Familie, Gesellschaft, Politik

36 Grad – Freibad gestrichen: „Neue Realität“ nach Corona

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Die Sonne brennt vom Himmel, einer der heißesten Tage des Sommers. Als Familie ohne Balkon spontan ins Freibad? Oder gar als Mutter ein paar einsame Runden, um Kraft für den Tag zu tanken, bevor die Becken am späten Vormittag überfüllt sein werden? Nicht mehr in der „neuen Realität“ nach Corona. Fürs Freibad in der Stadt ist auf der Website des Bades ein abrufbares E-Ticket erforderlich. Um dieses überhaupt anwählen zu können, ist für jeden potentiellen Besucher eine Registrierung erforderlich mit vollem Namen, Geburtsdatum und Adresse. Hat frau sich schließlich durch das Prozedere gekämpft, bleibt nur die ernüchternde Erkenntnis: alle „Eintritts-Slots“ längst ausgebucht – kein Freibad heute für uns.

Schutz ja! Aber in welcher Form?

Und – NEIN: Jetzt kommt kein pauschales Lamento über die Unsinnigkeit der Corona-Schutzmaßnahmen. Natürlich stecken sich Menschen mit Infektionskrankheiten an, wenn sie dicht zusammen kommen. Ohne Kontakt keine Übertragung. Natürlich machen somit Vorsichtsmaßnahmen Sinn. Anderen nicht ins Gesicht husten, Hände waschen, sich möglichst nicht unter Menschen mischen, wenn man sich krank fühlt. Und selbst die Mund-Nasen-Maske, von der sich manche/r besonders stark in seiner persönlichen Freiheit beschränkt fühlt, mag in Situationen, in denen man eben nicht ausreichend Abstand halten kann, einen gewissen Schutz für andere bieten.

Was mich dennoch immer wieder wundert und ehrlich gesagt auch meinen Widerspruchsgeist erweckt, ist die Inkongruenz einer Vielzahl dieser Maßnahmen. Einfacher formuliert: mir fehlt die Schlüssigkeit zwischen dem, was an einem Ort verboten und oft nur wenige Kilometer entfernt erlaubt ist, was die einen tun dürfen und was den anderen unmöglich gemacht wird. Die Bundesländer treffen ganz unterschiedliche Entscheidungen, in NRW müssen Schüler/innen z.B. im neuen Schuljahr ab Klasse 5 auch am Sitzplatz im Unterricht und sogar beim Spiel in den Pausen Masken tragen, in Sachsen benötigen selbst in Lokalen die Gäste keinen Mund-Nasenschutz und auch dem Personal wird das Tragen der Maske lediglich empfohlen. In NRW stellten zudem vor den Sommerferien offensichtlich zwei Wochen mit voll gefüllten Klassenzimmern und ohne Maske zumindest für Grundschüler/innen keine Gefahr dar. Oder warum sonst wurde der „Regelbetrieb“ in dieser Form in der Primarstufe noch kurz vor den Sommerferien wieder aufgenommen? Auch der anschließende Urlaub der Familien quer durch Deutschland und in die Nachbarländer – kein Problem. Nun jedoch, passend zur Rückkehr der Kinder in die Institutionen, sollen diese durch das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung eine Gefährdung verhindern, die bei den Entscheidungen davor offenbar nicht von Bedeutung war?

Was erwartet uns im Herbst diesen Jahres?

