Vom Cover des Buches sieht sie mich an. Ihr Blick ist schwer zu deuten. Spott? Heitere Nachsicht? Auch eine Ahnung von Schmerz liegt in ihren Zügen. Es ist Françoise Gilot, zehn Jahre lang Lebensgefährtin Pablo Picassos – und die einzige Frau seines Lebens, die ihn, gemeinsam mit ihren zwei noch kleinen Kindern, verließ. Es war wohl eine Flucht.
Mein Held Picasso
Mit Anfang zwanzig lebte ich selbst ein Jahr lang in Paris. Die „Stadt der Liebe“ und zugleich ein Ort harter Kontraste: Armut und soziale Konflikte in den Vororten; beeindruckende Architektur, Kunst und Kultur im Stadtzentrum. Besonders gerne besuchte ich das Picasso-Museum im Künstler- und Homosexuellen-Viertel „Marais“. Die Vitalität der Bilder Picassos sprach mich an, ebenso wie die Vielseitigkeit seiner Arbeiten und – ich gebe es zu – auch als Mann fand ich Picasso faszinierend. Auf Fotos und Portraits wirkte er mal wie ein spielendes Kind, mal wie der Sonnenkönig, um den seine Umwelt kreiste. Pablo Picasso war offensichtlich nicht nur ein beeindruckender Künstler, er war eine Persönlichkeit. So nahm ich es damals wahr.
Die Frauen in Picassos Leben?
Picassos Ehefrau Olga (geb. Olga Stepanowna Chochlowa), seine späteren Geliebten Marie-Thérèse Walter, Dora Maar, selbst eine beeindruckende Künstlerin, und schließlich Françoise Gilot – ich nahm sie als irgendwie „gegeben“ in seinem Leben wahr, sie waren für mich Teil des „Gesamtkunstwerks“ Picasso. Er umwarb sie, malte sie – und verlies sie wieder. Mit Anfang 20 kam ich gar nicht auf die Idee, das zu hinterfragen. Ja, ich machte mir nicht einmal Gedanken darüber.
Die dunkle Seite Picassos
Françoise Gilot beschrieb bereits 1964 in ihrem autobiografischen Werk „Leben mit Picasso“ auch die Untiefen ihrer Beziehung. In „Die Frau, die nein sagt“ finden sich daraus mehrere Textpassagen. So habe Picasso sie getadelt bis zur Erniedrigung und sich danach darauf hinausgeredet, es sei alles nur ein Spiel:
„Ich sage doch immer Dinge, die ich nicht meine. Du solltest das wissen. Wenn ich dich anschreie und dir unangenehme Dinge sage, dann tue ich das, um dich abzuhärten. Ich möchte, dass du wütend wirst, schreist und mir eine Szene machst, aber das tust du nicht. Du schweigst mich an, wirst sarkastisch, ein wenig bitter, zurückhaltend und kalt. Ich möchte einmal erleben, dass du aus dir herausgehst, dich gehen lässt, lachst, weinst – mein Spiel spielst.“ (Zitat aus „Mein Leben mit Picasso“)
Mich schockiert daran der kühle, fast sezierende Blick, den der Maler offensichtlich auf seine Lebensgefährtin hatte. Er wollte, dass sie „sein Spiel“ mitspielte und ihre Art, ihren Schmerz zu zeigen, weckte in ihm kein Mitgefühl, vielmehr kritisierte er sie noch zusätzlich, weil sie dabei nicht seinem Bild einer „leidenschaftlichen Frau“ entsprach.
Bei ihrer Trennung prophezeite er ihr ein Leben für immer in seinem Schatten:
„Du bildest dir wohl ein, dass sich die Leute für dich interessieren? Niemals, und schon gar nicht um deiner selbst willen. Auch wenn du denkst, die Leute mögen dich, wirst du nichts als Neugier für einen Menschen finden, dessen Leben sich mit meinem so sehr berührt hat. Und du wirst von allem nur einen bitteren Nachgeschmack haben. Für dich ist die Realität zu Ende – hier, an diesem Punkt, endet sie.“ (Zitat aus „Mein Leben mit Picasso“)
Françoise Gilots Weg

Françoise Gilot hat sich von Picassos Drohungen nicht einschüchtern lassen. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen. Nach zehn Jahren in einer – wie man heute vermutlich sagen würde, „toxischen“ – Beziehung, gelingt es ihr mit Anfang 30, mit zwei kleinen Kindern, diesen bereits zu Lebzeiten als Genie verehrten Mann zu verlassen. Er hat sie sicher geprägt. Sie lernte ihn kennen, als sie 22 und er 62 war. In den Jahren ihrer Beziehung war sie auch seine Inspiration und Muse und es gibt Bilder, auf denen Françoise Gilot strahlt wie ein Sonne. In gewisser Weise war sie Picasso ebenbürtig. Für ihn war sie nach eigener Aussage „die Frau, die nein sagt“. Vielleicht erweckte das in ihm, als sie ihn verließ, erst recht den Wunsch, sie zu vernichten.
