Familie, Gesellschaft

Muss Schule „kindlich“ werden? Ich sage: JA! (Blogparade #Schulstart)

Zwei Mädchen beugen sich konzentriert schreibend über ein Schulheft.


Muss Schule „kindlicher“ werden? – Ist Schule denn nicht schon verspielt und kindlich genug? Zumindest in den ersten Jahrgangsstufen, in denen die Basis der Bildung erworben und die grundlegende Haltung zu Schule geprägt wird? Wird hier nicht gemalt und gesungen, ausprobiert und sich noch viel im Unterricht bewegt und damit die kindliche Kreativität gefördert? Ja UND Nein. Denn Schule hat auch von Anfang an tief verinnerlicht das (erwachsene) Prinzip des Wettbewerbs, der Auslese der Besten, der Auszeichnung und des Ausschlusses Einzelner innerhalb einer strikten Hierarchie. Zudem sind die Menschen, die über Schule sprechen und schreiben, die Bildungspläne festlegen und in Ministerien über die langfristen Ziele der Bildungspolitik entscheiden, durchweg dem Schul- und oft auch weit dem Jugendalter entwachsen – und folgen nicht selten kritiklos dem Prinzip des Höher-Schneller-Weiter, das unsere Gesellschaft dominiert.

„Double-Bind“ im Unterricht

Tatsächlich sind Schülerinnen und Schüler im Verlauf ihrer Schullaufbahn oft einer Art „Double-Bind“ ausgesetzt: Was offiziell von ihnen gefordert wird, ist das eine, was sie eigentlich tun sollen, das andere. Offiziell bedeutend sind in der Schule Teamfähigkeit, Lösungsorientierung und eigenständiges Arbeiten – zumindest , wenn man aktuellen Lehr- und Bildungsplänen glaubt, in denen es von „kooperativen Lernformen“ und „Kompetenzen“ nur so wimmelt. Wer nun aber glaubt, dass eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und non-konformes Denken tatsächlich Ziel der Schule wären, irrt sich. Zumindest so, wie sie vielerorts nach wie vor praktiziert wird, geht es in Klassenzimmern oft eher darum, von außen vorgegebene Leistungen zu erreichen, Lernziele einzuhalten und dabei möglichst wenig aus der Masse der Mitschüler/innen herauszustechen. Auszeichnung erfährt, wer eine zuvor klar bestimmte Vorgabe erfüllt, nicht wer unkonventionell tatsächlich die Grenzen des Bestehenden sprengt. 

Wer schon einmal Kinder im Vorschulalter beim Malen beobachtet hat, wird verstehen, was ich meine: da hat der Hund auf dem Bild drei Beine und ein pinkes Fell und die Sonne leuchtet grün mitten im Bild. Die Schule dagegen schult Kinder darin, Dinge „richtig“ zu tun. Den Stift „richtig“ zu halten, die „richtigen“ Zahlen und Fakten zu verinnerlichen, die „richtige“ Herangehensweise an Problemstellungen zu üben. 

Heute lernen, was morgen wichtig ist?

Dass oft längst nicht nur eine Lösung möglich ist, dass jede Stoffauswahl und Schwerpunktsetzung notgedrungen interessengeleitet ist und dass wir heute eigentlich gar nicht so richtig wissen, was unsere Kinder in 10 oder 20 Jahren an Fähigkeiten brauchen werden, geht dabei oft unter. Statt dessen werden der Schulstoff und die in der Schule oft mühsam antrainierten Fähigkeiten als selbsterklärend wichtig dargestellt. Das sind sie häufig aber einfach nicht – oder zumindest wissen wir heute nicht, ob sie es in naher Zukunft noch sein werden.

