichte eines Pakets auf großer Fahrt: vom Fließband durch die Hände des Packers in einen LKW, dann per Flugzeug durch die Lüfte, im Container weiter per Bahn, per Frachter über See, zurück auf den LKW und durch Wüsten und Wälder zu dem Haus, in dem der Empfänger schon wartet, das Päckchen entgegennimmt, es öffnet und sein Geschenk in Händen hält: ein ….

Aber verfolge den Weg selbst und staune, was Kreis und Quadrat, Sichel, Rechteck und Parallelogramm alles sein können außer geometrischen Formen. Momenteweise ist das tatsächlich – selbst für Erwachsene – ein bisschen wie Zauberei.

Leseprobe:

Gibt’s nicht, da ohne Text.

Patrick George: Halbkreis Sichel Herz. Formen. Moritz Verlag. (Ab 2,5)

 

 

Kunst, Persönliches

Tolle Nachbarn

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(C) Tolle Nachbarn

In Schafstadt geht es gesittet zu: der Polizist dreht seine Runden, alle Nachbarn sind in ihrem jeweiligen Zuhause, Frau Spätzle fegt, Frau Schopf schimpft, weil die Nachbarn über ihr ihren Teppich am offenen Fenster ausklopfen. Alles sehr ordentlich, alles ziemlich grau. Das ändert sich, als die ersten neuen Nachbarn einziehen: ausgerechnet Familie Wolf knattert mit Motorrad samt Beiwagen ins Viertel… Helle Aufregung unter den Schafen! Von Seite zu Seite wird die Nachbarschaft bunter, Familie Affe zieht ein und pflanzt Kletterranken, die Löwes spielen Pingpong auf der Dachterrasse, aus dem Kurzwarenladen am Eck wird die „Bar zum Krokodil“. Das Leben verlagert sich von den Wohnungen auf die Straße, es wird geredet, gelacht, gegessen und gefeiert.

Ein Such- und Wimmelbuch für Kinder, und für Erwachsene eine Parabel mit feinem Humor, darüber, dass Nachbarschaft mehr sein kann als Kehrdienst und eingehaltene Ruhezeiten. Tolle Nachbarn, tolles Buch – in der Tat!:-)

Leseprobe:

„Panik im Viertel! Alle meine Nachbarn kriegen Angst! „Der Wolf ist da! Der Wolf ist da!“, schreit Herr Sesselpups und rennt panisch davon. „Marsch, ihr geht jetzt sofort in die Schule!“, befiehlt der Lehrer, doch seine Schüler finden es hier viel spannender. Und ich bin begeistert: Familie Wolf zieht nämlich in die Wohnung direkt unter mir ein. Endlich mal was Neues!“

Helene Lasserre und Gilles Bonotaux: Tolle Nachbarn. Jacoby&Stuart-Verlag. (Ab 2,5)