Ist es ihm gelungen? Der Biograf Malte Herwig begegnet der Malerin und Autorin gegen Ende ihres Lebens und stellt ihr die großen Fragen: „Worauf kommt es wirklich an? Was bedeutet Glück und was spendet Zufriedenheit?“
Eine Suche nach Antworten
„Eine Frau, die nein sagt“ zeigt eine Frau, die selbstbewusst ihren eigenen Lebensweg gegangen hat: „Reue ist pure Zeitverschwendung […] Wenn du wirklich leben willst, musst du etwas Dramatisches riskieren, sonst lohnt sich das Leben nicht. Wenn du etwas riskierst, erlebst du auch schlimme Dinge, aber du lernst vor allem eine Menge und lebst und verstehst immer mehr.“ Das klingt stark und selbstbewusst. Françoise Gilot hat auch ihre finanzielle Unabhängigkeit nie aufgegeben. Nach der Trennung von Picasso zog sie zunächst zurück zu ihren Eltern und arbeitete später weiter als Malerin. Durch ihre Kunst konnte sie sich selbst finanzieren.
Andererseits finden sich in der Biografie auch Zitate wie diese: „Eigentlich bin ich lieber in Gesellschaft von Männern, denn ich habe gelernt, dass man Frauen nicht trauen kann […], man findet eben sehr selten eine Frau, die nicht versucht, dir den Mann zu stehlen, den du liebst.“ Oder auch: „Außerdem ist es viel interessanter, mit einem besonderen Menschen etwas Tragisches zu erleben, als ein wunderbares Leben mit einer mittelmäßigen Person zu führen. […] Vor allem wirst du nicht langweilig. Das ist das Allerschlimmste: langweilig werden“.
Als junge Frau fühlte sich Françoise Gilot offensichtlich von einem charismatischen und zugleich narzisstisch veranlagten Mann wie Picasso angezogen. Vielleicht auch, weil ihr Vertrauen in ihren Wert als Künstlerin und Frau noch brüchig war. Gegen Ende ihres Lebens bestätigt sie, dass das Schaffen ihrer eigenen Werke harte Arbeit war: „Was ich mache, sieht alles so mühelos aus. Aber es kostet mich unglaubliche Anstrengung.“
Kein „Phönix aus der Asche“
Diese Differenziertheit macht für mich den Reiz dieser Biografie aus. Sie zeigt Françoise Gilot eben nicht (nur) als Heldin, die wie Phönix aus der Asche einer unglücklichen Beziehung entstieg. Vielmehr wird darin eine energiegeladene und zugleich disziplinierte Frau erkennbar, eine Frau, die die Brüche, Trennungen und Verletzungen ihres Lebens überlebte, ohne dabei verbittert oder hart zu werden. Eine Frau auch, die Mutter dreier Kinder war, für die sie phasenweise alleine sorgte und die zugleich ihr Leben lang Künstlerin blieb.
„Alles Leben hat Bewegung, Rhythmus, einen Antrieb, den du erwischen musst wie ein Tänzer, und wenn du diese Bewegung in dich fließen lässt, dann bist du eins mit dem Rhythmus des Lebens.“
Vielleicht war das ihr Geheimnis: letztlich kein „Nein“, sondern ein wirkliches „Ja“ zum Leben.
Malte Herwig: Die Frau, die nein sagt. Ankerherz Verlag, 2015.
[Foto: privat]
[Dieser Artikel ist eine persönliche Empfehlung. Ich habe durch ihn keinen finanziellen Vorteil.]
Wow, das ist wirklich inspirierend. „Nein“ sagen ist so wichtig- und, wie ich finde, häufig so schwierig, eine richtige Kunst.
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Liebe Feynsinnige, danke!🙂
Ja, ich stimme dir zu. Zu wissen, was man wirklich will und braucht, ist wohl der erste Schritt, um dann klar „Ja“ oder „Nein“ sagen zu können. Spannend auch, wie wenig man oft vom „echten“ Leben berühmter Künstler und ihrer „Musen“ weiß, oder? Herzlichen Gruß, Sarah
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