
Annalena Baerbock ist Spitzenkandidatin der Grünen für das Bundeskanzleramt. Und sie ist Mutter. Große mediale Erregung! Seit ihrer Kandidatur fragen sich auch seriöse Kommentator/innen, ob es ungeschickt oder avantgardistisch sei, dass sie als Politikerin ihren Alltag mit zwei Töchtern im Grundschulalter thematisiert. Ob sie als Mutter besonders die Interessen von Müttern und Vätern vertreten werde. Und ob ihre Mutterschaft im politischen Kontext überhaupt erwähnt werden sollte. Ach ja – Armin Laschet, Spitzenkandidat der CDU/CSU für dasselbe Amt, ist dreifacher Vater. Der Unterschied? Keinen interessiert‘s.
Die „Andere“ auf politischem Parkett
Es scheint also nicht die Elternschaft an sich zu sein, die Baerbock zu etwas Besonderem macht. Vielmehr ist sie es in Kombination mit anderen Merkmalen: Nicht nur ist Baerbock mit 40 Jahren um einiges jünger als ihre Mitkandidaten, sie tritt auch anders auf als sie. Neben ihrer offensichtlichen Kompetenz als Parteivorsitzende im Team mit Robert Habeck verkörpert sie einen anderen Politikertypus als ihre Mitbewerber und übrigens auch als Angela Merkel, die als Frau seit Jahren im Kanzleramt regiert. Die ZEIT zitierte Baerbock jüngst in einem Artikel, es sei im ersten Lockdown 2020 nicht „easy-peasy“ gewesen, HomeOffice mit Familie zu vereinbaren und „drei Jahre als Parteichefin, Abgeordnete und Mutter kleiner Kinder“ hätten sie für die Kanzlerkandidatur gestählt. Baerbock tritt also offensiv (auch) als Privatperson – und damit auch als Mutter – in der Öffentlichkeit auf.
In diesem Merkmal unterscheidet sie sich von Politikerinnen wie Familienministerin Kristina Schröder oder Manuela Schwesig, die ebenfalls mit kleinen Kindern politische Ämter innehatten, beziehungsweise -haben. Bei diesen war das Elternsein – wie jetzt bei Mitkandidat Laschet – sichtbar und zugleich politisch irrelevant. Selbst von der Leyen als Familien- und später Verteidigungsministerin, die politische Errungenschaften wie die Elternzeit oder den U3-Krippenausbau angestoßen hat und zu Beginn ihrer politischen Karriere von den Medien als „Supermutti“ geschmäht wurde, tritt trotz ihrer sieben Kinder im politischen Kontext inzwischen auf, als seien diese ihre „Privatsache“: ein perfekt organisierter, klar abgetrennter zweiter Bereich ihres Lebens. Und das, obwohl sie bereits 2006 in einem Interview mit der Zeitschrift EMMA sagte, dass sie das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach der Geburt ihrer Kinder am eigenen Leib erfahren habe.
Muttersein: Bonus oder Manko?
Baerbock, die offen thematisiert, dass eine politische Karriere für sie nur dank der tatkräftigen Unterstützung ihres Mannes möglich ist und dass die Kombination aus Familie und Spitzenjob dennoch nicht immer leicht zu handhaben ist, könnte ein Vorbild für Frauen – und überhaupt Menschen – in der Politik werden, die ihre private Verantwortung in der Öffentlichkeit nicht zur Randnotiz degradieren wollen. Zudem macht sie sich öffentlich stark dafür, Kinder und Jugendliche „ins Zentrum der Politik zu stellen“, ihren Interessen also ein Gewicht zu geben, von dem diese in den letzten Monaten nur träumen konnten.
Andererseits macht sich Baerbock durch ihre Offenheit auch angreifbar. Der Reflex, sie auf ihr Muttersein zu reduzieren, beziehungsweise ihr aufgrund ihrer Kinder politische Durchsetzungsfähigkeit und Kompetenz abzusprechen, ist medial deutlich wahrnehmbar. „Kann eine Mutter Kanzlerin sein?“, zitiert der Fokus genüsslich CDU-Politiker Friedrich Merz. „Ist sie als Frau und Mutter überhaupt robust genug, um das Amt auszufüllen?“ klingt zwischen den Zeilen eines an sich wohlwollenden Kommentars des Redaktionsnetzwerks Deutschland durch. Und die Welt bemüht oberste klerikale Instanzen, wenn sie den ansonsten eher wenig präsenten CDU-Parlamentarier Eckhardt Rehberg zitiert: „Gnade uns Gott, wenn Frau Baerbock oder Herr Habeck Bundeskanzler werden“.
Stellt Baerbock den „Homo oeconomicus“ in der Politik in Frage?
Ist Baerbock als Spitzenpolitikerin und präsente Mutter in konservativen Kreisen auch deswegen so ein „Aufreger“, weil sie das Bild des stets funktionierenden, geschlechts- und bindungslosen „Homo oeconomicus“ in Frage stellt? Soziologin Aura-Shirin Riedel analysiert die Mechanismen, die Frauen gegenüber in Beruf, Wissenschaft und Politik greifen, in ihrem klugen Kommentar „Der Homo oeconomicus bekommt keine Kinder“ treffend:
„Hinter dem Argument, Frauen arbeiteten, forschten, regierten genauso gut wie Männer, verbirgt sich ein Menschenbild, das den Mann zum Maßstab der Dinge macht. Nach diesem Weltbild gibt es nur das männliche Menschengeschlecht. Der Mann ist der Mensch. Die Frau das Abweichende oder „Andere“. Nicht nur das Recht, sondern auch Ökonomie und Politik basiert auf der Vorstellung, der Mensch habe nur ein Geschlecht. So lange Frauen sich wie Männer verhalten, sind sie gleichberechtigt. In dem Augenblick, in dem sie aufhören, „wie er“ zu sein, verlieren sie ihren Anspruch auf Gleichstellung. Denn dann weichen sie vom Ideal des Menschen ab.“
Familiäre Fürsorge als Kompetenz im Beruf
Baerbocks Kandidatur beinhaltet somit tatsächlich eine große Chance. Sie könnte endlich dazu führen, familiäre Fürsorge auch mit Blick auf politische Ämter als relevant und sogar kompetenzerweiternd wahrzunehmen – und eben nicht in erster Linie als Hindernis.
