
Passend zur lockenden – aber coronabedingt berührungsarmen – Frühlingszeit werfe ich einfach einmal die Frage in den Raum: wie machen Alleinerziehende das eigentlich mit dem Sex? Oder – etwas umfassender gefragt: mit der Sehnsucht nach körperlicher Berührung?
Natürlich, als Mutter (oder Vater) mit kleinen Kindern hast du jede Menge Berührung, manchmal mehr, als dir lieb ist: Kinder kuscheln, schieben und ziehen an dir herum – vor allem, wenn sie klein sind. Und es ist tatsächlich herzerwärmend, wenn dir ein ein Meter großes Menschlein ins Ohr flüstert: „Mami, ich hab dich lieb!“… Aber Kinder sind eben kein Partner und so kommt nach einigen Monaten oder auch Jahren vielleicht doch die Frage auf: Wie lade ich als Alleinerziehende/r meinen „Berührungsakku“ auf, ohne direkt die nächste feste Beziehung einzugehen?
7 Tipps, wie du Berührung in deinen Alltag bringst
In der Ü30-Disko, über Tinder oder bei einer „casual“-Datingplattform auf Partnersuche zu gehen ist nichts für dich – und ist in Zeiten der Pandemie ja ohnehin nur eingeschränkt möglich? Hier ein paar Optionen jenseits des „Mainstreams“, um wieder (sinnliche) Berührung in dein Leben zu bringen.
1. Tanze! Berühre dich und andere im Tanz
Mmmm… zum Beispiel bei Biodanza, dem „Tanz des Lebens“. Biodanza ist ein weltweit anerkanntes tanztherapeutisches Konzept, ins Leben gerufen Ende der 1960er Jahre von dem chilenischen Psychologen Rolando Toro. Biodanza-Lehrerinnen und -Lehrer durchlaufen eine mehrjährige praktische und theoretische Ausbildung. Während einer Vivencia, der etwa zweistündigen Biodanza-Tanzsession, bewegst du dich in einer Gruppe von Menschen frei und deiner Intuition gemäß, lediglich sanft angeleitet durch die Impulse deiner Biodanza-Lehrerin oder deines Biodanza-Lehrers. Biodanza bietet die Möglichkeit, mit deinen Bedürfnissen nach Raum und Schutz, nach Wertschätzung und Gesehenwerden, Leichtigkeit und Spiel in Kontakt zu kommen. Mit allem, was gerade da ist, angenommen zu werden, ist berührend – weit über die körperliche Berührung hinaus. Aber natürlich tanzt du auch Hand in Hand, Arm in Arm, Rücken an Schulter* mit den anderen Teilnehmer/innen und kannst dabei mit zärtlichen, behutsamen, lockenden oder spielerisch fordernden Berührungen experimentieren. Besonders schön ist die extra von deiner Biodanza-Lehrerin oder deinem Biodanza-Lehrer ausgewählte Musik, die die „Tänze des Lebens“ begleitet sowie das Gefühl der Gemeinschaft, das du während der „Vivencias“ erfahren kannst.
*Biodanza ist übrigens selbst während der Corona-Pandemie möglich – im Freien mit ausreichend Abstand, online per Video-Liveschaltung sowie seit kurzem auch wieder in geschlossenen Räumen im Rahmen einer festen (Seminar-) Gruppe mit aktuellem Corona-Test. Spannend: auch ohne direkte körperliche Berührung entsteht emotionale Nähe, über Blicke und die gemeinsame Bewegung zur Musik.
2. Schenke dir eine Massage, die mehr als deine Muskeln lockert
Wusstest du, dass es Massagen gibt, die gar nicht in erster Linie deine verspannten Muskeln behandeln, sondern sozusagen deine „Spannung im Herzen“? Ich kenne die Touchlife Massage* und bin einmal der Hawaiianischen Lomi Lomi-Massage begegnet, die einen ähnlichen Ansatz zu haben scheint. Die Sitzung beginnt mit einem kurzen Vorgespräch, in dem du berichtest, in welcher Verfassung du gerade bist und was dein Anliegen ist. Bist du voller Anspannung und willst Energie loswerden oder fühlst du dich eher erschöpft und wünschst dir, gehalten und „genährt“ zu werden? Die Masseurin oder der Masseur schenkt dir danach in ruhiger, konzentrierter Atmosphäre über Streicheln und Kneten, Halten und Wiegen, fließende und fest zupackende Berührung, was dein Körper – und letztlich deine Seele – braucht. Er oder sie sieht deinen Körper als Ausdruck deiner seelischen Verfassung und wendet sich ihm – und damit dir im Ganzen – mit Fürsorge und Respekt zu. Das kann tatsächlich heilsam sein. Wichtig ist, dass du das Gefühl hast, dich dem Masseur oder der Masseurin wirklich anvertrauen zu können. Ähnlich wie bei der Wahl eines Therapeuten oder einer Therapeutin ist seine oder ihre berufliche Kompetenz die Grundlage, die Chemie zwischen euch sollte aber auf jeden Fall stimmen.
