Anfang der 1990er traktierte uns unser Bio-Lehrer regelmäßig mit Lehrfilmen, die uns die Folgen von Umweltverschmutzung und Klimawandel näher bringen sollten. Kümmerliche Fichten mit gelblich verfärbten Nadeln, von Sturmtiefs entwaldete Hänge, giftgrüne Schwaden, die aus Fabrikschloten in den Himmel stiegen… Das Ganze untermalt von unheilvoller Musik und im Super-8-Format. Manchmal verhakte sich die Rolle im Projektor und wir warteten brav, bis unser Lehrer das Schreckensszenario wieder in Gang gebracht hatte.
Brav in der Kleinstadt
Überhaupt waren wir ziemlich brav, wir Schülerinnen und Schüler der 90er in einer Kleinstadt in Süddeutschland. Freitags den Unterricht zu schwänzen, um gegen Luftverschmutzung und Mikroplastik zu demonstrieren, wie es seit einigen Wochen Hunderte von Schülerinnen und Schülern im Rahmen der fridaysforfuture-Demonstrationen tun – es wäre zumindest mir damals gar nicht in den Sinn gekommen.
Und so ist das Szenario, das unser Lehrer damals entwarf, „still und leise“ innerhalb der letzten 30 Jahre zur Realität geworden. Wirbelstürme, Überschwemmungen, zerstörte Wälder, Smog, der tagelang über Städten hängt – all das gibt es bereits. Und dennoch: „So schlimm ist es doch gar nicht, oder?“ Das ist vermutlich die Krux an entsprechenden Prognosen. In unserem ganz persönlichen kleinen Leben nehmen wir zwar wahr, dass sich Dinge verändern: Regenfälle, die ganze Landstriche unter Wasser setzen, Schnee Ende April und 20 Grad-Tage im November – aber zumindest in Deutschland sind unsere Häuser stabil gebaut, ist es vielleicht sogar ganz angenehm, wenn die Winter milder werden, funktioniert die Müllabfuhr einwandfrei. So stopfen wir die Berge von Müll, die wir täglich produzieren, gewissenhaft in die genau richtige Tonne: gelb, blau oder braun – und einmal abgeholt, ist der Müll dann irgendwie „weg“. Jedenfalls sehen, fühlen und riechen wir ihn nicht mehr. Und damit ist das „Problem“ gefühlt nur noch halb so schlimm.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Ich denke, das ist das Problem an all den eigentlich unerträglichen Missständen: müssten wir selbst die männlichen Küken zerhacken, die bei der Aufzucht von Legehühnern „übrig“ bleiben, würden wir vermutlich gar keine Eier mehr essen. Wären wir gezwungen, das Rind zu zerteilen, dessen Fleisch wir im Supermarkt als „Hackbraten extrafein“ konsumieren, bekämen wir hektische Flecken im Gesicht. Und natürlich wollen wir nicht, dass unsere Kinder ihre Gesundheit in Kupfer-Minen ruinieren. Aber das nächste Handy, das genau diese Kupferdrähte enthält, kaufen wir doch.
Die Sozialpsychologie nennt das den „myopischen (also kurzsichtigen) Effekt“: kurzfristiger Genuss lässt uns langfristige negative Konsequenzen ausblenden. „Ja, ja, Rauchen ist tödlich – aber eine Kippe geht noch.“ „Ja, ja, Mikroplastik verbreitet sich überall in der Umwelt, aber mein Lieblingsshampoo gibt’s eben nur in der Plastikverpackung.“
Daher stoßen Appelle auch so oft auf taube Ohren: „Was interessiert mich, wie’s der Welt in 150 Jahren geht?“ Das denken insgeheim wohl sogar Eltern, deren Enkel in genau dieser Welt alt sein werden. Aber eben: der Blick – und vor allem das Gefühl, die persönliche Betroffenheit – reicht nicht so weit. Was ich nicht selbst sehe, fühle und erlebe, ist mir einfach erst mal nicht besonders nah. Gepaart mit einem unbestimmten Gefühl von Resignation („Was soll ich als Einzelperson denn groß ändern?“) und einer Grundskepsis, den Unheilspropheten an sich gegenüber („Waren die nicht schon vor dreißig Jahren der Meinung, die Welt geht unter – und schaut, wir leben noch!“) führt das oft dazu, dass wir NICHTS ändern, statt überhaupt einen Anfang zu machen.
