Eine Mischung aus „Ich-kann-keine-Sekunde-länger-warten“ und „Ich-armes-armes-verlassenes-Kind“: Morgens zwischen sechs und acht setzt mein Sohn (4) des Öfteren eine Frequenz ein, die ich insgeheim den „Nervton“ nenne. Ohne dass ich wirklich etwas dagegen tun kann, fühlt sich mein „Mutterohr“ angesprochen, dabei weiß ich genau, was gerade angeblich dringend ist, kann gut noch fünf Minuten warten. Oder doch nicht?
Alarm und Elend
Was wollen uns unsere Kinder mit dieser Mischung aus Alarm und Elend in der Stimme sagen, genau in den fünf Minuten, in denen wir morgens „noch schnell“ das Bett machen, das Frühstück richten oder auf die gerade gelesene Mail von der Arbeit antworten wollen?
„Mama, spielst du mit mir?“ – „Ich kann jetzt nicht. Ich muss…“ –
„Nur kurz?!“ – „Gleich, wenn ich…“
„Aber du hast gesagt, du spielst mit mir nach dem Duschen!“
„Hab ich gesagt. Aber ich bin ja noch nicht mal abgetrocknet. Und dann müssen wir noch frühstücken. Ach herrje, es ist schon fast halb 8, in 10 Minuten müssen wir los!“
„Aber du hast gesaaaagt!…“ Da ist er, der Ton der Töne. Und das Adrenalin schießt ruckzuck auf beiden Seiten in die Höhe.
Solche Dialoge kommen dir bekannt vor? Was ist da los?
Auch wir Erwachsenen quengeln. Zumindest habe ich mich schon bei veritablen Quengelattacken ertappt: „Dieser Berg von Klausuren, den ich noch zu korrigieren habe! Ich habe Kopfweh und dann scheint auch noch die Sonne, ausgerechnet heute, wo ich Stunden am Schreibtisch sitzen muss!…“ Mein Ton ähnelt verdächtig der Frequenz meines Sohnes. Kommt mir dann noch jemand damit, ich solle „mal nicht so ein Drama machen“ oder „mich nicht so anstellen“, schraubt sich auch meine Stimme in bedrohliche Höhen: „Aber das ist wichtig!!!“
Ja, und es ist wichtig. Jedenfalls für uns selbst. In diesem Moment, wenn wir eben quengeln. Wir lassen damit einen Teil des Drucks los, den wir in uns spüren. Wir fühlen uns überfordert, wissen ganz genau, dass wir die Aufgabe vor uns eigentlich bewältigen können, aber gerade fühlen wir uns schlicht zu schwach, zu müde, (noch) nicht bereit dazu. Wir wollen Zuspruch. Ein „Ich-sehe-dich“, ein „Ich-bin-bei-dir“ und Ermutigung. Dann schaffen wir das letztlich auch allein.
Und genau so geht es unseren Kindern.
Warum dann nicht einfach auf die Botschaft „hinter der Botschaft“ reagieren und dem kleinen Quälgeist die Aufmerksamkeit geben, die er sich so sehr wünscht? Tatsächlich jetzt und eben nicht erst wieder in 5, 10, 15 Minuten? Warum nicht einfach die Haare neben ihm abtrocknen und für einen Moment zusehen, wie die Matchboxautos ein Wettrennen veranstalten?
Vielleicht auch einfach drei Minuten das Bett ungemacht, das Frühstück ungerichtet und die Kleider ungewechselt lassen und nochmal knuddeln. Aber richtig. Innig, wirklich 100% präsent. Zumindest bei meinem Sohn wirkt das im stressigen Morgenablauf zuweilen Wunder. Herzen statt Schimpfen – keine schlechte Alternative, oder? Danach ist auf beiden (!) Seiten die Bereitschaft zur Kooperation meist wieder viel größer.
Was sonst noch hilft?