Was folgt als Nächstes? Wieder die Schließung von Kitas und Schulen, wenn im Herbst und Winter saisonal bedingt und aufgrund flächendeckend verfügbarer Corona-Tests die Infektionszahlen nach oben schnellen? Wieder die radikale Verlagerung des Unterrichts sowie kultureller und sozialer Angeboten in den digitalen Raum? E-Learning, Online-Vorträge und -Konzerte ersetzen nicht den Kontakt, der bei entsprechenden Veranstaltungen auch unter den Zuhörer/innen möglich ist. Und oft trifft es dabei gerade diejenigen, die diesen Kontakt dringend nötig hätten. An der Universität Heidelberg bot die Akademie für Ältere bis zum Frühling diesen Jahres regelmäßig Veranstaltung für kulturell und gesellschaftlich interessierte Senior/innen an. Während z.B. der Einzelhandel oder Fitnessstudios längst wieder geöffnet sind, bleibt das Programm der Akademie lediglich online verfügbar. Offiziell zum Schutz der Zielgruppe, die naturgemäß hauptsächlich aus Besucher/innen Ü60 besteht. Aber dürfte den Seniorinnen und Senioren nicht selbst überlassen werden, ob sie sich beim Besuch einer entsprechenden Veranstaltung einem Risiko aussetzen wollen? Wären hier nicht auch eher entsprechende Hygienemaßnahmen sinnvoll, statt gleich das ganze (Präsenz-) Angebot zu streichen? Das Ganze wohlgemerkt weit über die Wochen hinaus, in denen die Zahl der an Corona Erkrankten auch in Deutschland besonders hoch war.

Schutz oder (unnötige) Bevormundung?

Inwiefern machen hier Beschränkungen zum Schutz des Einzelnen Sinn und inwiefern bevormunden sie Menschen unnötig, die sehr wohl selbst entscheiden könnten, welche Risiken sie einzugehen wünschen? Welche Wertschätzung wird hier sozialen und kulturellen Angebote entgegengebracht? Und wer behält im Blick, dass ein gesunder Mensch nicht unbedingt derjenige ist, der einen korrektem Immunstatus und körperliche Unversehrtheit vorweisen kann, sondern derjenige, der auf allen Ebenen – körperlich, seelisch und geistig – in Besitz seiner Kräfte ist?

Gerade Kinder, Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen und Ältere brauchen meiner Meinung nach unsere besondere Fürsorge. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, ein Alltag mit Struktur und liebevoller Zuwendung sowie das Gefühl (noch) gebraucht zu werden, sind dabei essentiell wichtig. Diese Fürsorge besteht für mich nicht darin, den Zugang gerade für Kinder, sozial Schwache und alte Menschen zum öffentlichen Raum zu beschränken. Genau das geschieht aber, wenn z.B. Freibäder nur noch in gebuchten „Time-Slots“ von einer geringen Zahl von Menschen besuchen werden können, wenn preiswerte kulturelle Angebote einfach verschwinden und die Diskussionen um Infektionszahlen und Risikominimierung alle Fragen nach mehr als körperlicher Unversehrtheit verdrängen.

Wir leben nicht nur um nicht zu sterben

Natürlich, keiner will Tote wegen Corona. Aber bestenfalls leben wir für mehr als dafür, nicht zu sterben. Spätestens, wenn wir als Kind zum ersten Mal schwer gestürzt sind und wieder aufstehen, merken wir: das Leben ist nicht ohne Risiko. Aber wollen wir wirklich leben, können wir auch nicht jedes Risiko vermeiden. Staatlich und institutionell verordneter Schutz versus Eigenverantwortung und individueller Freiheit – zwischen diesen Polen werden wir uns wohl auch in den nächsten Wochen und Monaten bewegen. Welche Antworten wir dabei wohl finden werden?

Herzlichen Gruß, Sarah

[Foto: Pixabay]

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12 Gedanken zu „36 Grad – Freibad gestrichen: „Neue Realität“ nach Corona“

  1. Im Herbst erwartet uns die Pleite in Europa und Corona wird die Schuld in die Schuhe geschoben. Daher muss ein zweiter Lockdown her, aber die meisten Leute spielen das Spiel nicht mehr mit. Daher müssen erst ein paar drastische Maßnahmen her. Maßnahmen, die wieder genug Angst in die Bevölkerung bringen. Europa ist pleite und die Gelddruckerei findet das Ende in Banken, die dank Lockdown und der Misswirtschaft in den letzten Jahren keine Kredite mehr bedienen können. Geldentwertung und der daraus folgende Bankrott des Landes. Das erwartet uns ab Herbst. Oder es passiert, was die Menschen gerne hätten, alles wird wie vor der „Corona Krise“. Welche Version ist die des Aluhutträgers? Ist klar, aber mal schauen, wer am Schluss diesen Hut auf hat.

