Gesellschaft, Politik

Business trotz Virus. Corona und die soziale Gerechtigkeit

Obdachloser mit Maske und Gummihandschuhen

Im Frühjahr 2020 kam das Corona-Virus über uns wie eine Naturgewalt. Im ersten Lockdown wurden Schulen und Kindergärten komplett geschlossen, das soziale Leben eingefroren und Menschen hamsterten in den Supermärkten Lebensmittel und Klopapier. Deutschland befand sich im Ausnahmezustand – verständlich angesichts der Bedrohung durch eine Krankheit, wie sie Europa seit der Spanischen Grippe vor rund 100 Jahren nicht mehr gekannt hat. Inzwischen sind jedoch fast 1 1/2 Jahre seit Beginn der Pandemie vergangen und es zeigen sich immer deutlicher die Folgen politischer Entscheidungen, die zwar das Ziel der Viruseindämmung zu erreichen scheinen, dafür aber enorme soziale Schäden in Kauf nehmen und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, die bereits vor der Pandemie bestanden, tolerieren oder sogar verstärken.

DAX-Unternehmen machen Rekordgewinne in der Pandemie

Ein paar Zahlen vorab: Die fünf erfolgreichsten DAX-Unternehmen Deutschlands (Daimler, Volkswagen, Deutsche Telekom, Allianz und Bayer) verzeichneten im ersten Quartal 2021 Rekordumsätze zwischen 3,1 und 5,7 Milliarden Euro. Den meisten Gewinn erwirtschafteten mit Daimler und Volkswagen zwei Unternehmen der Automobilindustrie. Ganz anders sieht es bei kleineren und mittleren Firmen in Branchen wie der Gastronomie, dem Tourismus oder im Einzelhandel aus, die nach dem langen Lockdown mit existenzbedrohenden Einbußen kämpfen. Von der Situation kultureller und sozialer Einrichtungen ganz zu schweigen.

Die Pandemie – und die in ihr getroffenen politischen Entscheidungen – verstärken die bereits zuvor wahrnehmbare Tendenz der Monopolisierung sowie die finanzielle Umschichtung von Klein zu Groß, von der Dienstleistung und dem lokalen Einzelhandel hin zum global agierenden (Online-) Handel und der Industrie. Hierzu passt, dass auch der Onlineversandgigant Amazon seit Beginn der Pandemie Rekordgewinne verzeichnet. Im ersten Quartal 2021 ist der Umsatz des Weltkonzerns laut Angaben des Online-Portals Statista im Vergleich zum Vorjahresquartal um rund 44 Prozent von rund 75,45 Milliarden US-Dollar auf 108,52 Milliarden US-Dollar gestiegen. Seinen bisher höchsten Umsatz erwirtschaftete das Unternehmen im vierten Quartal 2020 mit 125,56 Milliarden US-Dollar.

Amazon klagt gegen Steuerforderung der EU

Nun könnte man sagen, dass ökonomische Stabilität und global erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen gerade in Zeiten der Pandemie erfreulich sind. Großunternehmen könnten über ihre Investitionen die lokale Wirtschaft stärken und über ihre Steuerabgaben helfen, die horrenden Ausgaben für die Entwicklung von Impfstoffen, den Aufbau von Testzentren und die Subvention von Kleinunternehmen mitzufinanzieren. Das Gegenteil scheint allerdings der Fall zu sein: wie ein Artikel der Süddeutschen Zeitung zeigt, forderte gerade die besonders erfolgreiche Automobilindustrie staatliche Unterstützung aufgrund der Pandemie – und erhielt diese auch. Einige Konzerne haben im Corona-Jahr offenbar strikt Kosten reduziert und Jobs abgebaut. Gerade größere Unternehmen könnten die Krise genutzt haben, um schlanker und damit auch ertragsstärker zu werden, so der Kommentar der SZ. 

