
Ende März 2020 erreichte die Corona-Pandemie Deutschland – ein Ereignis, das ich, wie vermutlich viele andere, als echte Zäsur erlebte. Die Pandemie, in Kombination mit den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung, beeinflusste in den Jahren 2020 und 2021 meinen Alltag als Mutter massiv, und bis heute spüren meine Kinder und ich die Folgen davon. Hier im Blog habe ich eine Zeit lang sehr viel über die sozialen Folgen der Pandemie geschrieben. Nun bin ich auf die Blogparade des Theologen, Autors und Medienschaffenden Heiko Metz gestoßen, der fragt: „Wie habt ihr als Familien die Corona-Zeit erlebt und was habt ihr daraus für euch und eure Familie mitgenommen?“ Hier meine Antwort.
Familienhorror Corona – stimmt das für mich?
Sehe ich mich heute, im Herbst 2022, in meinem persönlichen Umfeld um, hat sich im Vergleich zum Vorjahr viel verändert. Vieles davon zum Guten: Mein Partner arbeitet inzwischen sehr zufrieden in einem anderen Beruf als noch 2020 und auch ich bin aktuell nicht mehr als Lehrerin, sondern als Journalistin und Autorin tätig. Meine Kinder sind in Kita und Schule angekommen, wir haben als Familie mitten in der Pandemie einen Umzug von der Großstadt aufs Land gemeistert und uns gemeinsam unter einem Dach noch einmal ganz neu kennengelernt. Der gravierendste Unterschied für mich aber im Vergleich zum Herbst 2021: Ich darf heute, gemeinsam mit meinen Kindern, wieder am sozialen Leben teilhaben. Das war bis vor einem halben Jahr anders.
Soziale Ausgrenzung – für mich die schmerzhafteste Erfahrung der Pandemie
Im Frühjahr 2020, während der wochenlangen Schul- und Kitaschließungen, machte ich die Erfahrung, von einem Tag auf den anderen mit meinem Kind (damals war unser zweiter Sohn noch nicht auf der Welt) an vielen Orten unerwünscht zu sein. Einmal wurde ich sogar von einer Polizeistreife am Rande eines – übrigens menschenleeren – Spielplatzes angesprochen mit dem Vorwurf, ich begehe mit meinem Kind gerade eine Ordnungswidrigkeit. Wer erinnert sich? Das unsägliche Verbot für Kinder zu Beginn der Pandemie, sich öffentlichen Spielplätzen auch nur zu nähern. Als ich mich zunächst weigerte, die für die Erteilung eines Bußgeldes nötigen Personalien abzugeben, wurde mir die Alternative genannt, per Streifenwagen auf die Wache abgeführt zu werden (!). Nun ja. Ich gab damals meinen Namen und meine Adresse an. Zugleich schrieb ich der Oberbürgermeisterin unserer Stadt einen Brief, in dem ich nachfragte, was genau der Nutzen dieser Aktion im Sinn der Pandemieeindämmung gewesen sei. Eine Antwort erhielt ich nie, einen Bußgeldbescheid aber auch nicht. Statt dessen rief eine Passantin, als mein fünfjähriger Sohn in dieser Zeit einmal mit seinem Laufrad etwas zu dicht an ihr vorbeifuhr, lautstark: „Abstand!“. In Supermärkten war er nicht erwünscht, seine Freunde sah er wochenlang nicht und als wir einem von ihnen bei einem Spaziergang im Park nach wochenlangem Lockdown zufällig begegneten, durfte er sich ihm auf Wunsch der anderen Mutter nur auf 1,50 Meter nähern.
Ja, viele hatten große Angst zu dieser Zeit. Die Eigenschaften des Virus, das uns heimsuchte, waren noch weitgehend unbekannt. Und ich akzeptierte die Isolation, gewann ihr sogar phasenweise etwas Gutes ab. Sehr anstrengend waren diese Wochen trotzdem, zumal ich gerade unser zweites Kind erwartete. Aber meinen älteren Sohn auch nur tageweise in die Notbetreuung des Kindergartens bringen zu dürfen? Keine Chance: ich war offiziell in Elternzeit und gehörte daher nicht zu den „systemrelevanten“ Personen, deren Kinder die Betreuungseinrichtungen weiter besuchen durften oder – wie es einige auch empfanden – mussten.