* Auch Touchlife als therapeutische Massage ist aktuell möglich, der Masseur oder die Masseurin schützt dich und sich selbst mit einer Mund-Nasenbedeckung, ansonsten findet die Massage wie beschrieben statt.
3. Löse (Energie-) Blockaden mit Reiki oder Jin Shin Jyutsu
Zwei weitere Möglichkeiten der (heilsamen) Berührung sind Reiki und Jin Shin Jyutsu*, das japanische Heilströmen. Anders als bei den oben genannten Massageformen berührt der oder die Behandelnde deinen Körper dabei nur sanft durch das Auflegen der Hände auf den (bekleideten) Körper oder lässt bei Reiki die Hände sogar nur einige Zentimeter über dem Körper „schweben“. Reiki wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem japanischen Gelehrten Mikao Usui entwickelt, Jin Shin Jyutsu ist eine mehrere Tausend Jahre alte Lebenskunst. Beide Methoden haben ihren Ursprung in der traditionellen japanischen Medizin. Sie gehen davon aus, dass der Körper von Energiebahnen durchzogen ist, an denen entlang sich an gewissen Punkten durch das Handauflegen körperliche und seelische Blockaden lösen können. Jin Shin Jyutsu ist übrigens auch eine sanfte und zugleich kraftvolle Möglichkeit der Selbsthilfe, die du im Alltag selbst gegen kleinere Beschwerden wie Kopfschmerzen, Verspannungen oder auch seelische Unausgeglichenheit anwenden kannst. Bei anhaltenden Beschwerden solltest du natürlich dennoch einen Arzt zu Rate ziehen.
* Reiki- und Jin Shin Jyutsu-Behandlungen sind aktuell möglich, wie bei der Touchlife-Massage mit Mund-Nasenbedeckung zum Schutz vor einer Übertragung des Corona-Virus. Und natürlich kannst du dir selbst mit den Jin Shin Jyutsu-Griffen jederzeit etwas Gutes tun.
4. Kuschelpartys: Berührung für Experimentierfreudige
Bist du tatsächlich ein „Berührungsmensch“ und zudem experimentierfreudig und offen für neue Erfahrungen? Dann ist vielleicht eine „Kuschelparty“* das Richtige für dich? Ja, du hast richtig gehört: Menschen, die sich zum Großteil gar nicht kennen, treffen sich für vier bis fünf Stunden in einem geschützten Rahmen um spielerisch mit zärtlicher Berührung zu experimentieren. Das Ganze läuft nach festen Regel ab. So ist „Kuscheln“ mit gezielt sexueller Absicht nicht erlaubt und auch ein klares Ja zum jeweiligen Berührungsangebot ist Grundvoraussetzung. Wichtig ist daher, dass du deine Grenzen gut kommunizieren kannst und auch mit einem „Nein“ umgehen kannst, falls jemand deine Berührung nicht möchte. Grundsätzlich ist die Atmosphäre der Kuschelpartys aber offen, heiter und wertschätzend. Die Teilnehmer/innen kommen schließlich explizit hierher, um mit Berührungen zu experimentieren und diese zu genießen. Die „Kuschelpartys“ gibt es auch nur für Frauen, mit Musik und mit unterschiedlich vielen Teilnehmer/innen. Abende finden deutschlandweit statt, vor allem in größeren Städten. Informationen zum Ablauf und den geltenden Regeln gibt z.B. die Website der Kölner Kuschelparty oder auch die Seite der Kuschelparty Berlin.
* Kuschelpartys sind momentan (noch) nicht wieder erlaubt, vielleicht aber ja eine Option, sobald wir uns mit Blick auf die Pandemie auch körperlich wieder näher kommen können.