Auch Amazon als weltweit agierendes Großunternehmen scheint von einem solidarischen Geschäftsmodell weit entfernt zu sein. So zahlte das Unternehmen 2020 keine Körperschaftssteuer in Luxemburg und ein EU-Gericht entschied vor wenigen Tagen auf die Klage von Amazon hin, dass eine Steuernachzahlung in Höhe von 250 Millionen Euro, die die EU-Kommission 2017 von dem Unternehmen gefordert hatte, unrechtmäßig sei. Die Kommission hatte 2017 argumentiert, bei den Steuervergünstigungen in Luxemburg habe es sich um „unzulässige Beihilfen“ gehandelt. Amazon habe die Abrechnung von Lizenzgebühren zwischen verschiedenen europäischen Tochterfirmen künstlich aufgebläht, um Steuerzahlungen zu entgehen. Dies sei von den luxemburgischen Behörden explizit gebilligt worden. Letztlich dürften die 250 Millionen für den Großkonzern bei einem Quartalsumsatz von zuletzt weltweit knapp 110 Milliarden Euro ohnehin nur „Peanuts“ sein – umso bezeichnender, dass das Unternehmen selbst gegen diese verhältnismäßig kleine Forderung klagt. Gewinn lässt sich offenbar immer weiter maximieren, sei es auf Kosten der namenlosen Paketboten und der in den Logistikzentren zu Mindestlöhnen beschäftigten Angestellten oder indirekt der gesamten europäischen Bevölkerung, die über ihre Onlinekäufe den Konzern finanziert und zugleich über ihre Steuerabgaben auf den Kosten der Pandemie sitzen bleibt. 

Profitgier und fehlende Verantwortung in Wirtschaft und Politik

Das Prinzip der nicht wahrgenommenen Verantwortung sowie des unsozialen Handelns aus Profitgier beschränkt sich leider nicht auf die genannten Branchen. Gerade im Gesundheitssektor wurde – und wird weiter – gespart, was das Zeug hält. So machte Gesundheitsminister Spahn zuletzt Schlagzeilen damit, 2020 deutschlandweit 21 kleine und mittlere Kliniken geschlossen zu haben zugunsten großer „Kompetenzzentren“. Auch privat pflegende Angehörige müssen für die Versorgung ihrer Lieben um jede Versicherungsleistung kämpfen, wie zum Beispiel ein Bericht der Mutter eines pflegebedürftigen Kindes zeigt. Ebenfalls 2021 soll laut Spahns Gesundheitsreform die sogenannte häusliche „Verhinderungspflege“ gekürzt werden, die besonders Angehörigen pflegebedürftiger Kinder ermöglicht, überhaupt ein Mindestmaß an Unterstützung zu erhalten. 

An anderer Stelle will der Gesundheitsminister von Einsparungen dagegen nichts wissen und rügt sogar mutmaßliche Veruntreuungen von Steuergeldern zwar medienwirksam, fühlt sich politisch dafür aber zunächst nicht weiter verantwortlich. So kommentierte Spahn den Umstand, dass offenbar in mehreren Corona-Testzentren Testungen in großem Stil abgerechnet wurden, die gar nicht durchgeführt worden waren, in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am 30.05.21 sinngemäß, als Bundesgesundheitsminister könne er eben nicht jedes einzelne Zentrum im Blick haben, hierfür seien die Gesundheitsämter vor Ort zuständig. Eine Aussage, die inhaltlich vielleicht nachvollziehbar ist, moralisch jedoch nicht. Denn natürlich hat derjenige, der formal die oberste Verantwortung trägt, auch im Fall, dass etwas schiefgeht, dafür geradezustehen. Inzwischen kündigt der Gesundheitsminister zwar schärfere Kontrollen an, es bleibt jedoch die Frage, warum diese nicht von Anfang an vorgesehen waren. Immerhin geht es bei der Finanzierung der Tests um monatlich mehrere Hundert (!) Millionen Euro an Steuergeldern. Spahns Vorgehen erinnert somit unangenehm an das Verhalten zahlreicher Entscheidungsträger/innen in Politik und Wirtschaft: Gewinne, Lob und Anerkennung werden „eingestrichen“,  bei Verlusten und Verfehlungen liegt die Verantwortung plötzlich bei anderen. Unrühmliche Beispiele: Die Lufthansa, die sich als Großkonzern in der Pandemie staatlich subventionieren ließ, Amazon, das um jeden Euro Steuerabgaben streitet oder eben der Gesundheitsminister, der mal eben „von nichts wusste“, wenn die Veruntreuung von Millionen an Steuergeldern ans Licht zu kommen scheint…

Geld fehlt bei Kindern, Kranken und sozial Schwachen

Das alles könnte man als unappetitlichen „Kollateralschaden“ aus Politik und Wirtschaft abtun, hätten entsprechende Entscheidungen nicht konkrete negative Folgen für ganze Bevölkerungsgruppen. Geld, das aktuell in die Subvention großer Unternehmen fließt, fehlt zum Beispiel in Schulen, Krankenhäusern oder in anderen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Und „kostenlose“ Impfungen und Bürgertests werden letztlich auch wir Bürgerinnen und Bürger finanzieren: über unsere Steuerabgaben und erhöhte Krankenkassenbeiträge. 

