Gesellschaft, Kunst

Du bist frei, wenn du ganz bei dir bist: „Grenzenlos leben“ von Geraldine Schüle (Buchrezension)


Eine junge Frau steht mit leuchtenden Augen vor etwa 40 Menschen beim Geile-Uschi-Inspirational-Picknick in der Nähe von Köln. Sie spricht über das Scheitern und dass ihr dessen Wert erst nach und nach bewusst geworden sei. „Erst das Scheitern macht uns Menschen ganz“, sagt sie und berichtet davon, wie sie mit Anfang 20 in den Libanon reiste, um dort Kriegsreporterin zu werden. Ich muss lächeln darüber, wie naiv – auf sympathische Weise – und zugleich lebensklug sie mir dabei erscheint. Als ich ihr einige Zeit später gegenüber stehe und wir uns kurz unterhalten, fällt mir die Lebensfreude auf, die aus ihren Augen strahlt. „Meine 7 Reisen in die Welt und zu mir selbst“, lautet der Untertitel ihres Buches. Nur wenige Tage später beginne ich darin zu lesen.

Vom Reisen und bei sich Ankommen


Wer ist Geraldine Schüle? Nach der Lektüre ihres Buches würde ich sagen: eine Frau, die während ihrer Reisen ihrer großen inneren Neugier und Abenteuerlust folgt – und dabei weit mehr findet als die Antworten auf ihre persönlichen Fragen.

Sie fasst die Erfahrungen ihrer Reisen in sieben Themenbereichen zusammen: Eine Geschichte über das Annehmen, über die Neugier, die Freiheit, die Veränderung, über das Scheitern, den Jetztmoment und die Intuition. Jedem Ort, den sie bereist hat – darunter Indien, Israel und Palästina, den Libanon, die Türkei und Costa Rica – ordnet sie eines dieser Grundthemen des Lebens zu. Auf der Suche nach immer neuen Grenzerfahrungen wird ihr schließlich klar: grenzenlos frei ist, wer ganz bei sich angekommen ist. Oder, wie sie im letzten Kapitel ihres Buches schreibt: „Grenzenlos leben bedeutet nicht, die Grenzen anderer Menschen zu missachten und niederzutrampeln, sondern, deine eigenen Grenzen anzuerkennen und neugierig erfahren zu wollen, was möglich ist, wenn du dich innerlich weit machst.

Die Clownerie als Lebenskunst

Ein Leitmotiv, das sich durch das Buch zieht, ist das der Clownerie. Die Clownin als diejenige, die die Ordnung der Welt hinterfragt, sich entblöst, vor aller Augen scheitert und dabei denjenigen, die ihr Spiel betrachten, den Spiegel vorhält. Geraldine Schüle war tatsächlich das Kind eines Clowns sowie einer Handleserin, ihre Kindheit spielte sich zwischen Schaubuden und auf Mittelaltermärkten ab, ihr Kinderzimmer ein Pappkarton, den ihre und die Phantasie ihrer Schwester zur Abenteuerhöhle machte. Vermutlich förderte diese Kindheit ihre Bereitschaft und ihren Wunsch, die Grenzen ihrer Welt immer wieder zu erweitern. 

Ein „Ja“ zu dem, was möglich ist

Und sie reist: bereits mit 17 nach Indien, danach, mit Anfang 20, nach Ägypten, Israel und Palästina. Sie gerät mitten in den Nahostkonflikt und erlebt Menschen, die sich von der dort herrschenden Gewalt dennoch nicht haben brechen lassen, die dem brutalen Ernst ihrer Welt die Heiterkeit des (Zirkus-) Spiels entgegensetzen. Hier lernt sie, dass „Nein“ zu sagen zu dem Negativem um sich herum zwar eine Möglichkeit ist, dass ein kraftvolles „Ja“ zu allem Guten, das dennoch da ist und aus einem selbst leuchtet, jedoch viel mehr Veränderung mit sich bringen kann. Wie sie in ihrem Buch „Grenzenlos leben“ schreibt: „Palästina hat mir gezeigt, wie sich Menschen verändern, wenn sie aufhören zu kämpfen und statt dessen ein mutiges Leuchten ihrer Persönlichkeit in die Welt senden. […] Bevor wir laut „Nein“ rufen, dürfen wir unsere Energie für Dinge kanalisieren, die der Allgemeinheit auf fruchtbare Weise dienlich sind.“ Eine solche im besten Sinne fruchtbare Sache ist das Zirkusprojekt der jungen Palästinenser mitten im Bürgerkriegsgebiet.

Jetzt. Und Jetzt. Und Jetzt. Vom Leben im Augenblick

Eine weitere beeindruckende Reise unternimmt Geraldine Schüle gemeinsam mit einem Freund einige Jahre später: rund 2300 Kilometer legt sie auf dem Trekking-Rad zurück, von Österreich bis Istanbul. Fixiert auf das ferne Ziel Istanbul, braucht sie eine Weile, bis sie begreift: nicht das Erreichen dieses Ziels oder die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Erlebten wird ihr Erfüllung bringen, sondern das genaue Gegenteil: das Leben im Jetzt. „Die Momente unseres Lebens sind miteinander verknüpft, hängen voneinander ab, und dennoch existiert nur dieser eine Moment. Dieser Moment ist nicht greifbar, wir können ihn weder einfangen noch messen oder wiederholen, aber wir können uns ihm hingeben, ohne uns damit zu identifizieren.“ Das Loslassen also davon, für die Zukunft zu leben oder mit dem Vergangenen beschäftigt zu bleiben. Statt dessen die Bereitschaft, ganz bei dem zu sein, was ist: „Das Reisen beschert uns Lebendigkeit, weil wir so viele Jetztmomente erfahren wie selten im Alltag. Wir sind entspannt, denn wir haben Zeit, und trotzdem sind wir wach, denn alles ist neu. Wir haben keinen Druck, denn wir sind ungebundene Reisende, und dennoch stellen wir uns jeden Tag neuen, ungeahnten Herausforderungen.

Äußere und innere Freiheit


Nachdem ich Geraldine Schüles Buch gelesen habe und während ich mich an ihren Vortrag und das kurze Gespräch mit ihr erinnere, denke ich, dass sie vermutlich dabei ist, diese Erfüllung in der Gegenwart tatsächlich zu leben. Indem sie verfolgt, was ihr wichtig ist, Gegensätze in sich wahrnimmt, nebeneinander stehen lässt und ihre Grenzen dennoch immer wieder erweitert. In gewisser Weise erkenne ich mich in ihren Erfahrungen wieder. Als junge Frau war ich selbst über Jahre eine Reisende und Suchende, und jetzt, als Mutter meines Kindes, genieße ich immer öfter tatsächliche innere Freiheit. Vielleicht teilt Geraldine Schüle dieses Erkennen, während wir uns kurz unterhalten. Ich danke ihr für ihren Vortrag – und für ihr Buch, das so leichthin die ganz großen Themen des Lebens berührt. 

Herzlich, Sarah

Geraldine Schüle: „Grenzenlos leben. Meine 7 Reisen in die Welt und zu mir selbst“. Knaur-Verlag, 2020.

[Fotos: Henriette Frädrich/Geile Uschi-Inspirational-Picknick; Buchabbildung privat; dieser Beitrag ist eine persönliche Empfehlung und damit Werbung, von der ich keinen finanziellen Vorteil habe.]

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