5. Contact Improvisation: Berührung und Bewegung
Eine „Kuschelparty“ würde dich überfordern und das sportliche Element darf für dich nicht zu kurz kommen? Vielleicht ist dann Contact Improvisation* etwas für dich? Hier gestaltest, bzw. improvisierst du den Kontakt in Bewegung. Das kann von Blickkontakt über einen Tanz mit aneinandergelegten Fingerspitzen bis hin zu akrobatischen Hebefiguren reichen. Auch hier gilt: ihr erspürt gemeinsam, was geht und wie ihr euren Kontakt gestalten wollt. Anders als z.B. bei Biodanza fehlt hier das Element der Gruppe und du bist mehr „auf dich gestellt“, während du zu deinen „Mittänzern“ Kontakt aufnimmst. Die Begegnungen dabei können sich wunderbar leicht, heiter und auch sinnlich und erotisch anfühlen, ohne dass die erotische Anziehung, wie beim „Disco-Flirt“, Voraussetzung für die Kontaktaufnahme ist. Aber auch hier musst du damit umgehen können, dass deine Kontaktangebote gegebenenfalls nicht auf Resonanz stoßen, oder dir Berührung „angeboten“ wird, die du in diesem Moment und in dieser Form nicht wünschst und der du ein klares (non-verbales) „Nein“ entgegensetzen solltest. Auch hier kannst du also wunderbar deine körperlichen und auch emotionalen Grenzen kennen lernen und gegebenenfalls erweitern.
* Wie die „Kuschelpartys“ müssen momentan auch die Contact Improvisation-Sessions in Regionen mit hoher Inzidenz ruhen. Als spannende Möglichkeit der Berührung möchte ich sie hier dennoch erwähnen.
6. Berühren ohne Anfassen? Such dir ein „sinnliches“ Hobby!
So viel menschliche Berührungen suchst du gar nicht, möchtest auf sinnlichen Genuss aber nicht verzichten? Wie wäre es mit einem Hobby, dass all deine Sinne berührt? Kochen, Töpfern, Gärtnern oder die Arbeit mit Holz?* Warum nicht – allein oder gemeinsam mit anderen – einen Klumpen Teig durchkneten, mit feuchtem Ton rummatschen oder duftende Blumenerde durch die Finger rieseln lassen? Auch intuitives Malen kann ein Weg sein, dich auszudrücken und deinen Körper schöpferisch und in Bewegung zu erleben. Schenke dir diese sinnliche Begegnung mit dir selbst!
* Gute Nachricht: Diese Form sinnlicher Berührung ist auch unter Pandemiebedingungen möglich. Online findest du zum Beispiel Cooking-Events, bei denen du in deiner eigenen Küche während einer Live Video-Schaltung gemeinsam mit anderen ein vorher vereinbartes Gericht kochst. Das Werkeln mit Ton oder intuitives Malen ist mit Abstand oder im Freien auch vor Ort möglich.
7. Lass dich im Alltag berühren
Dein Alltag ist voll Begegnungen, du hast kaum eine Minute Zeit für dich und fühlst dich trotzdem einsam? Vielleicht berühren dich zu wenige deiner Kontakte wirklich? Achte einmal darauf, mit welchen Freund/innen oder Bekannten du dich spontan geborgen fühlst! Menschen haben unterschiedlich „warme“ Ausstrahlungen. So kann dich vielleicht schon der flüchtige Austausch mit einer anderen Mutter im Kindergarten „nähren“, wenn ihr dabei für einen Moment ehrlich eure Freude oder auch Besorgnis teilt. Auch ein Frühstück oder ein gemeinsamer Ausflug mit Freunden kann deinen inneren „Berührungsakku“ wieder aufladen. Achte auch einmal darauf, welche deiner Freunde dich zur Begrüßung und zum Abschied wirklich herzlich und eng umarmen.* Schenke diese Art der Berührung selbst Menschen, die du gern hast – natürlich immer vorausgesetzt, der oder die andere ist bereit dazu. Kuschle mit deinen Kindern und nimm auch ihre Zärtlichkeit als Geschenk an. Natürlich, sie fordern auch Nähe, wenn du sie vielleicht gerade gar nicht geben magst. Aber nimm auch wahr, wenn ihr eure Berührung gemeinsam genießt. Das Haareföhnen nach dem Baden, Vorlesen oder ein Film eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa oder aber Rangeln, bis euch die Luft wegbleibt? Dein Alltag kann voll Berührung und berührender Begegnungen sein. Sei schlicht bereit dazu!
