Mit dem stellvertretenden Leiter des Kölner Jugendamts sowie der Leiterin der städtischen Familienberatungsstellen an einem Tisch? Von Angesicht zu Angesicht die eigenen Anliegen vorbringen können? Berichten, was Allein- und Getrennterziehende wirklich brauchen und damit auch Gehör finden? Da wollte ich dabei sein!
Interessiert folgte ich daher vor einigen Tagen der Einladung, mich bei einem öffentlichen Diskussionsabend mit Klaus-Peter Völlmecke vom Kölner Amt für Jugend, Soziales und Familie und Bettina Stehling, Leiterin der Familienberatungsstellen Köln, sowie rund zehn Allein- und Getrennterziehenden im persönlichem Rahmen austauschen zu können.
Klischee und Wirklichkeit
Allein- und Getrennterziehende wurden bis vor nicht allzu langer Zeit, ähnlich wie Migrantinnen und Migranten, ja häufig als homogene Personengruppe wahrgenommen, über die – auch von Seiten öffentlicher Institutionen – als „die Alleinerziehenden“, bzw. „die Migrantinnen und Migranten“ gesprochen wurde. Wie jede Klassifizierung bringt auch diese sowohl Chancen als auch Risiken mit sich. Einerseits mag sich eine Gruppe von Menschen, deren Bedürfnisse sich hinsichtlich gewisser Punkte gleichen, auf diese Weise besser mobilisieren und auch politisch Gehör verschaffen können – andererseits besteht die (berechtigte) Gefahr der Zuschreibung bestimmter Eigenschaften, die im schlimmsten Fall zu Ausgrenzung und Stigmatisierung führen können.
Das Bild der überforderten, sozial schwachen Alleinerziehenden geht wohl auf eben solche Zuschreibungen und Pauschalisierungen zurück wie das der ewig „fremden“ Migrantin oder des wenig integrationsbereiten Migranten.
Miteinander statt übereinander reden
Ein neuer – und meiner Meinung nach sehr begrüßenswerter Ansatz – war demnach die Einladung der Stadt an Allein- und Getrennterziehende sozusagen „aus der Praxis“ zu berichten. Anlass war die Planung eines umfassenden Wegweisers der Stadt speziell für Allein- und Getrennterziehende. Dieses Informationsangebot soll nach Aussage des Jugendamtvertreters potentielle Interessentinnen und Interessenten wirklich ansprechen und unsere Bedürfnisse berücksichtigen.
- Auf welchen Wegen erreichen wir Allein- und Getrennterziehende?
- Wo besteht Beratungsangebot?
- Was brauchen Alleinerziehende wirklich?
Das waren die Fragen, mit denen die zwei Vertreter/innen der städtischen Institutionen die Diskussion eröffneten.
9 Frauen und ein Mann
Die neun Frauen, sowie der einzige Mann, die der Einladung gefolgt waren, repräsentierten tatsächlich das ganze Spektrum Allein- und Getrennterziehender. Wie sich während des 11/2-stündigen, angeregten Gesprächs ergab, waren Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, Frauen mit nicht-akademischen Berufen und Akademikerinnen, komplett Alleinerziehende sowie getrennt Lebende, die sich mit ihrem Ex-Partner die Kinderbetreuung teilen, anwesend. Dementsprechend unterschieden sich auch die Lebenssituationen und Bedürfnisse der Anwesenden.
Was plant die Stadt Köln?
Die Veranstaltung begann damit, dass Herr Völlmecke vom Kölner Jugendamt uns das geplante, bzw. teilweise bereits existierende, Informations- und Hilfsangebot der Stadt vorstellte. Interessant und durchaus vielversprechend fand ich den Ansatz, Allein- und Getrennterziehende über mehrere Kanäle zu erreichen, also sowohl auf dem „klassischen“ Weg über Faltblätter und in den Institutionen ausliegende Broschüren, z.B. des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, als auch online, über ein spezielles Suchportal, das in Zukunft Angebote für Allein- und Getrennterziehende im Großraum Köln bündeln und besser auffindbar machen soll. Ebenfalls interessant drei bereits bestehende Projekte der Stadt: das KiWi (Kinder Willkommens)-Paket samt Besuch durch eine/n ehrenamtliche/n Mitarbeiter/in bei Kölner Familien in den ersten sechs Lebensmonaten ihres Kindes; monatlich verschickte „Elternbriefe“ mit persönlich gestalteten und – wie ich aus eigener Erfahrung weiß – hilfreichen Informationen, passend zum jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes, sowie das Netzwerk „Frühe Hilfen“, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Eltern mit Kindern bis zum Alter von drei Jahren in Krisensituationen schnell und unbürokratisch unterstützen. Alles drei sind persönliche und niedrigschwellige Kontakt- und Hilfsangebot für Familien mit kleinen Kindern, auf die im Rahmen des Wegweisers für Allein- und Getrennterziehende verwiesen werden soll.