Klare Ansagen und alles, was dich als Mutter oder Vater entspannt. So brauche ich z.B. eine kalte Dusche, um meinen Kreislauf am Morgen in Gang zu bringen. Diese 20 Minuten gehören mir. Das weiß auch mein Sohn inzwischen. Er darf sich aussuchen, was er in der Zeit spielen will. Zuverlässig kommt die Duplo- oder Bastelkiste in diesen Momenten zum Einsatz und da eben kein Papa oder sonstiges Familienmitglied anwesend ist, beschäftigt er sich auch allein.
Umgekehrt nehme auch ich mir die Zeit, mit ihm in Ruhe zu frühstücken und versuche den Mama-Kommandoton („Zieh deine Schuhe an, leg das Spielzeug weg, los geht’s!“) auf ein Minimum zu beschränken. Auch mir hilft es, wenn ich klar und fokussiert bleibe. Statt halb abgelenkt „Ja, ja gleich“ zu rufen, bleibe ich lieber bei einem „Jetzt nicht“ und bin anschließend tatsächlich fünf Minuten lang mit voller Präsenz bei meinem Sohn.
Auch als hilfreich empfinde ich, alles auf den Vortag auszulagern, was am Morgen Zeit und Energie auf sich zieht. Also Unterlagen für die Arbeit, Frühstücksbox für den Kindergarten oder Kleider (eigene und die des Kindes) für den nächsten Tag schon am Vorabend richten. Schaffe ich nicht immer, aber wenn, habe ich drei Dinge weniger im Kopf!
Ebenfalls sinnvoll: statt dem Kind zu sagen, es solle alleine spielen (was es offensichtlich gerade nicht will), es in die eigenen Aktivitäten mit einbeziehen. Mein Sohn ist ganz stolz, wenn er z.B. allein das Frühstück zubereiten darf – okay, nicht selten landen dabei mehr Müsliflocken auf dem Boden als in der Schale -, aber er ist beschäftigt und kann tatsächlich eine Hilfe sein. Win-Win für beide Seiten, das hebt die Stimmung.
Überhaupt hilft es mir, mehr Zeit einzuplanen als ich alleine bräuchte. Ich habe mal nachgerechnet: mit meinem Sohn vergehen vom Aufwachen bis wir aus dem Haus sind, oft 11/2 Stunden. Also stehe ich eben um 6 mit ihm auf, dann kommen wir auch um halb 8 los. Gleichzeitig ist dabei das Kuscheln nach dem Aufwachen, ein relativ ruhiges gemeinsames Frühstück und eine Runde Eisenbahn mit einberechnet.
Und nicht zuletzt hilft mir, wenn ich merke, wie gestresst ich eigentlich gerade selbst bin. Der Zeitdruck am Morgen, ein lebhaftes Kind und gefühlt Hundert Dinge, die zu erledigen sind zu einem Zeitpunkt, an dem mein ganzer Körper noch auf Schlaf und Ruhe ausgerichtet ist – eigentlich ist mir selbst nach Quengeln zumute. Da hilft es sowohl meinem Sohn als auch mir, wenn ich genau das sage, z.B. in der Form: „Puh, ich finde es auch stressig am Morgen. Ich würde auch lieber gemütlich mit dir in den Büchern blättern und mag mich morgens nicht gern beeilen.“
Allein damit bin ich wieder ganz präsent und nah bei mir. Und kann so das äußern, was ich mir eigentlich wünsche: lass uns das Beste aus diesem durchgetakteten Morgen machen! Schön, dass du da bist, mein Kind. Ich quengel jetzt auch nicht mehr!😉
Herzlichen Gruß, Sarah
[Foto: Pixabay]
Ausgezeichnete Tipps. Ich fühle mich zum Beispiel auch viel entspannter, wenn ich abends schon alles zurechtlege und morgens nicht mehr viel machen/nachdenken muss 🙂
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Danke für die Blumen!🙂 Ja, ich schaffe das nicht regelmäßig, aber wenn, dann geht es wirklich entspannter. Und wenn es dann doch mal stressig ist – durchatmen und sobald Junior im Kindergarten ist, nochmal Luft holen, bevor es dann mit der (beruflichen) Arbeit weiter geht …😉 Liebe Grüße, Sarah
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