
Liebe moderne Väter! Ihr seid großartig. Ihr wechselt Windeln, macht dem Kind bei 40 Grad Fieber Wadenwickel, diskutiert mit uns, wer es wann und wie oft vom Kindergarten abholt und dafür früher bei der Arbeit Schluss macht, wer das Knickjoghurt kauft und den Abfluss reinigt. Daneben wechselt ihr weiter die Autoreifen und spielt euren Chef vor, top vorbereitet und leistungsfähig zu sein, obwohl ihr wie wir nur vier Stunden geschlafen habt. Ihr arbeitet Vollzeit (die Statistik sagt: 93 Prozent von euch), teilt euch den „Mental Load“ zuhause, macht es allen recht – und seid bald so erschöpft wie wir. Liebe moderne Väter – wir Mütter brauchen euch mit im Boot – aber nicht, damit ihr mit uns untergeht.
Denn dieses „Boot“, um im Bild zu bleiben, schippert auf reichlich rauer See. Wo auch auf euch Väter die Erwartungen nur so einprasseln, im Sinn von: „Steh deinen Mann“, „Sei hart im Job und weich zuhause, je nach Bedarf“, „Begleite deine Kinder ins Leben, aber so, dass es im Büro keiner merkt“. „Nimm dir Kinderkranktage – aber bitte nicht gerade jetzt“, „Sei für deine Familie da, aber bis 18 Uhr im Büro“.
Wenn dann irgendwann der Kopf platzt, das Herz zwickt, der Rücken nicht mehr mitmacht (Rücken-Skelett-Erkrankungen sind noch immer eine der häufigsten Ursachen für Krankmeldungen von Männern) – der zweifelt vielleicht auch an sich: bin ich Manns genug? Warum schaffe ich es nicht, das alles zu wuppen?
Ein System, in dem Familie nicht vorkommt
Tja, schlicht, weil auch ihr in einem System feststeckt, in dem Familie eigentlich nicht vorkommt. Trotz Erhöhung des Kindergeldes, mehr Kinderkranktagen pro Elternteil, inzwischen weit reichenden Debatten um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn oft bleibt es tatsächlich genau dabei: beim Reden. Inzwischen ist wohl jedem Chef, der die letzten 20 Jahre nicht hinterm Mond verbracht hat, klar, was Eltern (und nicht nur Mütter) eigentlich brauchen. Nämlich phasenweise mehr Flexibilität bei der Frage, wann und wo sie ihre Arbeit leisten (vor allem, wenn die Kinder noch klein und/oder häufig krank sind), Vertrauen, dass sie ihre Arbeit auch als Mutter oder Vater in Top-Qualität erbringen können – wenn auch vielleicht nicht in Präsenz von 8 bis 18 Uhr. Die verinnerlichte Erkenntnis, dass Kinder Zeit, Kraft und Geld kosten – dass Eltern also wirklich weniger Zeit und Kraft für den Beruf haben, außer, jemand anders übernimmt verlässlich die Betreuung. Dafür begleiten sie – aus ökonomische Sicht – die Arbeitnehmer/innen der Zukunft ins Leben, eine quasi zeitverzögert „Rendite“. Also ist ihre Leistung, auch im wirtschaftlichen Sinn, nur verlagert, nicht verringert. Eltern durch Karriereknicks, dem Zwang zu 40 Stunden-Wochen, wenn sie Vollzeit arbeiten wollen oder müssen und das Uraltbild des immer verfügbaren Arbeitstiers unter Stress zu setzen, ist mehr als unklug – und betrifft eben nicht nur Mütter, die zwischen Kita und Job hin- und herhecheln, sondern auch Väter, die schon wieder ihre Kinder nur kurz vorm Schlafengehen sehen und das gern anders hätten.
