Gestern Nachmittag traf ich mich mit einem Freund. Er war mit dem Zug mehrere Stunden gereist, um mich und zwei weitere Freunde zu besuchen. Ich hatte mich auf ihn gefreut.
Nach unserem Treffen ging es mir nicht gut
Trotzdem war ich nach den drei, vier Stunden, die wir miteinander verbrachten, niedergeschlagen. Warum? Was war passiert?
Wir gingen am Rhein spazieren, das Wetter war wunderbar. An dieser Stelle ist der Fluss breit und mächtig, gerahmt von weiten Auen, im Sonnenschein schimmert das Wasser blau vom Himmel, der sich in ihm spiegelt und große Frachtschiffe schieben sich gemächlich auf ihm entlang. Das Wasser, die Wärme der ersten Frühlingssonne, der leuchtende Himmel – einfach nur schön. Oder nicht?
Zwei Seiten
Auf der anderen Seite des Spazierweges erstreckt sich über weite Teile der Strecke ein Industriegelände. Abgelegte Kabelrollen, Kieshaufen, schmucklose Lagerhallen, LKWs und rostige Container. Industriecharme? Nüchtern gesagt einfach nicht sehr schön…
Und wir auf dem Weg dazwischen. Und – JA, ich hatte meinem Freund das für mich schöne Rheinufer zeigen wollen, an dem ich oft Ruhe und innere Heiterkeit (wieder-) finde. Und – JA, er schien vor allem das Industriegelände wahrzunehmen. Was mich ärgerte…
Was will ich damit sagen?
Vielleicht, weil mir mein Leben gerade oft wie dieser Weg zwischen frühlingshaften Auen und Industriegerümpel erscheint: schaue ich zur einen Seite, ist da Schönheit und Leichtigkeit, auch Kraftvolles und Ermutigendes. Schaue ich zur anderen Seite, sieht es manchmal ganz schön hässlich aus, auch mühevoll und ohne Charme…
An diesem Nachmittag hat mich mein Freund unvermittelt (wieder) auf beide Seiten aufmerksam gemacht – und mein Ärger hat mir wohl gezeigt, dass ich selbst nicht gern auf die „schrammelige“ Seite sehe. Aber auch, dass der Blick aufs Schöne mir KRAFT gibt in meinem Leben mit Kind und Beruf, alleinerziehend – und dass ich im Moment auch gerne Zeit mit Menschen verbringe, deren Blick dieses Schöne wahrzunehmen weiß.
Unbeschwertheit verloren?
An diesem Nachmittag versuchte ich, diese Gedanken meinem Freund zu erklären. Ich zeigte ihm auch meinen Blog, aber ich glaube, er konnte mich nicht verstehen. Und so gingen wir nach diesen drei, vier Stunden auseinander, ich ein wenig traurig. Er dachte wohl, ich habe meine Unbeschwertheit verloren (so sagte er es zumindest).
Aber ich gehe wohl nur gerade in der Mitte: Ich nehme das Traurige in mir wahr UND versuche, mir den Blick aufs Schöne zu erhalten – um wieder einen Schritt weiter zu gehen, und noch einen Schritt und noch einen – auf diesem Weg dazwischen.
Ich kann mir genau vorstellen, wo am Rhein ihr langgegangen seid. Und ich kann sehr gut nachvollziehen, was du schreibst. Diese ambivalenten Gefühle von schön und schrammelig aber auch das Auseinanderleben mit alten Freunden. Wer keine Trennung durchgemacht hat, kann uns, unser neues Leben und alles was dazu gehört, oft nicht so gut verstehen. Umso besser, dass es Blogs wie diesen hier gibt. Danke für deinen Text.
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Liebe Christina, das ist auch ein Anliegen, das ich mit meinem Blog verfolge: in Worte fassen, was mich – aber vielleicht auch andere – bewegt. Ich empfinde das Leben als so facettenreich: bedrückend und bereichernd, verblüffend, anstrengend und wunderbar – und ich freue mich sehr, wenn ich in meinen Texten etwas so formulieren kann, dass es andere berührt! Herzlichen Gruß, Sunnybee
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Mein guter Freund schrieb mir heute, ein halbes Jahr, nachdem ich meinen Blog begonnen habe und nach unserem gemeinsamen Spaziergang…
„Wach heut’ Nacht ich lange lag,
ob sie mein Gedicht wohl mag?
Zeil’ um Zeile, Wort um Worte,
rang ich meinem Schmalze ab. […]
Nun ist’s spät Abend,
jetzt verfloß, du schriebst es gar,
kein ganzes, doch ’n halbes Jahr,
da ich, mich mit dir labend,
am Frühlings-Rheine sah
die schlechte Seit’ der Welt,
doch du: „Die gute zählt!“
Nun genug vom blah blah blah …
Heute ist nicht alle Tage,
ich komm’ wieder, keine Frage!“
Danke, du verrückter Kerl!🙂
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