Ein Jahr später, im Herbst 2021, wussten wir als Gesellschaft schon viel mehr über das Virus, unter anderem, dass die Übertragung überwiegend in geschlossenen Räumen unter vielen Menschen stattfand. Auch gab es inzwischen bereits einen Impfstoff gegen den Erreger. Statt für Entspannung zu sorgen, führte dies paradoxerweise jedoch zur zweiten Erfahrung der Ausgrenzung, die ich in dieser Pandemie machte. Diesmal weniger sichtbar und dadurch in gewisser Weise „einsamer“ als zu Beginn, als alle Menschen um mich herum durch Lockdowns und geschlossene Kitas und Schulen gleichermaßen aus ihrem Alltag gerissen worden waren.
Sozialer Druck als bewusste politische Entscheidung
Im Herbst 2021 durften Geschäfte, Kinos und Veranstaltungsorte wieder ihre Türen öffnen – allerdings unter strengen Auflagen. 3G, 2G, Hygienekonzepte, Maskenpflicht und Schnelltests gehörten als Vokabular auf einmal zu unserem Alltag als Familie. In dieser Zeit war mein zweiter Sohn ein Jahr alt und wieder stand ich mit ihm und seinem Bruder vor verschlossenen Türen. Von Oktober 2021 bis Ende März 2022 durfte ich als komplett gesunder Mensch gemeinsam mit meinen Kindern keine Bibliothek betreten, keinen Kinofilm besuchen, noch nicht einmal im Schuhgeschäft vor Ort neue Kinderschuhe kaufen. Der Grund diesmal „selbstverschuldet“: ich war weder von Corona offiziell genesen – wofür ich allerdings nichts konnte -, noch hatte ich mich gegen das Virus impfen lassen. Diese Entscheidung war im Herbst 2021 zwar offiziell meine Privatsache (eine amtliche Pflicht, sich impfen zu lassen, gibt es für die Allgemeinbevölkerung bis heute nicht). Der soziale Druck, sich für die Immunisierung zu entscheiden, war jedoch enorm, inklusive einer Dynamik gegenseitiger Verurteilung und Abgrenzung, die mich bis heute erschreckt. Vor allem, wie rasch sich nach der Solidarität im ersten Jahr der Pandemie dieses gesellschaftliche Klima entwickeln konnte, politisch und medial eher befeuert als begrenzt und innerhalb weniger Monate in Form neuer Gesetze festgeschrieben und damit auf einmal Realität aller.
Als Mutter hatte ich in dieser Zeit zum ersten Mal Angst in Bezug auf die Zukunft meiner Kinder und tatsächlich Momente, in denen ich an den regulierenden Mechanismen unserer Demokratie zweifelte. Bis heute spüre ich Unbehagen, wenn ich an diese Zeit denke. Zu viele Menschen waren zu leicht bereit, andere auszugrenzen, solange ihnen erklärt wurde, damit „das Richtige“ zu tun.
Was bleibt von der Pandemie – auch für Familien?
Aufgearbeitet wird das Ganze gerade kaum. Vielmehr habe ich den Eindruck, sehr viele möchten einfach wieder zurück zur Normalität, und zwar weder zu einer mit Masken und sozialem Abstand, noch zu einer neuen Sichtweise auf unsere Gesellschaft, mit weniger Konsum und einem respektvolleren Umgang unseren Mitmenschen und Ressourcen gegenüber. Statt dessen wird wieder fröhlich eingekauft, in den Urlaub geflogen und den eigenen Interessen gefolgt – als wäre die Zäsur der Pandemie nie da gewesen.