Eigentlich ist es offensichtlich: wollen wir Verantwortung und Aufgaben teilen, wollen wir darüber hinaus an Strukturen, die ein künstliches Ungleichgewicht zwischen Müttern und Vätern, Männern und Frauen schaffen, etwas ändern, müssen sich alle Beteiligten bewegen. Und eben in diesem Fall neben Müttern und Vätern auch Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Politikerinnen und Politiker auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Menschen, die darüber entscheiden, wie Arbeitskraft besteuert wird, ob Väter nach der Geburt mehr als einen Tag lang bezahlt Zeit mit ihrer Familie verbringen dürfen oder nicht, ob über eine 30-Stundenwoche ernsthaft diskutiert wird, oder umgekehrt – wie zuletzt wieder – sogar über eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit. Ob schließlich der Papa, der um 15.45 Uhr den Griffel fallen lässt, um sein Kind um 16 Uhr vom Kindergarten abzuholen, im Unternehmen die „coole Socke“ oder der „arme Vati“ ist. Wer dann bei der nächsten Beförderung, dem nächsten Großauftrag, der nächsten Anschubfinanzierung, den Zuschlag erhält.
Wer Veränderung will, muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen
Wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der Väter, genauso wie Mütter, nicht mehr beruflich ausgebremst und diskriminiert werden, nicht mehr in die Erschöpfung getrieben und für ihre Verantwortung innerhalb der Familie durch Altersarmut, Gehaltsknick und Co bestraft werden – wenn wir eine solche Gesellschaft wirklich wollen, müssen wir sie schaffen. So einfach. So offensichtlich (eigentlich). Und gegen so viel Widerstand.
Denn es ist in unserer Gesellschaft auch verdammt rentabel (zumindest auf den ersten Blick), Mütter und Väter immer weiter mit der Mär der selbst gewählten familiären Verantwortung abzuspeisen, deren Konsequenz eben privat getragen werden muss. Es ist – auch von der Gesetzgebung her – für Unternehmen verdammt einfach, Familienfreundlichkeit zu propagieren, aber dann doch die Kandidat/innen einzustellen oder zu befördern, die möglichst unberührt von familiärer Verantwortung erscheinen.
Es ist, wie unser ökonomisches und gesellschaftliches System aktuell funktioniert. Wer für andere sorgt, zahlt dafür einen hohen Preis. Finanziell, gesundheitlich, in Bezug auf sozialen Status. Und das lohnt sich. Für Unternehmen, die (fast) ungebremst die Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter/innen ausbeuten können. Für Interessenvertreter/innen, die davon profitieren, dass Ressourcen aufgebraucht und Gewinne auf Kosten der Umwelt und auf dem Rücken zukünftiger Generationen erwirtschaftet werden. Für diejenigen schließlich, die sich in unserer Gesellschaft, wie sie gerade (noch) funktioniert, tatsächlich so etwas wie Autarkie erkaufen können. Weil sie schon jetzt reich und „abgesichert“ genug sind, um scheinbar für jede Eventualität (und sei es ihre eigene Hilfsbedürftigkeit) vorgesorgt zu haben. Denn Fürsorge hat in unserer Gesellschaft ja nicht nur ihren Preis. Sie ist auch käuflich – und daher ein Wirtschaftsgut.
Wir Mütter allein schaffen es nicht!
Als Mütter erleben wir all diese Mechanismen ganz unmittelbar. Wir werden sie aber nicht alleine lösen können. „Den Systemwandel den Betroffenen zu überlassen, also den jungen Müttern, pflegenden Angehörigen und Pflegekräften, wird nicht funktionieren.“ Das sagen Almut Schnerring und Sascha Verlan, Initiator/innen der Equal Care Initiative und Aktivist/innen für die faire Verteilung und gesellschaftliche Aufwertung von Fürsorgearbeit. Nein, liebe Väter, für echte Veränderung brauchen wir Mütter euch. Und wir Eltern euch kinderlosen oder längst der Kinderbetreuung entwachsenen Entscheidungsträger/innen in Vorstandsetagen und politischen Gremien. Fürsorge zählt und sie zahlt sich aus. Wo sie fehlt oder zu lange gering geschätzt wird, geraten wir als Gesellschaft ins Wanken. Der (Beinahe-) Crash unseres Gesundheitssystems und die Bildungsmisere in unseren Schulen sind nur zwei Beispiele dafür. Fürsorge für andere zu übernehmen ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit, kein Nice-to-have. Aber diesen Wertewandel schaffen wir Sorgenden nicht allein. Daher: Väter und Kinderlose – mit ins Boot! Wir brauchen euch. Wie ihr uns auch.
Mit nachdenklichen Grüßen, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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