Familie, Gesellschaft

Neue Wege für eine familienfreundliche Gesellschaft. Teil 3: Wie wollen Familien leben?

Drei Jungen auf Wiese, von oben fotografiert.


Teil 3 von 3 der Blogreihe „Neue Wege für eine familienfreundliche Gesellschaft“

Hier geht’s zu Teil 1 „Wie wollen Familien arbeiten?“, hier zu Teil 2 „Wie wollen Familien wohnen?

Wie wollen Familien leben? Welchen Werten wollen Familien folgen? Eine einheitliche Antwort gibt es hier sicher nicht. In den letzten zwei Jahren war viel von einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen innerhalb von Familien die Rede. Zugleich erfordern massive ökonomische, soziale und auch geopolitische Veränderungen ein undogmatisches und zukunftsorientiertes Familienbild. Denn: das Ideal der Kleinfamilie, das seit rund 200 Jahren unsere Gesellschaft prägt, ist nicht mehr zeitgemäß – ebenso wenig wie ein rein auf die Befriedigung individueller Bedürfnisse ausgerichteter Lebenswandel. Familien sind nicht autark, das heißt, von ihrer Umwelt unabhängig. Eltern und Kinder brauchen andere Menschen zur Unterstützung und Begleitung. Und nicht zuletzt weisen wir als Familien über das Jetzt hinaus: unsere Kinder sind die Generation, die heute lebt, aber die Zukunft noch erleben und mit gestalten wird. Eine wirklich familienfreundliche Gesellschaft muss schon allein deswegen Nachhaltigkeit zu einer ihrer Kernthemen machen. Aber wie kann das konkret aussehen? Im Kleinen und im Großen? Für den dritten und letzten Teil meiner Blogreihe „Neue Wege für eine familienfreundliche Gesellschaft“ habe ich mit zwei Frauen gesprochen, die sich genau diese Fragen stellen. Ein inspirierender Abschluss dieser Reihe!

Inhalt

  1. Interview: Welche gesellschaftlichen Bedingungen brauchen Familien, um nachhaltig leben zu können?
  2. Zwischen Motivation und Ernüchterung
  3. Wie geht Nachhaltigkeit in einer Wettbewerbsgesellschaft?
  4. Und wie geht Nachhaltigkeit im Alltag?
  5. Interview: Nachhaltig leben als Familie – so geht’s
  6. Unsere Motivation als Blogger/innen
  7. Gesellschaftliche Veränderung ist nötig – und möglich
  8. Nachhaltig leben als Familie – so gelingt es uns
  9. Wer private Veränderung will, muss gesellschaftliche Veränderung schaffen
  10. Mehr von mutter-und-sohn.blog?

Interview: Welche gesellschaftlichen Bedingungen brauchen Familien, um nachhaltig leben zu können?

Doreen Brumme hat privat wie beruflich Nachhaltigkeit zu ihrem Thema gemacht. Als „Bio-Journalistin“ schreibt sie über Umweltschutz, erneuerbare Energien und ressourcenschonenden Lebensstil. Als vierfache Mutter beschäftigt sie sich darüber hinaus mit allem, was für sie und ihre Kinder von Bedeutung ist: Klimawandel, Bildung und Digitalisierung.

Porträt Doreen Brumme
Journalistin und #motherof4 Doreen Brumme

Im Interview, das ich Mitte des Jahres mit ihr führen konnte, bringt Doreen Brumme auf den Punkt, warum ihr ein nachhaltiger Lebensstil wichtig ist – auch für ihre Familie: „Es geht mir darum, Nachhaltigkeit als das grundlegende Prinzip fürs Leben tief zu verankern. Das heißt, Schluss mit immer mehr, immer schneller, immer höher, immer weiter – dem Ein und Alles der hochkapitalistischen Leistungsgesellschaft. Um unser aller Überleben auf diesem Planeten zu sichern, ist weniger eindeutig mehr.“