Inwiefern dies etwas mit dem kindlichen und erwachsenen Prinzip – oder, neutraler formuliert, dem der Kooperation versus dem des Wettbewerbs – zu tun hat? Nun, tatsächlich setzt wirklich kooperatives Verhalten und Lernen die Annahme der Gleichwertigkeit (nicht die der Gleichheit!) aller Beteiligten voraus. In der Schule würde dies bedeuten: Lehrer/innen und Lernende gehen zwar eindeutig aus unterschiedlichen Positionen heraus an ein Problem heran, die Erwachsenen vermutlich auch mit einem Wissens- oder Kompetenzvorsprung, aber zugleich sind beide Positionen gleichwertig, das heißt, es findet ein echter und ergebnisoffener Austausch zwischen ihnen statt

Pädagogik der Gleichwertigkeit macht Schule zukunftsfähig

In einer solcherart pädagogischen Zusammenarbeit wäre eben nicht von vorne herein klar, dass der Lösungsweg der Lehrerin oder des Lehrers derjenige ist, dem die Schülerinnen und Schüler möglichst nahe zu kommen haben. Denn wer sagt, dass nicht genau das, was gerade nicht erfragt wird, was nicht zum Maßstab erhoben wird, in naher Zukunft maßgeblich sein wird? Wer hätte vor zwanzig Jahren gedacht, dass unsere Welt von Apps, neuartigen Viren und globalem Wissensaustausch definiert sein würde – und die Aufgaben darin bereits heute nur noch bedingt durch den Erwerb klassischen „Schulstoffs“ erfasst und bewältigt werden können? 

Werden die heutigen Erstklässler/innen in zehn Jahren überhaupt noch mit Stift und Papier kommunizieren – und inwiefern bereiten sie die Grundrechenarten auf den Umgang mit Kryptowährungen und globalen Algorithmen vor? Expert/innen weisen immer wieder auf die Bedeutung hin, die in Zukunft die Auswahl und Bewertung von Information haben wird – und eben nicht die Fähigkeit, Fakten und Sachverhalte möglichst kritiklos aufzunehmen und korrekt wiederzugeben. Genau dies trainiert Schule, wie sie heute praktiziert wird, aber oft noch immer, kombiniert mit einem letztlich mehr als dummen Wettbewerbsgedanken: zu den Besten gehört, wer das bestehende Wissen am korrektesten wiedergibt und verwaltet – nicht, wer tatsächlich weiterdenkt. Was wirklich neu ist, macht innerhalb des Systems Schule sogar oft Angst. Weil es eben mit Ungewissheit, zusätzlicher Anstrengung – und, plakativ gesagt, der Erarbeitung neuer Lehrwerke – verbunden ist. Zumindest, wenn man davon ausgeht, dass Wissen etwas sei, was in erster Linie aufgenommen und verwahrt werden müsse, nicht eine sich ständig verändernde Lebens-Fähigkeit. So aber versteht bereits unsere heutige Welt echte Kompetenz: mit dem, was da ist, bestmöglich umgehen und noch nicht Bekanntes antizipieren sowie darauf reagieren zu können. 

Unsere Kinder werden Lösungsfinderinnen und Lösungsfinder sein

Unsere Kinder werden Lösungsfinderinnen und Lösungsfinder sein müssen – und die bereits bekannten Lösungen werden ihnen dabei nur bedingt weiterhelfen. Statt sie also in einen Wettbewerb zu zwingen, im Rahmen dessen sie bestehende – voraussichtlich bald veraltete – Lösungen möglichst akkurat wiederzukäuen haben, sollten wir ihnen zutrauen, gemeinsam und gleichwertig mit ihren Lehrerinnen und Lehrern Neues zu erschaffen. Sehen wir zwei Sechsjährigen zu, wie sie aus Stöcken Boote und aus einem Stein eine Anlegestelle bauen und sich mit dem Austarieren der Fracht ihrer „Boote“ eine halbe Stunde lang beschäftigen. Das ist die Art von Kreativität, die ich mir auch für unsere Schulen wünsche: aus dem, was noch gar nicht da ist, Neues zu schaffen – und damit das Bestehende wie nebenbei in der Tiefe zu begreifen. 

