Gesellschaft, Persönliches, Politik

Die Grenzen des Wachstums: Drei Fragen für soziales Handeln

1714C3F5-3174-4FC8-8EAA-5D5F12132128

Würde mir jemand prophezeien, ich könne meinen Sohn, z.B. durch die Gabe bestimmter Hormone, fünf Meter groß werden lassen, würde ich ihm wohl einen Vogel zeigen – nicht nur, weil mir eine solche Körpergröße nicht besonders erstrebenswert erscheinen würde, sondern weil sie schlicht anatomischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht. Auch jemanden, der mir verspräche, mit Wunderpille XY könne ich 150 Jahre alt werden oder alle Folgen des Alterungsprozesses hinter mir lassen, fände ich wenig glaubwürdig. Unsere biologisch definierten körperlichen Grenzen akzeptieren wir meist – wenn auch zum Teil zähneknirschend. 

Höher – schneller – weiter

Anders sieht es oft schon bei unseren psychischen und emotionalen Grenzen aus: wir brauchen nicht gleich zu Ritalin oder Amphetaminen zu greifen, auch Selbsterfahrungsworkshops, Coachings zur Work-Life-Balance oder die dritte Psychotherapie, um diese Angst wegzubekommen, die uns daran hindert, beruflich oder privat „durchzustarten“ – sie unterliegen dem Paradigma des Höher-Schneller-Weiter: Selbstverbesserung unter der Prämisse, es gebe irgendwo ein „Optimum“ unseres Selbst. Wenn wir uns nur genug anstrengen, „geht da noch was“, holen wir noch mehr aus uns heraus. 

Konsum und Wirtschaftswachstum

Noch klarer ersichtlich wird dieser „Wachstumswahn“ im Bereich der Wirtschaft. Was heute noch als gut genug erscheint, gilt morgen schon als veraltet, wird aussortiert und neu angeschafft. Halbjährlich neu auf den Markt geworfene Duschgels, Telefone, PCs, Autoserien etc. sind der tägliche Beweis dafür.

Vor einigen Tagen ist mir ein Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“ in die Hände gefallen. Er beschreibt die Herausforderungen, mit der eine Gesellschaft – und damit letztlich jede und jeder einzelne in ihr – konfrontiert wird, wenn sie sich dem Wachstum „entwöhnt“. Kein Dauerkonsum mehr, keine Fernreisen, kein Zweitwagen, bzw. Zweithandy, nicht das dritte Paar Schuhe oder das fünfte T-Shirt im Quartal. 

Leider bleibt der Artikel relativ vage, was Alternativvorschläge angeht: schließlich hänge in einer Gesellschaft, die auf stetig zunehmendem Wachstum basiere, auch der Arbeitsmarkt, das Krankenversicherungs- und Rentensystem vom Konsum ihrer Mitglieder ab. Jedenfalls in der heute existierenden Form als Solidaritätssystem einer (weitgehend) voll erwerbstätigen und somit „voll konsumfähigen“ Bevölkerung. 

Nicht jeder „träum[e] vom glücklichen Landleben“ jenseits kapitalistischer Strukturen, bemerkt der Artikel süffisant. Der „naturgegebene“ Wunsch des Menschen zur Kooperation oder gar zur selbstlosen Unterstützung anderer sei eher Mär denn Wirklichkeit – und solange jedem bei der selbstgeplanten Fernreise ins Billigurlaubsziel CO2-Emission und globaler Fußabdruck auf einmal unwichtig werde, bewege sich auch im Großen nichts ernsthaft in Richtung sozialer Kooperation und Umweltschutz. 

Ich stimme dem zu und möchte dennoch nicht tatenlos in die Klage vom „leider allzu egoistischen Individuum“ einstimmen. 