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    1. Hallo Robert, ich denke, in die Zukunft schauen kann keine/r. Wie ich im Artikel schreibe, ich hinterfrage die Schutzmaßnahmen keineswegs pauschal und bin persönlich sehr kritisch solchen Verschwörungsgedanken gegenüber. Mein Ding ist eher, die Gegenwart zu beobachten und Fragen dazu zu stellen. Und wie ich es auch schreibe, die Gesundheit des einzelnen, aber auch einer Gesellschaft im Ganzen, basiert für mich nicht nur auf körperlicher Unversehrtheit, sondern auch auf der Möglichkeit zu sozialer Teilhabe und dem seelischem Wohlbefinden der Menschen, die in ihr leben. Wir werden sehen, was das weitere Jahr diesbezüglich für uns bereit hält.

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    2. Hallo Sarah! An Wunder glauben was Menschen angeht, die nur sich selbst kennen ist nicht mein Ding. Ja und von genau solchen werden wir zur Zeit wieder ausgeplündert und hinter das Licht geführt. Sie wissen, dass der normale Mensch immer auf das Gute vertraut. Und das nutzen sie gnadenlos aus.

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  2. Deutschland hat ein demokratisches, föderalistisches politisches System. Das resultiert aus der jüngeren Geschichte.
    Vorteile einer Diktatur sind zentralistische Entscheidungen, die mit staatlicher Gewalt durchgesetzt werden. Folgen von Diktaturen sind bekannt.
    Im Föderalismus ist es etwas komplexer, die einzelnen Landesregierungen entscheiden viele Dinge für ihr Bundesland, auch Städte und Landkreise haben eigene Entscheidungsbefugnisse. Dieses ist absichtlich so angelegt, damit Machtmonopole sich ausschließen.
    Hier in Bielefeld ist es mit den Freibädern auch so. Das ist ärgerlich, aber immerhin hat man sich bemüht eine Regelung zu finden. Das ist für die Verantwortlichen nicht einfach und die Situation ist neu und recht komplex, ebenso die Stimmungen der Bürger.
    Wenn man über den Tellerrand schaut, mein Vater lebt in Spanien, ich habe Freunde in Mexiko, läuft es hier in meinen Augen recht gut und es gibt sehr wenig Einschränkungen.
    Es ist ein Abwägen, welches jeder auch für sich entscheiden darf, schütze ich mich und andere Menschen, oder lasse ich es darauf ankommen.
    Politik, das sind wir im Grunde alle, denn wir leben in einer Demokratie, es gibt nicht mehr allzu viele davon.
    Es ist ärgerlich nicht ins Freibad zu können, ärgerlich, dass Schule ausfällt. Es ist eine Zeit, die für viele Menschen ihre berufliche Existenz in Frage stellt.
    Es gab die Demo in Berlin, mit 20.000 Menschen, wir können uns entscheiden, alle Maßnahmen fallen zu lassen, wie teils in den USA. Wir können den Föderalismus abschaffen.
    Alles ist mit einer Mehrheit möglich. Meine Urgroßeltern haben sich damals mit für eine Diktatur entschieden. Es immer die Frage, was am Ende bleibt. Womöglich ist es ein Glücksfall, dass ihr keine Karte bekommen habt.

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    1. Hallo Aquasdemarco!
      Danke auch dir für deinen Kommentar, inklusive Exkurs zur deutschen politischen Vergangenheit…😉 Ich selbst weiß die Möglichkeiten unserer Demokratie sehr zu schätzen, unter anderem die Vielfalt an Meinungen, die Gehör finden können, selbst diejenigen, die die Staatsform selbst oder ihre Vertreter/innen in Frage stellen. Dass das möglich ist, empfinde ich als Glück und keinesfalls als Selbstverständlichkeit. Nichts desto trotz denke ich, dass es sich immer lohnt, politische Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, denn natürlich leben wir auch in einer Welt, in der nicht immer automatisch diejenigen gehört werden und zu ihrem Recht kommen, denen dies zustünde. Hier wachsam zu bleiben und z.B. den institutionellen Schutz der Allgemeinheit gegen die Freiheitsrechte Einzelner abzuwägen finde ich wichtig, gerade in der jetzigen Ausnahmesituation. Um das Planschen im Freibad geht es mir dabei nur am Rande. Du hast Recht: wer weiß, wozu es gut war, dass wir keine Karten mehr bekommen haben. Die Erfahrung war also nur der Anlass zu dem Beitrag, eigentlich geht es mir um die Fragen dahinter. Viele Grüße, Sarah