Zwischen Motivation und Ernüchterung

In Ihrer Doppelrolle als Journalistin und Mutter schwankt Doreen Brumme dabei zwischen Motivation und Ernüchterung: „Als Journalistin schreibe ich tagtäglich [über Nachhaltigkeit], informiere, zeige auf, was im Kleinen wie Großen zu tun ist. […] Als Mutter fällt es mir immer schwerer, meinen Kindern das zu geben, was mir wichtig ist: Hoffnung und Zuversicht auf eine lebens- und liebenswerte Zukunft. Ich scheitere damit kläglich, denn ich kann die Unbelehrbarkeit der Menschen, die derzeit in den entscheidenden Positionen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht handeln oder nicht genug handeln, nicht erklären. Ich denke, es hat viel mit Betroffenheit zu tun, die viele von diesen Menschen noch nicht spüren. Doch das kann keine Entschuldigung für das Nichtstun oder Zuwenigtun sein. […] In diesem Sinne vermittle ich im familiären Rahmen das Bewusstsein für das eigene Handeln, das immer Konsequenzen hat: für einen selbst, für die Menschen im Umfeld, für die Umwelt.“

Wie geht Nachhaltigkeit in einer Wettbewerbsgesellschaft?

Wie aber sollen Kinder lernen, innovativ zu denken und die bestehende Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft zu hinterfragen, wenn vorgegebene Antworten und das Ringen um Leistung in Bildungseinrichtungen und Schulen ihren Alltag prägen? „Mit vier Kindern im deutschen Schulsystem weiß ich, dass es schon bei den ganz Kleinen losgehen müsste, nachhaltige Werte zu vermitteln“, so Doreen Brumme: „Wenn ich allerdings sehe, wie viele Ideen meiner Kinder und ihrer Freunde ungehört verhallen, weil sie über die Grenzen der unsäglichen Wiedergekäue-Schablonen der deutschen Schule hinausführen und somit nicht im Lehrplan stehen, dann wächst meine Wut. Schule, so, wie wir sie derzeit praktizieren, hat keine Zukunft. Sie erstickt früher oder später die Freude am Lernen, mit der jedes Kind geboren wird. Schule macht krank. Sie zerstört Selbstliebe und Selbstwert. Sie bringt Kinder und Jugendliche dazu, daran zu zweifeln, dass sie liebenswert sind und diese Welt sie braucht, so, wie sie sind. Denn sie sind immer richtig. Das zu ändern, ist die Aufgabe von uns Eltern.“

Für ihre Kinder wird die vierfache Mutter selbst aktiv: „Das fängt auf dem Elternabend an. Ich mache dort meinen Mund auf. Frage nach, fordere ein. In den unsäglichen Lernentwicklungsgesprächen mache ich weiter. Ich ermutige meine Kinder zunehmend zu Einspruch, Widerspruch und Verweigerung, wenn sie fühlen, dass Schule ihnen oder ihren Freunden weh tut. Ich unterstütze die Forderung nach Abschaffung von Noten, insbesondere für Sport, Musik, Kunst. Es gibt so viel, was wir Eltern verändern müssen. Denn wir müssen verstehen, dass Schule unsere Verantwortung ist. Wir müssen Schulen als Bewahrungsanstalten und Berieselungsinstitutionen auflösen und unsere Welt zu einem einzigen Lernort für alle machen. […] Ich wünsche mir das vielzitierte Dorf, dass sich um die Kinder kümmert. Wenn wir das schaffen, dann verändern wir damit alles.“

Und wie geht Nachhaltigkeit im Alltag?

Wie wir uns als Eltern gemeinsam mit unseren Kindern jeden Tag für mehr Nachhaltigkeit einsetzen können, zeigt Doreen Brumme anhand ihres eigenen Familienlebens: „Wir kaufen Regional und Bio, wenn es das Budget zulässt. Wir kaufen unverpackt, wenn es das Budget zulässt. Wir verzichten auf Plastik, wenn es das Budget zulässt. Wir kaufen frisch, wenn es das Budget zulässt. Drei von sechs Familienmitglieder leben inzwischen vegan, die anderen drei essen sehr bewusst wenig Fleisch. Im Grunde ist unsere Katze unser größter Fleischfresser im Haus. Wir kaufen wiederverwendbar, wenn es das Budget zulässt. Wir trennen akribisch Müll, sparen Ressourcen in Küche, Bad und am Schreibtisch. Wir haben uns dauerhaft von unserer dieselfressenden Familienkutsche getrennt und fahren Tretroller, Fahrrad, Bus und Bahn. Für den Urlaub im Inland mieten wir ein E-Auto. Wir beziehen seit vielen Jahren Ökostrom. Wir heizen kaum, ziehen uns dafür wärmer an. Das sind zig kleine Maßnahmen, die in Summe nachhaltig wirken.“

Dennoch macht sie deutlich, dass auch ihr Familienalltag alles andere als perfekt ist, was das Thema Nachhaltigkeit angeht. Sei es der hohe Stromverbrauch aufgrund ihrer Mediennutzung als (Groß-) Familie, ihr Kleiderkonsum oder die Verwendung von Lieferdiensten und Online-Handel, um den Alltag zu erleichtern – auch mit bester Absicht ist die „Bio-Balance“ der Familie ausbaufähig.