Handeln auch ohne Betroffenheit
Daher dürfen wir nicht warten, bis uns die große, persönliche Betroffenheit überfällt und wir vor innerem Antrieb gar nicht mehr anders können als zu handeln. NEIN, wir müssen es einfach TUN. Jetzt. Beim nächsten Einkauf.
Wenn Fleisch, dann wirklich immer in Bio-Qualität. Dasselbe gilt für Eier, Milch, alle Tierprodukte. Obst und Gemüse im Unverpackt-Laden kaufen oder auf dem Markt (ist oft sogar billiger), Kinderkleider und eigene Kleider flicken und/oder Second Hand kaufen. Mit dem Rad fahren. Stoffbeutel mit in die Handtasche, so dass wir gar nicht erst versucht sind, im Laden die Plastiktüte mitzunehmen. Im Supermarkt die eingeschweißten Gurken liegen lassen und Joghurt im Glas kaufen.
Es ist wirklich nichts Spektakuläres daran, sich ein Stück weniger tier- und umweltfeindlich zu verhalten. Einfach ist es eigentlich auch, vor allem, da inzwischen Bio-Lebensmittel und Kosmetika mit Umweltsiegel in jedem Discounter zu finden sind. Es ist höchstens ungewohnt.
Und genau deswegen sind Demos wie die der Schülerinnen und Schüler jeden Freitag wichtig. Weil sie Aufmerksamkeit wecken für die Themen, über die nachzudenken wir schon aufgehört haben. Und weil Demonstrationen wie diese zu ganz konkreten Gesetzesänderungen führen können. Anschnallpflicht in Autos, Rauchverbot in öffentlichen Räumen, ab 2021 das Verbot von Plastikstrohhalmen und Einwegplastikverpackungen. Macht alles unsere Welt ein wenig sicherer, ein bisschen weniger dreckig und etwas angenehmer.
Manchmal braucht der „Schweinehund“ in uns einen Tritt, damit wir in Bewegung kommen. Das kann durch eine Gesetzesänderung geschehen, durch Texte oder eine Dokumentation, die wir gesehen haben – oder eben durch die Fragen unserer Kinder.
Danke an Alex von livelifegreen, deren Blogparade mich zu diesem Artikel inspiriert hat!
Herzlichen Gruß, Sunnybee
Danke liebe Sarah für diesen tollen Beitrag zu meiner Blogparade #bloggersforfuture :-D. Ich freue mich RIESIG!
Alles Liebe
Alex
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Und ich freue mich, über deine Blogparade auf deine tolle Website livelifegreen.de aufmerksam geworden zu sein!🙂 Herzlichen Gruß und gerne auf weiteren Austausch, Sunnybee
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Ja, da stimme ich Dir zu, manchmal benötigt es eines Anstoßes, um (wieder) mehr auf die Umwelt zu achten. Und was für ein bemerkenswerter Anstoß die großen Schulstreiks sind! Wie gut, dass Du mit Deinem Text auch ihr Anliegen unterstützt. Viele Grüße, Svenja
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Danke, Svenja!
Freut mich, dass dir mein Artikel gefällt. Und natürlich darf es nicht allein beim Nachdenken über den Klimawandel bleiben. Verhaltensänderungen allerdings sind ja nie „einfach so“ dauerhaft zu erreichen. Das erfordert „Übung“, jede/r weiß das, der/die z.B. mit dem Joggen anfangen und auch dabei bleiben möchte. Vermutlich am erfolgversprechenden: sich erst mal nur 2-3 konkrete Sachen vornehmen (z.B. „nur Bio-Fleisch kaufen“ und „keine Pflastiktüten aus dem Laden mitnehmen“) und die dann wirklich konsequent umsetzen.🙂 Herzlichen Gruß, Sunnybee
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