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    2. Ich war an Wochenende in HH und Lübeck/ Travemünde, meine Freiheiten wurden nur durch Hamburger Ampeln beschränkt, die eine unfassbar lange Zeit benötigen für Radfahrer und Fußgänger.
      Wir waren sogar bei einem Open-Air Konzert.
      Aber ich gebe dir in jedem Fall recht, dass man sehr, sehr achtsam auf die Freiheitsrechte schauen darf und sogar muss.
      Aber die Demo in Berlin zeigte, die Menschen haben die Freiheit zu demonstrieren, ob die Mehrheit es nun toll findet oder nicht.
      Ich bin froh, dass es in Deutschland keinen Lockdown gab, mit Ausgangssperren etc. Wenn wir alle weiter vorsichtig sind, kommen wir gut durch die Zeit.😀👍
      Meine Sorge ist eher ein sich wandelndes Klima und damit eine Wasserproblematik.🧊 Aber, seufz, es gibt viele Themen die fordern, eine spannende Zeit. Einen lieben Gruß zurück,
      André

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  3. Ja, ein großer Teil Deiner Anmerkungen stimmt. Die sehr unterschiedliche Handhabung von Maßnahmen in dem Bundesländern ist verrückt und unerklärbar. Nur ein eklatanter Fehler lässt sich im Artikel finden. Wir leben nicht in „nach Corona“, wir sind noch voll dabei.

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    1. Danke für deinen Kommentar. Und du hast natürlich recht: „vorbei“ ist hier noch nichts. Daher meine Frage, wie es wohl im Herbst und Winter weitergehen wird, wenn die Infektionszahlen vermutlich wieder deutlich steigen. Wer und was hat dann Priorität? Und mit welcher Begründung? Diesmal können wir uns die Fragen schon vorher stellen und nicht erst in der Krise selbst. Ich finde, das sollten wir auch tun.

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  4. Hi Sarah, danke für den Beitrag. Er stellt Fragen und das ist ja auch voll in Ordnung. Fragen stellen und sachlich miteinander reden ist so viel besser als so manches Geblöke dieser Tage.

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    1. Danke für deinen Kommentar. Ich finde einfach allzu große Gewissheit – egal in welche Richtung – in unsicheren Zeiten schnell suspekt. Mein Anliegen ist hinzusehen und ggf. darauf hinzuweisen, dass manche vielleicht überhört zu werden drohen.
      Es gibt ja weder „die Politiker“, die alle gleich denken, noch „die Familien“, „die Alten“ oder „die Risikopatienten“, für die nur die eine ausschließliche Lösung richtig wäre. Versuch, Irrtum, weiterer Versuch und eben die Bereitschaft, immer wieder zu fragen und ggf. den eigenen Kurs zu ändern. In einer so hochkomplexen Welt wie unserer bringt uns das wohl am ehesten weiter. Und daneben ist es dann doch wieder ganz einfach: als Basis unseres Handelns das echte Ansehen des Gegenübers, Großzügigkeit, Mitgefühl. Dann bräuchte es gar nicht so viel markige Sprüche und Geplärre. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit mancher Entscheidungen schließt das ja nicht aus.

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  5. Hi Sarah, vorab vielen Dank für den gelungenen Beitrag. Für Kinder, Eltern und Lehrer waren und sind die Einschränkungen durch Corona besonders hoch. Spielplätze, Kitas, Schwimmbäder, Schulen zu schließen und auf Home Schooling umzustellen war meines Erachtens ein großer Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen. Aber was hilft es. Wird also Zeit für Normalität mit Vernunft und Rückkehr zum Old Schooling.

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