Familie, Gesellschaft, Politik

Kittelschürzen-Blues. Corona und die Rechte der Frauen

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Corona in Deutschland, Woche 10. Die Einkaufsstraßen sind voll, der Verkehr auf den Hauptstraßen der Großstadt rauscht wie eh und je. Die Spielplätze sind wieder gut besucht. Dort das „übliche“ Bild wie vor Corona: neun von zehn der begleitenden Eltern an einem Vormittag unter der Woche sind Mütter. Sie heben Oskar (1,5) auf die Wippe, pusten Bea (2,5) tröstend auf’s Aua am Knie und geben – das vielleicht ist neu – Piet (4,5) vormittags um 10 Uhr geduldig Schwung auf der Schaukel.

Jetzt brummt der (Wirtschafts-) Laden wieder. Jetzt arbeiten Eltern wieder allerorten. Aber Kinderbetreuung ist, noch mehr als vor Corona, ein teuer zu bezahlender „Luxus“. Bis zu 1000 Euro mussten Familien bereits vor Corona je nach Einkommen, Wohnort und Alter des Kindes pro Monat für die institutionelle Betreuung ihres Sprösslings aufbringen, falls beide Eltern mit Erwerbstätigkeit ihr Leben finanzieren wollten oder mussten.

Gerade wirft die Betreuung allerdings noch ganz andere Kosten auf. Rund 350.000 (!) Kita- und Kindergartenkinder (Schätzung des Landeselternbeirats NRW) haben im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands nach den aktuellen Plänen der Landesregierung bis September trotz „Lockerungen“ keinerlei regelmäßige Betreuung in ihren Kitas. Wer dafür bezahlt, sind die Eltern – und hier eben oft genug die Mütter – und ihre Kinder. Keinem Kind tut es gut, über Wochen von völlig überlasteten, im Home-Office tätigen Eltern stundenlang vor Tablet und TV „notbeschäftigt“ zu werden, alleine zu lernen, zu spielen und dabei möglichst unauffällig bleiben zu müssen. Keinem Vater und keiner Mutter tun über Monate 40h-Wochen für den Arbeitgeber und zugleich 40h-Wochen bei der Klein- und Schulkindbetreuung gut. Pragmatische Folge in vielen Familien, in denen beide Eltern berufstätig sind: eine/r übernimmt mehr als die Hälfte der familiären Fürsorge. 

Welcome back, „Kittelschürze“!

Hier kommt wieder das „Kittelschürzenthema“ ins Spiel. In einem Podcast des Radio NRW vom 11.5.2020 beschreibt NRW Familienminister Stamp, dessen Töchter 9 und 12 Jahre alt sind, seinen momentanen Alltag wie folgt: Seine jüngere Tochter sei vor seinem Arbeitszimmer in „Sitzstreik“ gegangen und habe gesagt: „Ich gehe hier erst wieder weg, wenn ich zu meinen Freundinnen und Freunden darf“. Seine Frau, so der Minister, arbeite in einer leitenden Funktion online. Er selbst habe 90 bis 100 Stunden-Wochen und seit Mitte März keinen freien Tag gehabt. Dazwischen versuchten seine Frau und er, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen, die sie im virtuellen Unterricht bekommen. Öhöm… ich rechne mal nach: 90-100 Stunden-Wochen, das macht bei sieben Tagen pro Woche täglich 13-14 Stunden außer Haus, bzw. im „Home-Office“. Nach eigener Aussage im Interview kommt Minister Stamp „kaum dazu“, das Homeschooling und die weitere Betreuung der Kinder zuhause zu übernehmen. Da bleibt doch die Frage: Wer dann?

Abseits von Spekulationen bezüglich des familiären Engagements des NRW-Familienministers möchte ich mich, wie ich es in einem Blogbeitrag vor einer Woche schrieb, an dieser Stelle aber auf das konzentrieren, was ich im Verlauf der letzten sieben Tage tatsächlich beobachten konnte, bzw. im Gespräch aus erster Hand erfahren habe.