Vieles, was in der Pandemie politisch beschlossen wurde, war gut und hilfreich. Einiges erkennen wir heute aber auch als Irrtum – oder zumindest als mit weitreichenden negativen Folgen behaftet. Im berechtigten Wunsch, die Allgemeinheit vor einer Infektion zu schützen, ging so manches andere, ebenfalls berechtigte, Anliegen unter. Die Teilhabe aller Kinder an Bildung und sozialem Leben, zwischenmenschliche Kontakte, die gerade alten Menschen das Leben oft überhaupt noch lebenswert erhalten. Dazu der offene Diskurs und die Akzeptanz verschiedener, auch sich widersprechender, Standpunkte, den ich persönlich als Grundpfeiler einer Demokratie verstehe.
Was bleibt also von der Erfahrung der letzten zwei Jahre? Für mich persönlich Dankbarkeit, dass wir als Familie samt unseren Freunden und näheren Bekannten die Zeit gesund und ohne bleibende Schäden überstanden haben. Zugleich das sehr deutliche Bewusstsein, dass das nicht für alle in unserer Gesellschaft zutrifft. Dass zudem Familien und ihre Belange während der Pandemie von politischer Seite her leider lange nicht wirklich ernst genommen wurden. Und daraus resultierend der klare Wunsch, auch als Journalistin und Autorin immer wieder die Ausgewogenheit medialer Berichterstattung einzufordern und für diejenigen das Wort zu ergreifen, die selbst nicht laut genug für sich sprechen können. Alleinerziehende, Kinder, Mütter und Menschen überhaupt, die für andere sorgen – sie mussten in der Pandemie mit am meisten schultern. Darüber wurde inzwischen zwar viel gesprochen und geschrieben. Wirklich handfeste politische Entscheidungen, zum Beispiel hin zu echter, auch finanzieller, Aufwertung von Sorgearbeit, stehen aber noch aus.
Mein Fazit: nicht (nur) #familienhorrorcorona, auch #familienchancecorona. Die Chance, unsere Gesundheit, unsere sozialen Kontakte und gesellschaftlichen Freiheiten wertzuschätzen – und uns dafür einzusetzen, dass auch weniger Begünstigte daran teilhaben können. Das ist mein Wunsch und Ziel heute, im dritten Herbst der Pandemie. Mal sehen, was daraus wird!
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: privat]
Hallo Sarah – danke für den spannenden Einblick in Dein und Euer Erleben – und Deinen Beitrag zur Blogparade: https://www.heikometz.de/familienhorror-corona/
Ganz wunderbar, dass trotz vorhandenem #familienhorrorcorona auch ganz viel #familienchancecorona da war und ist. Genau diese Perspektive ist bei allem Horror immens wichtig – auch mit Blick auf den kommenden dritten Corona-Winter. Danke für Deine Ermutigung.
Deinen Wunsch, dass die Möglichkeiten für Chancen mitten in und aus der Krise noch viel gerechter verteilt werden müssten, schließe ich mich aus ganzem Herzen an! Da haben wir als Gesellschaft und seitens der Politik so wahnsinnig viel Luft nach oben … das ist so (vor allem nach der langen Zeit) absolut nicht tragbar.
Gruß, Heiko
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Danke, Heiko, dass du mir mit deiner Blogparade den Anlass gegeben hast für dieses (Zwischen-) Fazit! Ich hoffe, dass wir aus dem Schaden, der entstanden ist, ebenso lernen wie aus den Dingen, die gut gelaufen sind! Ob das wirklich geschehen wird? Vermutlich nicht, solange der Leidensdruck vieler noch nicht groß genug ist und solange diejenigen, die bereits leiden, nicht die Kraft haben, wirklichen politischen Druck aufzubauen (z.B. zugunsten von Pflegenden, Kindern und Jugendlichen oder auch verwahrten statt umsorgten alten Menschen). Veränderung darf nicht den Hilfsbedürftigen überlassen werden! Es braucht Fürsprecher/innen, die das Wort für diejenigen erheben, die es selbst nicht tun können.
Viele Grüße, Sarah
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