Ergebnisse der Diskussion
In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurden vor allem folgende Punkte deutlich:
- Allein- und Getrennterziehende sind keine homogene Gruppe. Daher muss auch ein Informationsangebot vielfältig sein und darauf ausgerichtet, Interessierte über verschiedene Kanäle zu erreichen. Auch die Zielsetzung muss überdacht werden: sollen Allein- und Getrennterziehende angesprochen werden, die sich in einer grundsätzlich finanziell und sozial stabilen Lebenssituation befinden und z.B. „nur“ juristischen Rat oder Kontakt zu Gleichgesinnten suchen? Oder sollen tatsächlich Menschen erreicht werden, für die bereits die deutsche Sprache eine Hürde darstellt und die z.B. überfordert sind, online überhaupt nach Kontakt- und Hilfsangeboten zu suchen? Betont wurde, dass der Faktor „Zeit“ für eigentlich alle Allein- und Getrennterziehenden eine wichtige Rolle spielt: stundenlange Recherche und ein „Durchfragen“ von einer Institution zur nächsten, um von Hilfsangeboten zu erfahren, bzw. diese bewilligt zu bekommen, kostet Energie und vor allem Zeit, die anderweitig dringend benötigt wird.
- Ein wirklich hilfreiches Angebot sollte also vor allem eines sein: leicht zugänglich, möglichst ohne einschüchternden und allzu offiziellen „Amtscharakter“ und „mit Gesicht“, also z.B. in Form von Erfahrungsberichten oder Beratungsangeboten durch andere (möglichst unterschiedliche) Allein- und Getrennterziehende.
- Auffallend war, dass viele der Anwesenden berichteten, dass sie den persönlichen Kontakt zu anderen Allein- und Getrennterziehenden als stärkend und unterstützend empfanden, bzw. dass fehlende Kontaktmöglichkeiten („Ich kenne keine/n in meiner Situation“) ein Gefühl von Isolation erzeugten. Interessant war andererseits auch, dass Frau Stehling von den städtischen Familienberatungsstellen berichtete, innerhalb ihrer Institution sei die Frage aufgekommen, ob überhaupt ein Angebot speziell für Alleinerziehende erwünscht sei, oder der Begriff nicht gar als stigmatisierend empfunden werde. Hier war die Rückmeldung der Anwesenden klar: Allein- und Getrennterziehende sind zwar selbstverständlich Familien, aber haben doch häufig andere Bedürfnisse als Zwei-Eltern-Familien (z.B. die Rechtsberatung im Trennungsfall, Hilfe bei Unterhaltsfragen etc.) und wünschen sich somit auch ein auf sie zugeschnittenes Angebot. Interessant in diesem Zusammenhang jedoch das leidenschaftliche Statement einer Teilnehmerin, die dafür plädierte, Veranstaltungen nicht nur für Alleinerziehende, sondern überhaupt für Familien anzubieten, da ein Austausch für beide Seiten befruchtend sein könne und sich so auch das Stigma der „armen“, meist weiblichen und sozial benachteiligten, Alleinerziehenden, der irgendwie geholfen werden müsse, verliere.
Selbstbewusst eigene Interessen vertreten
Deutlich wurde im Verlauf der Veranstaltung jedenfalls das Selbstbewusstsein sowie die Fähigkeit der Anwesenden, ihre Bedürfnisse als Allein- und Getrennterziehende klar und äußerst anschaulich zu formulieren. Es bleibt somit die Frage, warum im Rahmen von Hilfs- und Informationsangeboten nicht noch viel mehr auf diese Ressource zurückgegriffen wird, also z.B. konkret innerhalb der Institutionen Menschen befragt werden, bzw. Männer und Frauen beraten, die alleinerziehend sind oder waren und somit die Situation ihrer Klientinnen und Klienten ganz anders als nicht „Betroffene“ nachvollziehen können.
Eine sinnvolle Überlegung wäre diesbezüglich sicher eine Kontaktplattform der Stadt, die Angebote für und von Allein- und Getrennterziehenden (z.B. juristische und psychologische Beratungsangebote oder Selbsthilfenetzwerke) zentral auflistet und zugleich von den Inserierenden selbst aktuell gehalten werden kann. Ein solches „nahbares“, möglichst aktuelles und somit wirklich informatives Angebot würde vermutlich auch die Stadt als Anlaufstelle attraktiver machen und das nicht nur bei Fragen organisatorischer oder juristischer Art.
Die Stadt nutzt wichtige Kommunikationswege noch zu wenig
Kritisch sehe ich in diesem Zusammenhang, dass wichtige Kommunikations- und Informationswege vieler Allein- und Getrennterziehender bei der momentanen Planung der Stadt, zumindest wie Herr Völlmecke vom Kölner Jugendamt sie uns präsentierte, wohl nachwievor weitgehend unberücksichtigt bleiben. Eher informelle Anlaufstellen wie selbst organisierte Stammtische und Selbsthilfegruppen, aber auch Online-Gruppen für Alleinerziehende, z.B. auf Facebook, und überhaupt Kommunikationswege über die sozialen Netzwerke scheinen noch nicht wirklich „auf dem Schirm“ der städtischen Institutionen zu sein. Interessanterweise hatten jedoch viele der Anwesenden gerade über solche Mailverteiler und persönliche sowie soziale Netzwerke von der Veranstaltung erfahren und eben nicht über die offiziellen Kanäle der Stadt.