Beobachtung 1: Der Alltag hat uns wieder

Eines der Hauptargumente für die ausbleibende Öffnung der Kitas ist die Unmöglichkeit, dort das Abstandsgebot einzuhalten und somit Kinder wie Erzieherinnen und Erzieher ausreichend zu schützen. Meine Beobachtung dazu: in Köln sind seit Anfang Mai beliebte innerstädtische Ausflugsziele wie der örtliche Zoo oder eben die oft erwähnten Spielplätze wieder geöffnet. Und diese Angebote werden auch fleißig genutzt. Was heißt das konkret? In den Kölner Zoo darf ich aktuell nur mit Online-Reservierung. Ich muss mich dabei auf ein Zeitfenster vormittags oder nachmittags festlegen, innerhalb dessen ich allerdings frei entscheiden kann, wann ich den Zoo betrete und wie lange ich dort bleibe. Das Ganze ist dazu gedacht, eine aus Gründen des Infektionsschutzes festgelegte Zahl von 3000 Besucher/innen pro Tag nicht zu überschreiten. Gut geplant – und in der Praxis?

Kurz gesagt: trotz offensichtlicher Bereitschaft des Personals sowie der begleitenden Erwachsenen, Abstandsregeln und Hygienegebote zu befolgen, sind eben auch im Zoo seit dem 7.5.2020 die Spielplätze wieder geöffnet. An einem Dienstag Nachmittag gegen 15 Uhr heißt das: rund 150 Kinder rennen zwischen Klettergerüst und Rutsche hin und her, spielen vertieft im Sand oder kämpfen um heißbegehrte Schaukeln, während die Erwachsenen, die sie begleiten, krampfhaft versuchen, ihr Kind nicht auf mehr als 30 Zentimeter an das neben ihm spielende Kind heranzulassen. Klein-Linus grabscht unvermittelt nach Lisa-Maries Förmchen und hat sie im Mund, ehe seine Mutter „Pieps“ sagen kann? Entschuldigende Blicke unter den begleitenden Erwachsenen und die rasche Versicherung, beide Kinder seien vermutlich ohnehin gesund…

Wie war das nochmal? Nachverfolgbare Infektionsketten, Vermeidung von „Hotspots“ und Großveranstaltungen, um eine besonders rasche Verbreitung des Virus zu verhindern?! Auch bei Schulkindern reicht sicher, dass sie morgens während des Unterrichts mit Sicherheitsabstand auf ihrem Platz verharren. Nachmittags geht die Babysitterin mit ihnen dann in den Zoo; dort können sie endlich toben, während ihre Eltern zuhause ihre Arbeit erledigen… Private Kinderbetreuung mit Kontakt zwischen Angehörigen zweier Haushalte ist in NRW inzwischen offiziell wieder erlaubt.

Beobachtung 2: Infektionsschutz ist nur unter bestimmten Bedingungen nötig

Das Virus verbreitet sich offenbar auch nur auf klar vorhersehbaren Wegen. Ein weiteres Erlebnis der letzten Woche: Ich stehe mit Mundnasenschutz beim Bäcker vor der Auslage, die Verkäuferin hinter der Plexiglasscheibe trägt keinerlei Schutz. Auf meine Frage, warum sie denn keine Maske trage, ihre vollkommen ernst gemeinte Antwort: sie sei durch die Plexiglasscheibe ja geschützt. Als ich bemerke, dass sie ja immerhin die belegten Brötchen aus der Auslage hole, die ich in wenigen Minuten zu essen gedenke, erklärt sie ebenso überzeugt, das sei kein Risiko für mich. Es sei erwiesen, dass das Virus sich nicht auf Backwaren verbreite. Genau. Deswegen lernen unsere Kinder im Kindergarten – so der Bericht einer Kindergartenleitung aus erster Hand – gerade auch, die Arme um die eigenen Schultern zu legen und statt ihrer Freunde sich selbst in einer Art „Solo-Hug“ zu umarmen. Auf Kinderschultern lassen sich Viren offenbar bedeutend lieber nieder als auf Brötchen.

Ebenso interessant: das Virus scheint die Grenzen deutscher Bundesländer zu kennen. Anders lässt sich nicht erklären, dass Sachsen ab dem 18.5.2020 flächendeckend Kitas und Grundschulen mit voller Klassenstärke wieder zu öffnen plant, Brandenburg seine Schulen nur tageweise mit halbierten Klassen, ebenso wie NRW und weitere Bundesländer. Offenbar sind Dresdner Kinder weniger ansteckend, bzw. weniger gefährdet als z.B. der Kölner oder Potsdamer Nachwuchs. Wie ein Kommentator in einem großen sozialen Netzwerk mutmaßte, könnte es auch daran liegen, dass die sächsischen Eltern wieder arbeiten müssen. Das gilt für Eltern in anderen Teilen Deutschlands natürlich nicht.