Zudem werden aktuell Wirtschaftszweige gefördert und zum Teil künstlich am Leben gehalten, die genau die Ressoucen verschwenden, die unsere Kinder dringend benötigten. Globaler (Online-) Handel und die damit einhergehende Logistik, die Automobilindustrie und auch Unternehmen wie Apple oder Microsoft, welche all die Handys, Tablets und PCs produzieren, die im Rahmen der Digitalisierung auf den Markt geworfen werden, tragen dazu bei, die ohnehin knappen globalen Ressourcen weiter aufzubrauchen und den Klimawandel zu beschleunigen. Auch die Milliarden Einwegverpackungen, Masken, Schutzausrüstungen und Teststäbchen, die im Rahmen der Pandemie den Markt überschwemmen, zerstören als Sondermüll und Mikroplastik die uns umgebende Natur und damit die Lebensgrundlage unserer Kinder und Enkelkinder.

Tod dem Virus – zu jedem Preis?

Dass diese Tatsachen nicht im Ansatz soviel Aufmerksamkeit erhalten wie seit über 1 1/2 Jahren die Bekämpfung des Virus selbst, lässt sich fast nur noch mit einer Portion Zynismus deuten: sind doch diejenigen, welche die aktuellen politischen Entscheidungen zu verantworten haben, von der Erkrankung selbst potentiell weit stärker betroffen als von langfristigen Folgen, die die Priorisierung wirtschaftlicher Interessen im Rahmen der Pandemiebekämpfung für die nächste und übernächste Generation haben werden. Im besten Fall ist ein solches Vorgehen kurzsichtig, im schlechtesten schlicht rücksichtslos. Und sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass diejenigen, die am meisten unter genau diesen (Fehl-) Entscheidungen leiden, nämlich Kinder, Kranke und sozial Schwache, innerhalb unserer Gesellschaft am wenigsten Mitbestimmungsrecht haben. 

„Beseitigt das Virus, zu (fast) jedem Preis!“ Eine solche Haltung war vielleicht in der Aufregung der ersten Pandemiewochen verständlich. Inzwischen müsste sich der Blick längst weiten. Darauf, dass wir auch noch gut leben können müssen, wenn das Virus längst Geschichte ist. Dass neben wirtschaftlicher Interessen auch die Bedürfnisse all derjenigen relevant sind, die der Wirtschaft nicht (oder noch nicht) zu Verfügung stehen. Dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, die gefordert, aber selbst nicht gegeben werden kann. Aber das scheint gerade nicht Priorität Nr. 1 zu sein.

Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familienthemen und Mutter eines Babys sowie eines Kindergartenkindes.

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[Foto: malteser.de]

4 Gedanken zu „Business trotz Virus. Corona und die soziale Gerechtigkeit“

  1. Nach der nächsten Bundestagswahl geht es wahrscheinlich mit Laschet als Kanzler und Merz, Lindner, Kubicki als Minister weiter, ich orakle einmal Privatisierung gewinnbringender öffentlicher Betriebe, wie staatl. Spielbanken, Kürzungen und Verschärfungen im sozialen Bereich, Stellenabbau im öffentlichen Dienst, privates Investment bei staatlichen Großprojekten/Autobahnen.
    Längere Lebensarbeitszeit bei mehr privater Vorsorge zum Beispiel Rentendepotkonten.
    Denn schlimmer geht immer.🇩🇪🤷‍♂️

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    1. Ich frage mich einfach, wann sich auch politisch endlich das Verständnis durchsetzt, dass wir nicht endlos auf Kosten anderer und der Ressourcen der Natur leben können. Macht und Wohlstand bringt auch Verantwortung mit sich. Und zwar auch denjenigen Gegenüber, die diese Verantwortung nicht aus einer eigenen Machtposition heraus fordern können. Dieses Verständnis fehlt mir aktuell bei manchem im öffentlichen Diskurs.

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    2. Ich denke mit Laschet als Kanzler und Merz und Lindner als Minister wird ein Umdenken noch weitere 4 Jahre dauern, womöglich geht es eher paar Schritte zurück, mehr soziale Verwerfungen, Ungerechtigkeit, mehr Selbstbereicherung einer selbsternannten Elite🤷‍♂️, mal schauen.

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