Peer to Peer – also der Kontakt mit und die Beratung durch Männer und Frauen in derselben Situation, erscheint mir persönlich nachwievor als der geeignetste Weg, schnell, gezielt und somit tatsächlich effektiv Informationen an Allein- und Getrennterziehende weiterzugeben und über Hilfsangebote aufzuklären. Gerade in der belastenden Situation einer Trennung und der Phase der Neuorientierung halte ich diese persönliche Komponente für wichtig. Übrigens auch für Menschen, die nicht alleinerziehend sind, aber tatsächlich mehr über die vielfältigen Lebensentwürfe und Bedürfnisse von Allein- und Getrennterziehenden erfahren wollen!
Der runde Tisch an diesem Abend war ein Anfang. Aber er darf nicht nett gestaltete „Kosmetik“ bleiben.
Was wollen Allein- und Getrennterziehende wirklich?
Meiner Meinung nach wollen viele von uns tatsächlich gesehen und gehört werden. Natürlich brauchen wir soziale, rechtliche und oft auch finanzielle Unterstützung. Aber eben auch das Gefühl, als Gruppe in unserer Komplexität und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten wahrgenommen zu werden. Es gibt nicht die Alleinerziehenden – entsprechend sollte ein wirklich hilfreiches Informations- und Unterstützungsangebot für Allein- und Getrennterziehende sich dieser Vielfalt nicht nur bewusst sein, sondern sie auch nutzen: über die persönliche Ansprache, über vielfältige Informationswege, einen einfachen Zugang, Aktualität und Mitgestaltbarkeit.
In Nordrhein-Westfalen ist laut einer aktuellen Studie des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter rund jede fünfte Familie eine Ein-Eltern-Familie. Wir sind also viele. Wir sind vielfältig und haben etwas zu sagen, wie an diesem Abend sehr deutlich wurde!
Also hört uns zu und bezieht uns (weiter) mit ein. Ich bin gespannt, inwiefern die Stadt Köln und ihre Institutionen hier ihr Potential, wirklich bürgerinnen- und bürgernah zu sein, entfalten!
Herzliche Grüße, Sarah
PS. Mich interessiert, was für Euch die wichtigsten Bedürfnisse Allein- und Getrennterziehender sind! Schreibt mir über kontakt@mutter-und-sohn.blog oder hier in den Kommentaren!
Eine zweite Diskussionsrunde – übrigens mit paralleler Kinderbetreuung – findet am Montag, 16.09.2019 zwischen 17.00 und 18.30 Uhr in den Räumen des Bürgerzentrums Ehrenfeld in Köln statt. Bei Fragen zur Organisation und für die Anmeldung zur Kinderbetreuung wendet euch an Ramona Selzer vom Bürgerzentrum (r.selzer@bueze.de).
[Foto: Wikipedia Commons]
Ich sehe das Argument, dass selbst Betroffene innerhalb der städtischen Institutionen mit eingebunden werden sollen, sehr kritisch. Die Argumentation ist natürlich nachvollziehbar, aber das müsste mit mehr Bedacht und besserer (therapeutischer) Ausbildung passieren als es aktuell der Fall ist.
Denn bei meiner „Beratung“ durchs Jugendamt hatte ich bei meinem Erstgespräch alleine zwar zunächst einen trügerischen Eindruck von Verständnis, weil die Mitarbeiterin mir sagte, dass sie selbst auch allein- bzw.getrennterziehend war, dies erwies sich im gemeinsamen Gespräch mit dem Vater meiner Tochter dann aber plötzlich als gar nicht mehr hilfreich.
Meine Theorie dazu ist, dass sie durch ihre eigene Betroffenheit nicht gut beraten konnte, als es dann irgendwann etwas emotionaler (bei mir) wurde. Letztendlich kam ich mir sehr unfair und sehr unprofessionell behandelt vor. Es wurden Grenzen überschritten und Dinge gesagt, die von ihrer Seite auf keinen Fall in solch ein Gespräch gehört hätten.
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Liebe Kristina,
danke für deinen Kommentar und dass du deine Erfahrungen hier schilderst!
Auch für mich ist es selbstverständlich, dass eine beratende Tätigkeit, erst recht, wenn sie ggf. sensible Themen wie Umgangsrecht, häusliche Gewalt, etc. umfasst, immer durch professionell geschultes Personal durchgeführt werden muss.
Beim Schreiben meines Artikels bin ich zudem eher davon ausgegangen, dass Allein- und Getrennterziehende innerhalb städtischer Institutionen bei organisatorischen Fragen Hilfestellung geben könnten (z.B. in einer Art Bürgersprechstunde?), da hier meiner Meinung nach tatsächlich die persönliche Erfahrung („Wo beantrage ich was? Welche Angebote habe ich persönlich als besonders unterstützend empfunden?“) hilfreich sein kann.
Ich hoffe, du hast an anderer Stelle bessere und unterstützendere Erfahrungen machen können!
Herzlichen Gruß und alles Gute,
Sarah
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Danke für den ausführlichen Beitrag!
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Gern!🙂
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