Mit allein- oder getrennt erziehenden Eltern oder in Patchwork-Familien zu leben ist inzwischen in der Lebenswirklichkeit vieler Kinder „ganz normal“ – einerseits. Andererseits dominiert in Kinderbüchern oft noch das traditionelle Modell: Papa-Mama-Kind.
Ein erfreuliches Gegenbeispiel und eigentlich bereits ein Klassiker ist die seit 1972 (!) erscheinende Reihe „Willi Wiberg“ der schwedischen Autorin Gunilla Bergström.
Willi und sein Papa
Willi lebt zusammen mit seinem Vater ein glückliches Kinderleben. Er ärgert sich über seine großen Cousins, die ihn nicht für voll nehmen und zeigt ihnen gewitzt, dass er schon weit mehr begreift als sie dachten. Er hält seinen Papa beim Einschlafen auf Trab, bis dieser nach dem 10. „Botengang“ erschöpft auf dem Wohnzimmerboden einnickt. Er erlebt Abenteuer mit seinem besten Freund oder seinem Fantasiefreund Alfons, von dem Willis Papa nach einiger Zeit ziemlich genervt ist. Schließlich ist er so groß, dass er selbst Babysitten darf und dabei dem kleinen Benni vom gefährlichsten, schrecklichsten Monster erzählt, das er sich ausdenken kann – der Kleine will nämlich keine harmlose Gutenachtgeschichte.
Willis Welt ist wohlbehütet – und dabei erfrischend wenig „pädagogisch wertvoll“. In einer der Erzählungen wundert sich sein Vater, dass sein Sohn gar keine Widerworte mehr gibt und sogar sein Zimmer aufräumt. Irgendetwas scheint mit ihm nicht in Ordnung zu sein. Und tatsächlich: Willi hat Angst vor der Schule, die er bald zum ersten Mal besuchen soll. Sein Papa erzählt ihm daraufhin, dass gerade jetzt, am Abend vor dem ersten Schultag, tausende Kinder mit klopfendem Herzen in ihren Betten lägen und keines wisse, dass genau nebenan ein Kind genau so aufgeregt wie es selbst sei. Sich auf diese Weise „in guter Gesellschaft“ zu fühlen beruhigt Willi und er schläft schließlich doch zufrieden ein.
Pass auf, Willi Wiberg!
Andererseits gibt es Tage, an denen Willis Vater selbst nicht gut zu sprechen ist. Auch das ist erfrischend: Die Erwachsenen sind durchaus mal geistesabwesend, schlecht gelaunt oder wollen ihre Ruhe. Willi nimmt das hin wie die Wolken am Himmel und sieht die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten:
„[A]n manchen Tagen will Papa ganz in Ruhe gelassen werden. Dann will er Zeitung lesen oder fernsehen und überhaupt nicht mit Willi spielen. An solchen Tagen kann man auch an den Werkzeugkasten gehen. Wenn Väter in Ruhe gelassen werden wollen, kümmern sie sich nicht weiter um das, was man tut. Heute ist das so.“
Aber natürlich achtet der Vater – hinter seiner Zeitung – darauf, dass sein Sohn die gefährliche Säge aus dem Werkzeugkasten nicht nimmt. Jedenfalls erinnert er ihn mantraartig daran: „Fass die Säge nicht an!“ Willi gehorcht ihm bereitwillig – er ist mit Holzbrettern, Hammer und Nägeln aus dem Werkzeugkasten ja bereits ausreichend beschäftigt…
Die Welt aus Willis Sicht
Die Perspektive der Bücher ist großartig: die Erwachsenen sind für Willi Maßstab und Bezugspunkt, er versucht, ihren Forderungen bereitwillig nachzukommen – manchmal kommt nur etwas dazwischen, wenn zum Beispiel Willis Fantasiefreund Papas Pfeife verschludert, die zu nehmen – Willi weiß es genau – eigentlich VERBOTEN ist. Oder wenn er mit seinem aus Brettern zusammengebauten „Hubschrauber“ im Dschungel landet und ihn ein Löwe (sein Kater „Pussel“) zu verschlingen droht. Dann braucht er die Säge, um sich aus dem Hubschrauber zu befreien, bloß, dass die sein Papa strikt verboten hat…
Willis Papa ist großzügig, gelassen und manchmal fast ein bisschen zu lieb, wie die Erzählerin an einer Stelle bemerkt. Und er ist wohl alleinerziehend. Freunde tauchen auf, Lehrer, auch Cousins und eine Großmutter, die Willi innig liebt – aber keine „Frau Wiberg“. Und letztlich kommen Willi und sein Vater zu zweit sehr gut zurecht. Papa liest seinem Sohn vor und spielt mit ihm, bindet sich die Schürze um und bringt Willi ein Glas Wasser ans Bett, liest Zeitung, raucht Pfeife und wechselt das Bettzeug, das Willi mit dem Wasser durchnässt hat.
Willi Wiberg und sein Papa sind ein tolles Team. Und mein Sohn, ebenso wie ich, sind Fans dieser Reihe, seitdem wir sie im Bücherregal meiner Nichte entdeckt haben. Deren Vater, mein Schwager, hatte ihr seine Bücher vererbt – er ist selbst bereits mit Willi großgeworden.
Klare Sache: Empfehlenswert!
Herzlich, Sunnybee
Danke für den Willi-Buchtipp.
Ich habe diese Woche auch etwas über ein Buch geschrieben, das das Thema „alleinerziehend“ wunderbar aufgreift und illustriert: https://www.getrenntmitkind.de/details/alles-familie.html
Das Buch heißt „Alles Familie“. Kennst du es?
Grüße von Christina
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Liebe Christina, ja, ich habe deinen Artikel schon gelesen: das Buch klingt inhaltlich toll und mir gefällt auch seine grafische Gestaltung. Habe sogar überlegt, es zu kaufen!🙂 Offensichtlich hatten wir quasi zur selben Zeit Lust, eine Buchrezension zu schreiben – hatte meinen Text zu Willi Wiberg nämlich gerade fertig, als ich auf deinen Artikel gestoßen bin.
Bis bald wieder und freue mich, hier von dir zu lesen! Herzlichen Gruß, Sunnybee
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