Doreen Brummes Fazit ist somit angenehm undogmatisch und trotz aller Sorge motivierend: „Es ist ein verdammter Trugschluss, mit dem wir in dieser Leistungsgesellschaft aufwachsen, dass wir nur einen Versuch, nur eine Chance haben. Stimmt nicht! Jeder von uns darf noch mal! Und nochmal! Was mir heute nicht gelingt, das probiere ich morgen wieder!“

Interview: Nachhaltig leben als Familie – so geht’s

Blogger/innen Jani und Freddy (gruenesfamilienleben.de)
Blogger/innen Jani und Freddy (gruenesfamilienleben.de)

Auch für Janina („Jani“) und Frederik („Freddy“) Enning ist Nachhaltigkeit ein Herzensthema: Seit 2018 schreiben sie in ihrem Blog gruenesfamilienleben.de über Minimalismus, ressourcenschonenden Konsum, Selbstversorgung sowie vegetarische und vegane Ernährung. Ich habe Jani drei Fragen zu ihrem Alltag als nachhaltig lebende Familie gestellt:

Unsere Motivation als Blogger/innen

Als Blogger/innen zeigt ihr ganz konkret, wie Minimalismus und Nachhaltigkeit im Familienalltag möglich ist. Warum liegt euch das Thema so am Herzen, dass ihr seit rund vier Jahren intensiv darüber schreibt?

Jani: „Da gibt es nicht den einen Grund. Zum einen geht es uns um Ressourceneinsparung. Wir haben nur eine Welt und die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse. Das geht uns alle an. Wir müssen alle im Kleinen anpacken, damit wir im Großen etwas verändern. Nachhaltigkeit kann man sehr gut mit Minimalismus verbinden. Minimalismus bedeutet, sich auf das Wesentliche/Notwendige zu beschränken, was auch nachhaltig ist, weil man weniger Ressourcen verbraucht. Da schließt sich der Kreis. Es tut uns zudem mental einfach gut, dem Konsum zu entsagen und uns nicht mehr damit zu beschäftigen. Die Zeit, die freigewordene Energie und das gesparte Geld setzen wir dann anderweitig, z. B. in Erlebnisse, ein. Wir machen das alles nicht perfekt, machen Fehler und lernen immer wieder dazu. Aber es ist uns ein Anliegen, darüber zu schreiben und Menschen zu motivieren und vielleicht zum Umdenken anzuregen oder zu inspirieren. Natürlich ohne erhobenen Zeigefinger.“

Gesellschaftliche Veränderung ist nötig – und möglich

Was müsste eurer Meinung nach getan werden, um auch Familien außerhalb einer bürgerlichen, internetaffinen und ohnehin an Umweltthemen interessierten „Bubble“ für Nachhaltigkeit zu begeistern? Welche politischen Schritte sind eurer Meinung nach hierfür nötig?

Jani: „Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. In vielen Köpfen fehlt noch das Verständnis für den bestehenden Klimawandel und die Wichtigkeit, etwas zu verändern. Wir haben keine Zeit mehr. Das Problem ist, dass die Parteien komplett unterschiedliche Interessen verfolgen und unterschiedlich laut sind. Zudem ist der Lobbyismus ein großes Problem. Der Einfluss der Industrie und von Unternehmen ist einfach riesig. Lobbyismus muss verboten werden. So lange es auch Ketten wie Primarkt & Co. gibt und Massen die Läden stürmen, ist das Umdenken einfach noch nicht in den Köpfen angekommen.

Nachhaltig zu leben ist aber auch ein gesellschaftliches Thema: Menschen definieren sich aus verschiedenen Gründen manchmal über ihren Besitz. Finanziell schlechter gestellte Menschen müssen sich oft zwingend einschränken oder kaufen vermehrt, um die Armut zu verstecken, und manche reiche Menschen interessiert Umweltschutz gar nicht. Es ist ein komplexes Thema. Im Blogbeitrag „Ist Minimalismus nur was für Reiche oder Gutverdiener?“ habe ich ein paar mehr Gedanken dazu niedergeschrieben.