Beobachtung 3: Die einen erwarten Schreckliches, die anderen sind schon beim „next hot shit“

Zynisch muss man konstatieren, dass einige mit Corona nach fast drei Monaten „Dauerbeschallung“ offensichtlich schon abgeschlossen haben. „Corona – ich kann es nicht mehr hören. So ein Blödsinn!“ Auch das eine von mir konkret gehörte Bemerkung eines ca. 60-Jährigen, der mit seiner Frau gerade den örtlichen Supermarkt verließ. Seine Frau zog sich derweil ihren Mundnasenschutz vom Gesicht und stopfte ihn zu ihren Einkäufen in die Tasche. Ist das Virus etwa auf einmal wirkungslos geworden? Habe ich etwas verpasst? Entweder haben wir in drei bis vier Wochen tatsächlich deutschlandweit eine weitere riesige Infektionswelle mit womöglich Zehn- bis Hunderttausenden von Erkrankten. Oder aber – es passiert NICHTS. Dann würde ich mich allerdings fragen, warum bereits jetzt einige zum (fast) Normalzustand übergehen können, für andere aber bis in den Herbst hinein umfassende Einschränkungen notwendig sein sollen.

Noch einmal zu den Frauen…

Was hat das alles mit den Frauen zu tun? Für viele Mütter – und, jawohl, auch für einige in Vollzeit mit familiärer Fürsorge beschäftigte Väter – dauert der Ausnahmezustand nämlich weiterhin an. Tendenziell wird es bei weiter nur tageweise stattfindendem (Präsenz-) Unterricht nämlich derjenige innerhalb der Familie „mit mehr Zeit“ sein, der den Kindern neben der eigenen Berufstätigkeit beim Homeschooling das kleine Einmaleins oder den Aufbau einer textgebundenen Erörterung erklärt. Und – tata – das sind  bei einem Großteil der Familien mit kleinem Kind, zumindest in den westlichen Bundesländern, eben immer noch die in Teilzeit tätigen Mütter. Solange Kitas für viele geschlossen bleiben und Schulen weiterhin nur sporadisch öffnen, werden darunter nicht diejenigen leiden, die sich Babysitter, private Nachhilfe und eine Haushälterin leisten können und auch nicht diejenigen mit traditionellem „Einverdiener-Familienmodell“.

Leidtragende werden die Kinder mit sprachlichen Defiziten und aus sozial schwachen Familien sein, die davor häufig schon abgehängt waren – und Frauen mit, zumindest für die westlichen Bundesländer, „typischer“ beruflicher Biografie (er nach Geburt des Kindes in Vollzeit, sie in Teilzeit, aber dafür mit weit über der Hälfte der familiären Fürsorgearbeit). Paare, die die Fürsorge für ihre Kinder neben ihrem Beruf gleichberechtigt 50:50 leben wollen, werden durch ausfallende Kinderbetreuung ebenso bestraft wie diejenigen, die beides 50:50 leben müssen, weil das Geld sonst nicht reicht. Denn letztlich lässt sich ein „Kind-zuhause-Modell“ ohne extern gebuchte und bezahlte Hilfe über Monate oder gar Jahre nur halbwegs gut umsetzen, wenn eines der Elternteile hierfür deutlich mehr als die Hälfte seiner Zeit und Energie zu Verfügung stellt. Und da wären wir beim (westdeutschen) 80er-Jahre-Modell: das Kind für ein paar Stunden vormittags in Kita oder Schule, die Mutter (und meist ist es ja tatsächlich die Mutter) Vollzeit zuhause oder höchstens stundenweise im Beruf… 

Klischeekiste oder Teil der „neuen Normalität“ nach Corona? Mich interessiert eure Meinung dazu. Schreibt sie mir in die Kommentare oder gerne auch auf meine Facebook-Seite!

Herzlichen Gruß, Sarah

[Foto: Pixabay]

3 Gedanken zu „Kittelschürzen-Blues. Corona und die Rechte der Frauen“

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