Egoistisch Gutes tun

Soziales Handeln darf durchaus egoistisch motiviert sein, das macht es nicht unbedingt schlechter. Fühle ich mich gut, weil ich mein Flaschenpfand z.B. einer Aktion wie Pfandtastisch helfen zugute kommen lasse, ist meine Handlung deswegen nicht weniger wert. Und verzichte ich aus Eigeninteresse an meiner Gesundheit auf antibiotikagesättigtes Fleisch aus Massentierhaltung oder Kosmetika mit Mikroplastikanteilen, fahre ich mit der Bahn oder dem Rad, weil mir ein eigenes Auto in der Stadt zu teuer und unpraktisch erscheint, schütze ich automatisch die Umwelt und unterstütze eine nachhaltigere Wirtschaft – aus reinem Eigennutz. 

Meine Motivation muss nicht selbstlos sein – und auch nicht kooperativ bis hin zur Landkommune. Was helfen kann, mitten in der Wachstums- und Konsumgesellschaft sozialer zu sein sind z.B.

Drei Fragen:

  1. Würde ich das auch essen/tragen/nutzen, wenn ich bei seiner Herstellung dabei sein müsste? 
  2. Brauche ich das wirklich?
  3. Wer kann das noch gebrauchen?

Zu 1: Was mir erstrebenswert erscheint, wird unter Bedingungen hergestellt, die für andere (Tiere wie Menschen oder die Umwelt) quälend und zerstörerisch sind – dann kaufe ich es NICHT.

Zu 2: Was mir heute erstrebenswert erscheint, brauche ich voraussichtlich morgen schon nicht mehr – dann kaufe ich es NICHT. 

Zu 3: Und was ich gerade im Begriff bin wegzuwerfen, braucht vielleicht ein anderer: dann leihe ich es oder verschenke es, bringe es zum Secondhand-Laden oder der Kleiderbörse und jemand anderes kauft eben nicht schon wieder neu.

Sozial und „nachhaltig“ handeln ist nicht nur etwas für „die Besten unter uns“ und es ist noch nicht mal besonders schwer. Mir persönlich hilft sehr der Gedanke: was lebe ich hier gerade meinem Sohn vor?

Und dann lebe ich es einfach. 

Wie geht es dir mit dem täglichen Konsum, dem „Höher-Schneller-Weiter“? Wenn du magst, berichte hier davon!

Herzlichen Gruß, Sunnybee

6 Gedanken zu „Die Grenzen des Wachstums: Drei Fragen für soziales Handeln“

  1. Wow, ein toller Beitrag, der mir schon wieder aus der (IMHO nicht vorhandenen) Seele spricht! Ja klar kommt es auf den positiven Impact an – wenn ich mich selbst bei einer Handlung gut fühle, ist der Impact noch umso besser. Und wenn ich gar nicht anders kann, zählt der Impact trotzdem. Ich kann z.B. nicht Auto fahren, weil ich blind bin. Das finde ich super gut, denn so komme ich gar nicht in die Versuchung, durch Abgase meine Umwelt und die Atemluft meiner Mitmenschen zu verpesten. Ich sehe, ebenfalls weil ich blind bin, die ganzen ach so tollen Dinge nicht, die ich kaufen könnte, und gerate viel weniger in Versuchung, sinnlose Dinge zu kaufen, die ich schon morgen nicht mehr brauche. Finde ich auch super, denn so habe ich weniger Ballast und Müll um mich herum, so verderben weniger Lebensmittel, weil meine Augen größer waren als mein Magen oder was auch immer. Ich kaufe fast nur Second Hand oder lasse mir ausgediente Klamotten, Möbel und sonstige Sachen anderer Leute schenken, weil ich schlicht nicht so viel Geld ausgeben will und oft auch gar nicht so viel flüssig habe – genauso spende, tausche oder verschenke ich Dinge, die ich nicht mehr brauche, mit großer Freude, damit sie nicht auf dem Müll landen. So ergeben sich unglaublich viele schöne und spannende Geschichten. Wer in meinem Blog mal Sperrmüll in die Suche eingibt oder das Schlagwort Recycling benutzt, findet ein paar Gedanken dazu. Kurzgefasst: Wenn es mir selbst Spaß macht, mich sozial, ökologisch oder in welchem Bereich auch immer nachhaltig und sinnvoll zu verhalten, wird mein Verhalten dadurch nicht weniger sondern meiner Meinung nach sogar noch mehr Wert, denn ich und mein Umfeld gewinnen dadurch an positiven, motivierenden Erlebnissen, Erfahrungen und Stories.
    Achja, ich fliege z.B. auch nicht, weil ich erstens Schiss davor habe und es zweitens meinem Hund nicht zumuten will – und natürlich, weil ich es im Angesicht des Klimazusammenbruchs nicht für vertretbar halte. Ist das jetzt schlechter, als wenn ich es nur wegen des Klimas so machen würde? 😉
    liebe Grüße
    Lea