Schreibt mit: Blogparade „Schulstart!“ noch bis 31.10.22 auf mutter-und-sohn.blog

Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Blogparade „Schulstart! Was Schule ist und was sie werden kann“ auf mutter-und-sohn.blog. Sie läuft noch bis 31.10.2022. Alle Infos, wie ihr teilnehmen könnt und die bereits eingereichten Beiträge findet ihr hier:


Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

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2 Gedanken zu „Muss Schule „kindlich“ werden? Ich sage: JA! (Blogparade #Schulstart)“

  1. Ein wunderbarer Beitrag zu deiner eigenen Blogparade 🙂 Das Problem an dem Gedanken der „Besten“ ist auch, dass alle Schüler*innen das Gleiche lernen und dadurch Vergleichbarkeit entsteht. So wie aber beispielsweise jedes Kind sein eigenes Boot an der Anlegestelle bauen wird, so würde auch jedes Kind auf einem Musikinstrument unterschiedlich musizieren, eine andere Sprache lernen oder ein anderes Buch lesen. Offene Fragen wie „Wie könnte man die Arten in unseren heimischen Wäldern schützen?“ oder „Was hätte im Mittelalter geholfen, die Sterblichkeit zu senken?“ würde Kinder und Jugendliche dazu anregen, ganz unterschiedlich an ein Thema heranzugehen – und am Ende muss vielleicht gar nicht alles immer „richtig“ sein. Gerade auch die Diskussion am Ende ist wertvoll. Aus Fehlern lernt man nämlich – sie sollten keine 4, 5 oder 6 bringen.

    Oft fehlt bei solchen Projekten dann aber die Vergleichbarkeit, denn wir sind darauf getrimmt, herauszufinden, wer es am Besten gemacht hat und der bekommt seine 1. Dabei funktioniert die „richtige Welt“ gar nicht so. Wenn ich eine Website baue, dann sitzen da nicht 26 Designer und machen das Gleiche und wir nehmen am Ende die beste Version. Nö. Es ist ein Prozess gemeinsam mit dem Kunden; ich beschäftige mich mit dem Thema, mache Vorschläge und arbeite das Konzept aus. Vielleicht arbeitet man auch als Gruppe, aber nicht gegeneinander. Am Ende wird es nur ein Ergebnis geben, das dann umgesetzt wird. Und das ist vielleicht gar nicht das BESTE. Irgendjemand hätte das garantiert besser gekonnt. Irgendjemand hätte auch eine schönere Präsentation zusammengestellt, bessere Brötchen gebacken, schneller die Umsatzziele ermittelt, geschmeidiger operiert, die Kinder mehr gefördert, mit dem Geschäftspartner härter verhandelt, beeindruckender genäht, schneller repariert etc. Ja, aber im „richtigen Leben“ ist die Leistung einer Person gut genug. Sie muss nicht noch mit 26 anderen verglichen werden.

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    1. Liebe Nadine,
      herzlichen Dank für diesen Kommentar! Ich antworte dir mal aus Lehrerinnensicht: Ich denke, es hat viel damit zu tun, ob ich als LehrerIn selbst noch Neues von meinen SchülerInnen erfahren will und vor allem erwarte, dass das geschehen wird – oder aber, ob ich verinnerlicht habe, dass es eine „richtige“ Lösung geben muss und dass eben ich als LehrerIn allein diese kenne und vermittle (höhö, was für eine Selbstüberschätzung…)

      Leider lernen das LehrerInnen auch in ihrer Ausbildung noch viel zu oft: Vorgehen XYZ ist das didaktische „Ideal“ (perfekter Stundeneinstieg, effizienteste Korrektur, ideale „Phasierung“ im Unterricht) und dem ist für die Eins im Ref nachzukommen. Wer das 1,5-2 Jahre unter massivem (Leistungs-) Druck mitmacht, ist oft ein Berufsleben lang auf dieses „Falsch“ und „Richtig“ geprägt. Und das Korrektiv für LehrerInnen, dass viele Meinungen gelten und richtig sein können, fehlt ohne standardmäßigen Austausch über den eigenen Weg der Pädagogik im Schulalltag (Supervision, kollegiale Hospitation, SchülerInnen-Feedback) schlicht. Ich denke, das ist einer der Fehler im (Schul-) System, unter dem wirklich innovative LehrerInnen, SchülerInnen und damit auch das „System Schule“ als Ort des Neudenkens und des echten Lernens leidet.

      Das zu analysieren ist eines, es wirklich zu verändern, etwas anderes. Dafür müsste schon die Lehramtsausbildung ganz anders laufen.😅
      Herzlichen Gruß, Sarah

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