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Wenn Erzieherinnen Umzugshelfer werden: Der ganz alltägliche Wahnsinn in der Fürsorgearbeit

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Es ist ja nicht so, dass ich dachte, Erzieherin-Sein sei ein einfacher JobVorlesen und trösten, Fragen beantworten und Regeln setzen, aufgeschlagene Knie und Pipi-Pannen versorgen, daneben Entwicklungsstandsberichte schreiben, Feste und Ausflüge organisieren, Teamsitzungen für die weitere Planung des Tagesablaufs abhalten, Gespräche mit Eltern beim Hinbringen und Abholen, über die Entwicklung der Kinder, zur Planung und Organisation etc.

Als Lehrerin ist mir selbst nur zu bewusst, dass das eigentliche Unterrichten – im Kindergarten die Arbeit direkt mit dem Kindern – nur etwa ein Drittel des Gesamtabeitspensums ausmacht. Vor- und Nachbesprechungen, organisatorische Aufgaben und in allen sozialen Berufen die alltägliche Dokumentation und Bewertung schlucken einen Großteil der Energie und Arbeitszeit. 

Umzug im laufenden Betrieb

Unser Kindergartenteam erhielt in den letzten Wochen ein Extra-Schmankerl. Als Institution der Stadt hatte sich die Einrichtung nach rund 15 Jahren einen neuen Fußbodenbelag erkämpft. Außerdem wurden, nach abermaliger hartnäckiger Intervention der Leiterin, schließlich auch noch die, nach knapp 10 Jahren entsprechend „abgelebten“, Wände neu gestrichen. Eigentlich war das nicht vorgesehen, die übliche Nutzungsdauer war wohl noch nicht erreicht… 

Nun ja – das zähe organisatorische Prozedere hatte jedenfalls zur Folge, dass das sechsköpfige Erzieherinnenteam neben seiner ganz normalen sonstigen Arbeit in den letzten vier Wochen zwei Umzüge (!) stemmen durfte. Zunächst ging es mit 45 Kindern und allem Drum und Dran während der Sommerschließzeit eines anderen Kindergartens in diese benachbarte „Ausweichkita“. Als diese nach drei Wochen wieder ihre Pforten öffnete, stemmten dieselben Erzieherinnen nach ihrer eigentlichen Arbeitszeit und der „Endreinigung“ des Ausweichkindergartens an einem Freitag Nachmittag dann den abermaligen Umzug zurück in „unsere“ Einrichtung. 

Arbeit zwischen Abdeckplanen

Dort hatten die Maler allerdings gerade erst ihre Utensilien aufgebaut (organisatorisch war das von Seiten der Stadt offenbar nicht anders möglich), so dass nun der laufende Betrieb in jeweils zwei der ansonsten drei zu Verfügung stehenden Gruppenräume aufrechterhalten werden musste. Der dritte wurde ja gestrichen. Abermals mussten Räume leer- und Spielsachen umgeräumt werden, die Essenszeiten wurden neu organisiert, im Schnitt befanden sich ein Drittel mehr Kinder in jedem Raum, neue Wege und Abläufe mussten geplant werden. Parallel dazu fand übrigens die Eingewöhnung acht neuer Kinder statt, die in ihren ersten Kindergartenwochen mit ihren Eltern gleich von einer Einrichtung in die andere wechselten… 

Klingt nach Wahnsinn genug? 

Wirklich Wahnsinn fand und finde ich ehrlich gesagt, dass diese sechs tollen Frauen samt Kindergartenleiterin dennoch den gesamten Kindergartenbetrieb reibungslos aufrecht erhielten. Morgens ab 7.30 Uhr nahmen sie unsere Kleinen liebevoll in Empfang und ich erlebte kein einziges Mal, dass der Stress, den das Ganze für das Team sicherlich mit sich brachte, auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wurde. Dafür waren in der zweiten Woche nach der Rückkehr in unseren Kindergarten auf einmal drei der insgesamt sechs Mitarbeiterinnen krank (zwei Erzieherinnen aus dem eigentlich achtköpfigen Team fehlten krankheitsbedingt ohnehin schon seit Wochen). Spurlos ging das Ganze an dem Team unseres Kindergartens also offensichtlich auch nicht vorbei. 