    Like

    1. Liebe Lea, danke für deinen ausführlichen Kommentar und das Mitverfolgen meines Blogs!🙂 Ja – ein angenehmer „Nebeneffekt“ davon, wenn ich Dinge nicht allein aus dogmatischen Gründen tue, sondern, weil ich sie in irgendeiner Weise „lustvoll“ oder persönlich bereichernd finde, ist sicher, dass ich schlicht länger dabei bleibe – außer natürlich, Dogmen zu vertreten ist das, was mir die meiste Freude bereitet…😉 Viele Grüße und vielleicht bis bald wieder einmal hier im Blog, Sunnybee

      Like

  2. Hey Sarah,
    danke, dass du mich auf den Beitrag aufmerksam gemacht hast. Ich kann das voll unterschreiben. Nachhaltigkeit wird oft mit vielen Ausgaben gleichgesetzt, aber eigentlich ist es das nicht. Nachhaltigkeit bzw. ein bewusstes Leben beinhaltet doch vor allem, Dinge NICHT zu kaufen und so gebe ich am Ende nicht mehr Geld aus, sondern sogar weniger. Einzige Ausnahme sind natürlich Lebensmittel. Hier ist nicht kaufen keine Option. Man kann natürlich auf Fleisch verzichten und saisonales Gemüse bevorzugen, aber verpackungsfreie Lebensmittel oder Essen aus dem Bioladen sind teurer als abgepacktes Essen aus dem Discounter. Hier stoße ich tatsächlich an meine Grenzen.
    Wie unsere Gesellschaft ohne wirtschaftliches Wachstum aussehen soll, dass ist tatsächlich eine mehr als spannende Frage, der wir uns stellen müssen.
    LG Nadine

    Like

    1. Liebe Nadine, danke für deinen Kommentar! Ich finde, Bio-Fleisch spiegelt mit seinem Preis eben die realen „Produktionskosten“ von Fleisch: immerhin stirbt für meinen Genuss ein anderes Lebewesen. Ich kaufe z.B. nur noch sehr sporadisch Fleisch und Wurstwaren, so dass ich dafür im Ganzen nicht wirklich viel ausgebe; ich lebe einfach auch in diesem Bereich nicht mehr so stark nach dem Prinzip ständiger Verfügbarkeit, denn dieses macht ja gerade Massentierhaltung und Überproduktion erst „nötig“. Lieben Gruß, Sunnybee

      Gefällt 1 Person

    2. Wir kaufen gar kein Fleisch, deswegen ist das für uns tatsächlich weniger ein Thema. Also die Kinder essen ja im Kindergarten Fleisch, wenn sie wollen, und ich esse es, wenn ich irgendwo eingeladen bin oder auch schon mal im Restaurant. Meine Mann ist Vegetarier. Eher beschäftigt mich beim Thema Essen die Bio-Qualität und die Reduktion von Verpackungsmüll, aber wir haben mal einen Monat lang ohne Plastikverpackungen gelebt und das ist schon mit deutlich höheren Kosten verbunden gewesen…

      Like

  3. Da hast du recht: gerade die Verpackung ist wirklich lästig und im Supermarkt ja oft kaum zu vermeiden. Ein Austausch wie der mit dir gerade regt mich jedenfalls dazu an, mir das Thema wieder ins Bewusstsein zu rufen und wieder (mehr) darauf zu achten! Liebe Grüße nach Dresden😉 Sunnybee

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar