Familie, Gesellschaft, Partnerschaft

Warum Erbsenzählen glücklich macht. Wertschätzung in der Familienarbeit

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Kürzlich habe ich einen sehr interessanten Artikel darüber gelesen, wie ein Paar mit (kleinem) Kind versucht, die Aufgaben, die innerhalb einer Familie mit Säugling anfallen, wirklich gleichberechtigt aufzuteilen. Konkret: Wer trägt in welchem Umfang die Last des Schlafentzugs, wenn das Baby in den ersten Monaten nachts 2-4-stündlich (in Krankheitsphasen noch öfter) wach wird? Wer übernimmt welchen Anteil der alltäglichen Mitdenk-, Fürsorge- und (buchstäblich) „Scheiß-Arbeit“ mit Windeltausch, Bettlakenwechsel und Töpfchengang?

Erbsenzählen, also das Aufrechnen der geleisteten Arbeit als mögliche Lösung? Zweimal Bringen zum Kindergarten gegen einmal Abendessenkochen, dreimal nachts Fläschchen gegen einen Nachmittag frei, ein Schulelternabend gegen 2x Fahrdienst zum Fußball usw.? Einerseits erscheint mir das, wenn ich ehrlich bin, penibel, eher unsympathisch und teilweise auch wenig praktikabel. Andererseits trägt das „Wir tun alles gern, ohne es aufzurechnen und für die Liebe“ eben auch nur bedingt, wenn dauerhafter Schlafentzug, ein heruntergefahrenes Immunsystem und Zeitmangel die Nerven und letztlich die Beziehung der Eltern zermürben.

Kämpfe um die Aufgabenverteilung

Aus eigener, leidvoller Erfahrung kann ich sagen: viele Kämpfe zwischen dem Vater meines Sohnes und mir hätte es vermutlich im ersten Lebensjahr unseres Kindes nicht gegeben, wenn wir Zuständigkeiten und die zu erledigenden Aufgaben so exakt aufgeteilt hätten, wie es nach unserer Trennung der Fall war. So mies und schmerzhaft sich das Auseinanderbrechen unserer Beziehung auch anfühlte – es hatte zugleich etwas Befreiendes, klar sagen zu können: das sind die Papazeiten, mit Papas Zuständigkeit – und jetzt ist Mama dran.

Aber ich würde lügen, würde ich behaupten, dass seitdem alle Konflikte zu Friede-Freude-Eierkuchen geronnen sind. Im Gegenteil: der latente Vorwurf „Ich tue so viel und du siehst es nicht“ hängt noch immer manchmal in Diskussionen schwer zwischen uns. Wenig hilfreich sind da Äußerungen im Sinn von: „Soo schwer ist dein Teil der Arbeit ja auch nicht“, meist vorgebracht in Situationen, in denen der eigene Anteil an der Familienarbeit als besonders belastend empfunden wird.

Und hier soll das „Erbsenzählen“ helfen? Verstärkt es nicht noch das Gefühl, sich im ständigen Kampf um ein „Genug“ zu befinden? Ein Genug an Arbeitsentlastung, gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung? Und das, wie gesagt, zu Zeiten, in denen äußere Faktoren wie Schlafentzug, Zeitdruck und Co uns ohnehin spürbar unter Stress setzen und tendenziell den „Kampf- oder Flucht-Modus“ in uns in Gang bringen?

Rechthaberei oder sich einfühlen können?

Natürlich, die Erbsenzählerei kann erst recht das Spiel ums Rechthaben am Laufen halten: „Ich habe jetzt aber schon zweimal…, dafür musst du…“ Aber vielleicht bringt sie auch ganz praktisch Bewegung in die unterschwellig doch noch immer oft starren Glaubenssätze auch „moderner“ Männer und Frauen: „Ein Säugling, der gestillt wird, braucht nachts (= jede Nacht und bei allen nächtlichen Mahlzeiten) seine Mutter“, „eine Frau kann einfach besser Kindergartenverabredungen arrangieren“, „als Mann kann ich mir neben meiner Arbeit nicht noch die Nachmittagstermine meiner Kinder merken“, „als Frau kann ich mich einfach nicht wirklich auf meine Arbeit konzentrieren, wenn mein Kind krank ist“, usw.

Die genaue Aufteilung der zu erledigenden Aufgaben kann allein dadurch Bewegung in das Spiel der Stereotypen und unterschwelligen Erwartungen bringen, dass der Vater, der jede zweite Nacht abgepumpte Milch im Fläschchen gibt, auf einmal weiß, wie sich „Schlaf“ mit fünf Unterbrechungen anfühlt. Oder dadurch, dass er tagsüber in den wirklich harten Phasen einen Großteil der Betreuung übernimmt, bzw. die externe Betreuung organisiert und somit Babysitter-Castings und Klinkenputztouren bei Kinderkrippen aus eigener Anschauung kennt.

Erfahrung nährt Verständnis

Erfahrung nährt Verständnis, so könnte ich als (positives) Fazit meiner bisher knapp fünfjährigen Elternschaft formulieren. Oder, radikaler gesagt, was einem am eigenen Leib schmerzt, das fügt man dem Menschen, den man liebt – oder als Elternteil schätzt – doch meist weit weniger gedankenlos zu.

Erbsenzählerei also als Hintertür zu einer wirklich gleichberechtigten Elternschaft? Über den Umweg des (vermeintlich kleinlichen) Fakten-Checks und gegeneinander Aufrechnens die Erleichterung, endlich weniger mit unausgesprochenen Erwartungen konfrontiert zu sein? Statt dessen die Möglichkeit, die Leistung des anderen tatsächlich wahrzunehmen und damit wertschätzen zu können?

Als Pädagogin würde ich sagen (frei nach John Hattie): „Die Haltung macht’s“! Wie jede Methode ist sie nur so gut wie die Person, die sich ihrer bedient. Will ich Erbsen zählen um meinem Partner, bzw. meiner Partnerin vorzurechnen, was er oder sie alles (noch) nicht tut, ist Kleinkrieg vorprogrammiert. Nutze ich sie jedoch, um mich in seine oder ihre Haut zu begeben und damit letztlich unsere Gemeinsamkeiten wahrzunehmen, kann sie der Weg sein, wie wir als Eltern – und damit als Familie – wirklich zusammen- und vielleicht auch über uns hinauswachsen.

Vor allem macht sie im besten Fall Schluss mit den Stereotypen über Männer- und Frauenaufgaben und grundsätzlich „typisch männliche“ und „typisch weibliche“ Qualitäten. Frauen können genauso gut denken, Geld verdienen, pflegen, fühlen, aber auch herumkommandieren und manipulieren wie Männer. Das wahrzunehmen und diese Haltung zu leben macht für mich ein wirklich gleichberechtigtes Familienleben aus. Der Weg zu dieser Haltung? Die wirklich ehrliche und gerechte Aufteilung der anfallenden Aufgaben jenseits aller Geschlechterklischees und tradierter „Selbstverständlichkeiten“. Das steht nämlich im besten Fall hinter der Erbsenzählerei. Klingt so formuliert doch ziemlich sexy, oder?

Was ist eure Meinung dazu? Ich freue mich wie immer über eure Kommentare!

Herzlichen Gruß, Sarah

[Foto: Pixabay]

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