Stress auch für die Kinder

Auch mein Sohn reagierte auf die vielen Veränderungen. Zwar ging er immer noch bereitwillig in den Kindergarten und schien sich dort grundsätzlich auch wohl zu fühlen. Aber ich merkte, er war jedes Mal völlig erschöpft, wenn ich ihn abholte und auch anhänglicher als sonst, wenn ich ihn morgens in die Gruppe brachte. Wie immer fragten wir Eltern uns: natürlicher Entwicklungs(zwischen)stand? Oder eben doch die ganzen Neuerungen im Ablauf, zusätzlich zu den neuen Kindern in der Gruppe und den bis an ihre Grenzen belasteten Erzieherinnen?

Während ich die Situation beschreibe, wird mir auch noch einmal klar, wie selbstverständlich wir als Eltern davon ausgehen – bis zu einem gewissen Grad ja auch davon ausgehen müssen -, dass während unserer eigenen Arbeitszeit bei der Betreuung unserer Kinder alles glatt läuft. So bewusst ich ansonsten auf die Signale und Bedürfnisse meines Kindes zu achten versuche, so anspruchsvoll und eigentlich unsensibel erwartete ich hier, dass unser Kindergartenteam und auch unser Sohn diese ganzen Veränderungen einfach so annehmen und bewältigen würden. 

Zu professioneller Arbeit gehören gute Rahmenbedingungen

Klar, ein Kindergarten ist im besten Fall eine professionell geführte pädagogische Einrichtung mit geschulten Erzieher/innen und über Jahren erprobten, immer wieder verbesserten und hinterfragten Abläufen. Aber er ist eben auch ein Ort, an dem Menschen auf Menschen treffen und wo auch leistungsbereite, motivierte Mitarbeiterinnen nicht endlos belastbar sind. Erst recht nicht unter Bedingungen, die man sich in manch privat geführtem Unternehmen gar nicht vorstellen kann. 

Natürlich, Erzieherinnen können sich mit einer schwerfälligen Verwaltung herumschlagen, Umzugskisten schleppen und Kitaräume putzen. Am Ende fehlt ihnen dann aber die Energie bei der Aufgabe, für die wir Eltern sie schätzen und auf deren zuverlässige Umsetzung wir auch angewiesen sind: bei der Fürsorge für unsere Kinder. 

Auch das ist ein Grund, warum ich immer wieder darauf aufmerksam mache, dass Care-Arbeit mehr Anerkennung braucht. Wer gute Arbeit leisten möchte, braucht die entsprechenden Rahmenbedingungen dazu!

Herzliche und kritische Grüße, Sarah

PS. Habt ihr in den Betreuungseinrichtungen eurer Kinder ähnliche Erfahrungen gemacht? Oder habt ihr ganz andere – positive – Erlebnisse zu berichten? Ich freue mich über eure Kommentare!

7 Gedanken zu „Wenn Erzieherinnen Umzugshelfer werden: Der ganz alltägliche Wahnsinn in der Fürsorgearbeit“

  1. Klar, wir Eltern haben z.B. beim Hin- und Hertragen mitgeholfen. Aber die ganze Vorarbeit, das Schränke Aus- und Einräumen und die Organisation, haben die Erzieherinnen übernommen, neben ihrem ganz normalen anspruchsvollen Alltagsbetrieb. Mir war einfach wichtig, das sichtbar zu machen. Und sicher hätte bei flexiblerer Organisation seitens der Stadt der ein oder andere Stressfaktor für alle vermieden werden können (dass z.B. noch immer während des laufenden Betriebs gestrichen wird – immerhin stand das Gebäude mit Ferien und Auslagerungszeit davor 6 Wochen leer…) Bald haben es alle aber wohl geschafft und wie gesagt, ich bin froh, dass wir in einer so tollen Einrichtung mit einem wirklich engagierten Team gelandet sind! Lieben Gruß, Sarah

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    1. Ja, dass hätte man erwarten können, nicht wahr? Umso absurder, dass die Erzieherinnen das alles neben ihrer eigentlichen Arbeit stemmen mussten – und dass das noch nicht einmal hinterfragt wurde… Viele Grüße und danke für deinen Kommentar!

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  2. Wahnsinn, was Erzieherinnen alles abverlangt wird.. sinnvoller wäre es auf jeden Fall gewesen, ein Umzugsunternehmen zu beauftragen wie dies andere Träger wie zum Beispiel in Luzern machen, um viel Arbeit abnehmen zu können.

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    1. Das sehe ich genauso. Aber wenn die Wände nur alle 15 Jahre frisch gestrichen werden, wird seitens der Stadt offenbar auch nicht das Geld für ein Umzugsunternehmen in die Hand genommen.🙈 Tja, der Fachkräftemangel in deutschen Kitas ist kein Wunder…

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