„Supercool, dass du Henri dein Förmchen nicht gibst. Haben wir schließlich für dich gekauft, nicht für ihn.“ „Klar, kannst du das größte Stück Kuchen haben, hattest es ja schon in der Hand.“ „Wirf das Bonbon-Papier ruhig auf den Boden. Die Müllmänner räumen es dann weg.“
Diese Aussagen würden wir unseren Kindern gegenüber eher nicht treffen? Warum handeln wir dann trotzdem (manchmal) entsprechend?
Vor wenigen Tagen, auf dem Weg zur Arbeit: Die Strecke ist hübsch und führt mich durch zwei große Parkanlagen. An diesem Morgen komme ich mir jedoch vor, als habe die „Regie“ ein Störsignal in die – eigentlich malerische – Szenerie eingebaut: Zwischen bunt bepflanzten Beeten Dutzende überquellender Mülleimer. Auf den akkurat gestutzten Rasenflächen leere Chipstüten, Einwegbecher, Essensreste – und mindestens drei Einweggrills. Offensichtlich das Ergebnis der Wochenenderholung hunderter Städter vor dem Einsatz der örtlichen Reinigungstrupps.
Einige Stunden später, auf meiner Heimfahrt von der Arbeit, ist der „Spuk“ beseitigt, die Rasenflächen nicht mehr bunt verdreckt, die Mülltonnen geleert, aller Abfall in Tüten verstaut und abtransportiert.
Mein Unbehagen bleibt bestehen
Abgesehen davon, dass mir die kleine Episode eindrücklich zeigt, wie viel Müll einige Hundert Menschen im Rahmen ihrer Freizeitgestaltung an nur einem Wochenende produzieren können und was geschehen würde, wenn der Öffentliche Dienst der Stadtreinigung nur wenige Tage seinen Dienst niederlegen würde; abgesehen von diesen beiden Punkten frage ich mich: Wer hat all diesen Müll einfach liegen lassen?!
Und damit meine ich nicht die vollgestopften Tüten, die neben den bereits überquellenden Mülltonnen standen. Sondern die einzelne Plastikschale hier, den Pappbecher dort, eine geleerte Getränkedose, eine zerbrochene Flasche, verteilt auf Grasflächen, Bänke, Treppenstufen und auch zwei Spielplätze, an denen ich vorbeifuhr.
Egoismus ist cool, oder?
Sind das dieselben Mütter und Väter, die ihren Kindern Biogemüse kochen und grünen Strom beziehen? Oder ein ganz anderer „Menschenschlag“, die heimlichen Darth Vaders der Umweltaktivisten? Sind es „Immer die andern“, wie die Liedermacherin und Musikproduzentin Dota Kehr in einem ihrer Lieder selbstkritisch fragt?
Momente selbstbezogenen Handelns sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Oft fallen sie uns gar nicht mehr auf, oder wir empören uns lediglich über sie, wenn wir ihre Folgen am eigenen Leib spüren: „Die hat sich einfach nicht an die Absprachen gehalten“ oder: „So ein Rüpel, hätte mir doch die Tür aufhalten können“, beschweren wir uns, ohne zu überlegen, wie vielen Freunden und Bekannten wir in letzter Zeit kurzfristig abgesagt haben, wo wir unsere Kontakte genutzt haben, um den letzten Platz in einer begehrten Veranstaltung zu ergattern oder in welcher Schlange wir uns zuletzt vorgedrängelt haben…
Egoismus wird nicht cool, bloß weil er „normal“ ist
Aber Egoismus wird nicht cool, bloß weil ihn viele zu ihrem Maßstab erheben. Geiz ist nicht „geil“, bloß weil eine Elektronikmarkt-Kette ihn zum Teil ihres Slogans macht. Kurzfristig absagen, weil man „Besseres zu tun“ hat, wird nicht dadurch besser, dass viele es tun. YouTube-Schadenfreude- oder Bodyshaming-Videos („Schau mal, die fette Kuh!“ „Höhö, der rennt tatsächlich gegen den Zaun!“) bieten vielleicht für den Moment Erheiterung und das Gefühl, besser dazustehen als andere, sie sind aber ähnlich unsympathisch wie das „Ätschibätsch“ der Kindergartenfreundin vor 25 Jahren. Und Müll, den wir in der Natur verstreuen, räumt sich eben nicht von selbst weg, auch wenn uns das im Rausch der ersten wärmenden Sonnenstrahlen entfallen sein mag.