Die Einführung des 9-Euro-Ticket war ein erster guter Aufschlag, auch wenn er nicht aus Nachhaltigkeitsgründen verabschiedet wurde. Das sollte unbedingt weitergeführt werden, auch weil sich alle das Ticket leisten können und es jedem zu Gute kommt. Dazu muss zwingend der Öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. Es gibt Gegenden, da ist es hoch problematisch und schlicht schwer möglich, Bus und Bahn zu nutzen. Der Radverkehr muss gefördert und ausgebaut und der Verkehr fahrradfreundlicher gestaltet werden. Das Autofahren muss teurer und unlukrativer werden. Auch sollte der Ausbau von Solaranlagen und klimafreundlichen Alternativen, wie z. B. Wasserstoff fürs Auto, gefördert werden.“ 

Nachhaltig leben als Familie – so gelingt es uns

Besonders gut an eurem Blog gefällt mir die Mischung aus Reflexion und Tipps zur praktischen Umsetzung nachhaltiger Ideen. Wie hat sich euer eigenes Familienleben verändert, seit ihr „grün“ lebt? Was läuft gut, wo seht ihr noch Potential zu Veränderung?  

Jani: „Es gibt innerhalb unserer Familie viele positive Veränderung. Um nur ein paar zu nennen: Wir kaufen nicht mehr wahllos und überdenken und planen unsere Einkäufe, auch Lebensmitteleinkäufe. Dadurch schmeißen wir auch weniger Dinge und Lebensmittel weg. Wenn wir etwas außerhalb von Lebensmitteln benötigen, versuchen wir möglichst viel Second Hand oder Fair Trade zu kaufen. Unser Haus entspricht mittlerweile unserem Naturell und ist minimalistisch gestaltet: Offen, freundlich, hell, mit wenig Kram, der rumsteht. Alles passt zusammen. Das war früher anders. 

Wo wir definitiv noch Potential nach oben haben, ist die Nutzung unseres Autos. Wir haben die Kilometerzahl schon halbiert, kommen aber im Durchschnitt noch auf 600 km pro Monat. Derzeit fahren wir auf Grund der Corona-Pandemie nicht mit dem Bus. Da würde sich sicherlich noch die ein oder andere Strecke einsparen lassen. Das wird sich wieder ändern, sobald es die Situation zulässt. Ansonsten fahren wir viele Strecken und den Arbeitsweg mit unseren E-Bikes.“  

Wer private Veränderung will, muss gesellschaftliche Veränderung schaffen

Nachhaltiges Leben als Familie ist also möglich. Es ist aber immer mit Veränderungsprozessen innerhalb der Familie, aber auch in der sie umgebenden Gesellschaft verbunden. Dinge für Familien grundlegend zum Besseren zu verändern und dabei gesellschaftlich am Bestehenden festzuhalten ist meiner Meinung nach unmöglich. Wer im Privaten Veränderung will, muss die Gesellschaft, die Familien umgibt, verändern. Anregungen, wie das möglich ist, will auch diese Blogreihe geben!

Welche dieser Vorschläge und Beispiele überzeugen euch? Welche nicht? Und was braucht unsere Gesellschaft eurer Meinung nach, um wirklich familienfreundlich zu werden? Schreibt und diskutiert mit – ich freue mich auf eure Kommentare!

Hier geht’s zu Teil 1 „Wie wollen Familien arbeiten?“, hier zu Teil 2 „Wie wollen Familien wohnen?

Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familienthemen und Mutter eines Babys sowie eines Kindergartenkindes.

Mehr von mutter-und-sohn.blog?

Ja, du willst keinen Beitrag mehr verpassen!

Auch über die sozialen Netzwerke FacebookTwitter oder LinkedIn kannst du dich mit mir vernetzen. Mehr zu aktuellen Terminen und Projekten als Autorin erfährst du über Instagram.

Ich freue mich auf dich!

[Fotos: Pixabay, Karolina Doleviczenyi, gruenesfamilienleben.de; dieser Beitrag enthält aufgrund der Nennung von Unternehmens-Websites Werbung. Diese ist unbezahlt und unbeauftragt.]