* Umarmungen unter Freunden fehlen im Moment vermutlich vielen. Überlegt euch gegebenenfalls andere Rituale wie eine „Luftumarmung“ oder „Luftküsse“, um euch eure Verbundenheit zu zeigen. Persönliche Gespräche und gemeinsames Lachen können euch aber auch ohne Umarmung (seelische) Nähe tanken lassen.
Und wie war das jetzt mit dem Sex?
Du hast bis hierher gelesen und fragst dich, was das alles mit Sex – und damit mit dem Titel dieses Artikels – zu tun hat? Nun ja, meiner Erfahrung nach ist das Erfüllende an „gutem“ Sex, dass du dir und dem anderen dabei in wirklich tiefer Weise begegnest. Das kannst du aber nicht nur über Sex. Menschen gehen sexuelle Beziehungen und Partnerschaften aus den verschiedensten Gründen ein. Einer der am weitesten verbreitetsten ist wohl, um nicht allein zu sein. Bist du aber, zum Beispiel über eine der oben genannten Erfahrungen, mit dir selbst und mit anderen in Kontakt, fühlst du dich vermutlich nur noch selten einsam. Natürlich verlieben sich Allein- oder Getrennterziehende und haben Sex. Berühren kann dich das aber nur, wenn du berührbar bist. Gerade nach einer Trennung und den damit einhergehenden Verletzungen kann es hilfreich und heilsam sein, deinen Blick erst einmal auf mehr zu richten als die nächste Partnerschaft. Die Welt der Berührungen ist viel weiter, vielfältiger und bunter als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.
Was ist dein ganz persönlicher Weg, die Welt der Berührung zu erkunden?
Vielleicht magst du davon ja hier in den Kommentaren berichten?
Herzlichen Gruß, Sarah (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: Wikipedia Common; der Artikel enthält aufgrund von Markennennung unbezahlte und unbeauftragte Werbung]
Was immer berührt ist die Natur; wenn man sie nicht als totes Etwas betrachtet, kann sie berühren und sie lässt sich berühren.
Haustiere haben in Corona Zeiten angeblich zugenommen. Bleibt die Hoffnung, dass sie auch später geliebt werden und bleiben dürfen.
Ältere Menschen, die alleine leben, kennen die Notwendigkeit der Berührungen, meine Hausärztin meinte einmal zu mir, viele kommen einfach nur, um wieder einmal berührt zu werden.
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Danke für die Ergänzung! Wie schön formuliert: die Natur berührt und lässt sich berühren. Wie wahr!:-)
Und ich gebe dir Recht: gerade Alte, Geschwächte und Kranke brauchen eigentlich besonders viel Berührung und berührende Zuwendung. Doppelt schade, dass sich diese, z.B. im Rahmen institutioneller Pflege, oft auf die hauptsächlich medizinische und pflegerische Berührung beschränkt. Dabei ist doch so klar: am Anfang und Ende des Lebens fehlen noch und oft wieder die Worte, die Sprache der Berührung aber bleibt und tut – achtsam und respektvoll „gesprochen“ – so gut!
Herzlichen Gruß, Sarah
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Passt dazu: https://mutter-und-sohn.blog/2019/01/09/beruehrt-euch/.
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Passt auch dazu:
https://aquasdemarco.wordpress.com/2014/10/03/beruhrungen/
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Vor Corona geschrieben😉:
https://aquasdemarco.wordpress.com/2019/03/03/gemeinsam-einsam/
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Ich finde, speziell bei Männern merkt man bei mangelnden „Berührungen“ eine Art Wut, die sich oft in Kommentarspalten und im Verhalten widerspiegelt.
Aus der Traurigkeit wird Angst und aus der Angst Wut.
Ich möchte jetzt dich nicht mit Links überschütten, aber in diesem Post hab ich das Thema mal angeschnitten. Im Grunde dreht sich doch so ein Menschenleben um Liebe, Berührungen und Geborgenheit.🌻
https://aquasdemarco.wordpress.com/2019/12/31/mal-die-sau-rauslassen/
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Wunderbar! Herzlichen Dank auch für die verlinkten Texte. Ich hoffe, sie finden ihre Leser/innen!😊
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