Egoismus macht einsam
Im Gegenteil. Egoismus lässt uns ziemlich alleine dastehen. Selbst im Business-Jargon ist die „Win-Win-Situation“ inzwischen eine wohlbekannte Phrase. Zum Wohle anderer zu handeln und davon selbst zu profitieren mag sogar wenig altruistischen Gemütern reizvoll erscheinen. Tatsächlich stehen wir längerfristig besser da, wenn wir sozial handeln. Kurzfristig mag uns unsoziales Verhalten, dem keine direkte Bestrafung folgt, attraktiv erscheinen – aber wenn wir wählen können, ob wir unsere Zeit lieber mit dem unkooperativen Ego-Shooter verbringen, mit der selbstbezogenen Zicke oder aber mit Menschen, die mehr im Blick haben als sich selbst, fällt unsere Antwort sicher eindeutig aus. Der Psychologe John Cacioppo von der Universität Chicago veröffentlichte mit Kolleg/innen im Fachmagazin „Personality and Social Psychology Bulletin“ Mitte 2017 eine Studie, wonach soziale Isolation zu einem Gefühl der Bedrohung und damit aus Selbstschutz zu egoistischerem Verhalten führen kann – und umgekehrt eben genau dieser Egoismus zu weiterer sozialer Isolation.
Situationen, in denen wir auf die Großzügigkeit, das Mitdenken und Engagement anderer angewiesen sind und sein werden, gibt es mehr als genug. Wonach sehnen wir uns, wenn wir krank sind? Was werden wir brauchen, wenn wir alt und gebrechlich sein werden? Wer sorgt – zu einem oft viel zu geringen Lohn – für unsere Kinder? Wo können wir „wir selbst“ sein, das Schutzschild, das wir gegenüber der (Arbeits-) Welt aufrecht erhalten, sinken lassen?
Vielleicht sollten wir das bedenken, bevor wir in der Kantine unserem Kollegen das letzte Stück Kuchen wegschnappen – und nicht erst wenn unser Kind das nächste Mal nach den Sandförmchen seines Spiel-Buddys grapscht.
Herzlichen Gruß, Sunnybee
[Foto: Pixabay]
Ich schaue gerne bei den Blogs vorbei, die mir folgen. So bin ich hier gelandet und gleich hast du, bzw. der Beitrag einen Nerv bei mir getroffen.
Der viele, achtlos weggeworfene, Müll, aber auch der ganz alltägliche Egoismus, von dem man doch eigentlich behauptet, dass man ihn gar nicht lebt. Ich werde sicher öfter bei dir vorbeischauen. Liebe Grüße Mitzi
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Salut Mitzi,
das freut mich – und ich freue mich, wenn du wieder vorbeischaust. Ich staune immer wieder, wie viele Menschen in dieser Welt offensichtlich mit großer Ernsthaftigkeit und zugleich Lebenssinnesfreude unterwegs sind! Das Stöbern in frisch entdeckten Blogs ist wahrlich ein bisschen wie Schatztruhenausgraben!🙂 Lg, Sunnybee
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Mich nervt das auch total und wir sind in zwei Tagen dann bei „Elbwiesenreinigung“ dabei, um Dresden wieder ansehnlich zu bekommen. Es ist allerdings nicht verständlich, wie der Müll immer wieder hier landet – naja, für uns nicht verständlich. Tatsächlich denke ich, dass wir alle sehr achtsam mit der Umwelt umgehen und auch unsere Kinder dahingehend „erziehen“, aber es gibt eben auch andere Menschen. Und die sagen auch deine Zitate oben…
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Hey Nadine!
Danke für deinen Kommentar und deinen Hinweis auf die interessante „Elbwiesen-Reinigungsaktion“ in Dresden! Ich habe mir erlaubt, einen Link dazu in deinen Kommentar einzubauen, für alle, die es interessiert!🙂
Lieben Gruß und bis bald wieder einmal, Sunnybee
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