
Was in der Welt geschieht, interessiert mich. Ich würde mich als offenen und wissbegierigen Menschen bezeichnen. Zugleich habe ich seit Jahren keine Fernsehnachrichten mehr eingeschaltet. Und auch online und in Zeitschriftenform greife ich eher zur Reportage, dem politischen Kommentar oder der Hintergrundinfo, als zum tagesaktuellen News-Happen. Ganz entziehen kann ich mich den Schlagzeilen ohnehin nicht. Öffne ich die Seite meines Mailanbieters, poppen die Meldungen auf, im Lokal läuft der Newsticker auf dem Fernseher hinter mir und in der Großstadt ist jede U-Bahnfahrt mit „Latest News“ auf den Info-Screens der Bahn-Stationen garniert. Brauche ich das? Tut es mir gut? Eher nicht. Aber was will ich statt dessen? Eine Reflexion.
Warum ich aufgehört habe, Nachrichten zu lesen – liegt es an mir?
In der Washington Post habe ich vor einiger Zeit einen sehr spannenden Artikel gelesen: „I stopped reading the news. Is the problem me — or the product?“ In ihm gibt ausgerechnet eine Journalistin zu, seit Jahren keine Nachrichten mehr zu konsumieren. Warum?
„The news started to get under my skin. After my morning reading, I felt so drained that I couldn’t write — or do anything creative. I’d listen to “Morning Edition” and feel lethargic, unmotivated, and the day had barely begun.“
Sie fühlte sich von den überwiegend negativen, schockierenden und warnenden Meldungen schlicht deprimiert. Und nahm an sich zudem ein seltsames Phänomen wahr:
„The problem is, I wasn’t taking action. The dismay was paralyzing. It’s not like I was reading about yet another school shooting and then firing off an email to my member of Congress. No, I’d read too many stories about the dysfunction in Congress to think that would matter. All individual action felt pointless once I was done reading the news. Mostly, I was just marinating in despair.“
Statt dass sie all die Warnungen und Handlungsappelle tatsächlich zum Handeln brachten, erreichten sie das Gegenteil: ein Gefühl von Überforderung und Entmutigung und daraus resultierend Lethargie.
Warum lähmen uns Nachrichten, statt uns zum Handeln zu motivieren?
Was ist da los, fragte sich die Autorin: Warum haben selbst auf sie als Journalistin und „Medien-Profi“ die Nachrichten, die sie täglich konsumiert, eine solche Wirkung? Ihre Antwort ist so naheliegend wie verblüffend: Nachrichten, wie wir sie heute quasi nonstop präsentiert bekommen, sind schlicht nicht für uns gemacht. Sie missachten unsere Grundbedürfnisse als menschliche Wesen:
„Today’s news, even high-quality print news, is not designed for humans. As Krista Tippett, the journalist and host of the radio show and podcast “On Being,” puts it, “I don’t actually think we are equipped, physiologically or mentally, to be delivered catastrophic and confusing news and pictures, 24/7. We are analog creatures in a digital world.”
Wie müssten Nachrichten aussehen, die uns berühren – und aktiv werden lassen?
Was aber bewegt uns als Zuhörerinnen und Zuschauer dazu, Nachrichten tatsächlich nutzbringend und als Impuls für eigenes Handeln aufzunehmen? Wie werden die täglichen Meldungen wieder mehr als ein Strom an Neuigkeitsschnipseln, die wir träge konsumieren?
Autorin Amanda Ripley nennt drei Faktoren:
- Nachrichten sollten Hoffnung vermitteln, statt ein Gefühl von Bedrohung zu erzeugen.
- Sie sollten Menschen das Gefühl geben, etwas bewegen zu können.
- Und schließlich sollten sie Menschen helfen, ihre Würde zu bewahren. Indem sie sich für sie interessieren und ihnen vermitteln: du bist wertvoll. Deine Wahrnehmung der Welt und dein Handeln ist bedeutungsvoll.
„There is a way to communicate news — including very bad news — that leaves us better off as a result. A way to spark anger and action. Empathy alongside dignity. Hope alongside fear. There is another way, and it doesn’t lead to bankruptcy or puffery. But right now, these examples I’ve listed remain far too rare.“
Klimawandel, weltweite Pandemien, Kriege. Geflüchtete, die im Mittelmeer ertrinken, ein Schwinden globaler Ressourcen. Themen, die uns erschrecken und letztlich lähmen können. Es sei denn, die Meldungen, die wir darüber erhalten, enthalten zugleich Ansätze, wodurch eine Lösung möglich ist:
„The world will get better when people understand problems, threats and challenges, and what their best options are to make progress.“
Journalist/innen haben in der Hand, worüber unsere Medien täglich berichten
Journalistin Ripley sieht auch ihren eigenen Berufsstand in der Verantwortung. In Zeiten von Fake-News, Medienskandalen und einer unüberschaubaren Vielfalt an Nachrichtenkanälen zweifelt wohl manche Journalistin und mancher Journalist insgeheim an der Vertrauenswürdigkeit des eigenen Berufsstandes, ebenso wie an der tatsächlichen Veränderbarkeit von Missständen in der Welt. Diese Angst und Resignation aber fließt in die eigenen Texte:
„The people producing the news themselves are struggling, and while they aren’t likely to admit it, it is warping the coverage. News junkies tend to drink deeply from the darkness, mistakenly thinking it will make them sharper. All that angst has nowhere to go — and it leaks into our stories.“
Neue Wege der Berichterstattung – aber wie?
Warum also nicht tatsächlich andere Wege gehen? Weil Menschen Nachrichten, die ihnen Hoffnung machen, die an ihre Würde und Handlungsfähigkeit appellieren, nicht konsumieren würden? Autorin Ripley stellt die Frage: Wer hat das bisher ernsthaft ausprobiert? Als Journalistin wagt sie den Selbstversuch:
„It’s a kind of low-ego, high-curiosity journalism that I’ve started trying to emulate in my own work. I don’t always succeed. It can feel uncomfortable to, for example, let listeners dictate the subject of the podcast I host. But last month, I spent four hours at an antiabortion rally with a camera crew and did something I’d never done before: I just tried to understand, deeply, what people told me. I didn’t try to extract the most chilling quote or the vivid, ironic anecdote. I just asked deeper questions, without judgment. It felt less transactional, more human. I also felt more informed.“
Ist das die Form der Berichterstattung, die bei den drängenden Problemen unserer Zeit Menschen endlich zum Handeln bewegt? In positiver Weise und nicht aus Angst und Abwehr heraus? Klimawandel ja – aber was konkret können wir genau jetzt dagegen tun? Ein Virus, das potentiell tödlich sein kann, aber wie kann ich selbst aktiv mein Immunsystem stärken? Krieg in Land X, Y, Z – Was kann ich für die Menschen tun, die von dort zu uns kommen? Jenseits des althergebrachten „Bad-News-Are-Good-News“-Paradigmas? Jenseits der vermeintlich sicheren Auflage und hohen Klickzahl durch Negativschlagzeilen?
Wenn wir es nicht ausprobieren, werden wir es nie erfahren.
Hier der Artikel der Washington Post in ganzer Länge: I stopped reading the news. Is the problem me — or the product?
Nachdenkliche Grüße, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: Maren Amini/The Washington Post]