Andererseits ist es sicher falsch und sogar sexistisch, von Baerbock automatisch frauen- oder familienfreundliche Politik zu erwarten, bloß weil sie selbst eine Frau und Mutter ist. Frau sein und sich für weibliche Belange einzusetzen geht nicht automatisch Hand in Hand, wie manche Entscheidung von Politikerinnen in den letzten Jahren zeigte. Dennoch beeinflusst der persönliche Erfahrungshorizont sicherlich die Art, wie Politiker/innen ihr Amt ausüben. Und es macht nun einmal einen Unterschied, ob man oder frau als Vater oder Mutter tagtäglich mit den Erfordernissen der familiären Fürsorgearbeit konfrontiert ist, oder aber diese gar nicht aus erster Hand kennt, beziehungsweise immer problemlos an andere delegieren konnte. Insofern ist Heterogenität in politischen Ämtern eindeutig erstrebenswert und macht politische Entscheidungen, auch mit Blick auf die Belange von Familien, lebensnaher.
Durchsetzungsstärke auch als soziales Wesen
Was bedeutet das nun alles für Baerbocks Kanzlerkandidatur? Wie jede Frau und Mutter in exponierter Position wird sie scharf beobachtet werden: Ist sie zu sehr Frau – oder nicht Frau genug? Ist sie kompetent, selbstsicher, auch machtbewusst genug, um das wichtigste Amt der Bundesrepublik auszuüben? Es wird sich zeigen, ob Baerbock diesem Druck tatsächlich dauerhaft gewachsen sein wird und ob es ihr gelingen wird, ihre Rolle als Spitzenpolitikerin mit der als Mutter zu verbinden. Im besten Fall könnte so ein ganz neues Bild des Regierens entstehen: Durchsetzungsstärke, die den Menschen als soziales Wesen nicht ausschließt, sondern ihm vielmehr den Raum gibt, beruflich und privat die eigenen Ziele zu verfolgen.
Es bleibt auch die Frage, ob Deutschland bereits reif für eine solche Kanzlerin ist. Das deutsche Durchschnittsalter von aktuell 44,5 Jahren hat Baerbock noch gar nicht erreicht. Es wird sich zeigen, ob ihre Themen (Klimaschutz, Kinder und Familie und Kohleausstieg) zumindest einen Teil derjenigen überzeugen, die rein aufgrund ihrer Anzahl zur mächtigsten Wählergruppe Deutschlands gehören: die Alten. Finanzstark, geprägt durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und den Glauben an eine Welt, in der für alle gesorgt ist, wenn sich jeder der Nächste ist. „Der ökonomische Mensch, wie er in der klassischen Ökonomie beschrieben wird, ist ein Phantasma, das nichts mit der Realität des Lebens zu tun hat. Er ist ein lebender Toter, ein nutzenmaximierendes Zombie, denn er wurde nie geboren. Es ist an der Zeit, dass wir ihn endgültig begraben, bevor er uns begräbt“, schreibt Soziologin Riedel in ihrem Essay. Es wird sich zeigen, ob die Wähler/innen Deutschlands bereit sind für eine Frau, die durch ihre Inhalte, ihr Auftreten und ihren Lebenslauf das ziemlich genaue Gegenteil dieses ewigen Untoten ist. Und ob wir uns als Gesellschaft damit auch dafür entscheiden, endlich Macht nicht mehr von Fürsorglichkeit zu entkoppeln. Denn nur in der Fürsorge und Achtung unseren Mitmenschen und den uns umgebenden Ressourcen gegenüber werden wir als Gesellschaft dauerhaft bestehen können.
Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: imago images/Political-Moments]
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Vom Letzten Menschen: homo oeconomicus oder homo ludens
Die Gesetzmäßigkeiten des Ökonomischen, nach denen der homo oeconomicus zwangsläufig handeln müsse, zu den Naturgesetzlichkeiten zu rechnen, heißt die Tatsache zu unterschlagen, daß das menschliche Handeln nicht in einem rein kalkulierbaren Rahmen gehalten werden kann. Was in den Naturwissenschaften längst anerkannte Tatsache ist, nämlich die nur auf Wahrscheinlichkeit bestimmbare Nichtlinearität in sog. ‚chaotischen’ Prozessen, kann weder in der Mikro- noch Makroökonomie zu befriedigenden Ertragsaussichten führen. Denn gerade dem deterministischen Chaos der quasistabilen Vorgänge nach dem Prinzip des Schmetterlingseffekts (kleinste Ursache mit u.U. globaler Wirkung), liegt ein unverfügbar anarchistisches Potential zugrunde. Die Wirkmächtigkeit von menschlichen „Machenschaften“ erhebt sich längst über die ursprünglichen Gründe des „Seins“. Immer schafft der Mensch mit seiner Tat auch die Tatsachen, mit denen er leben muß, und baut sich den Käfig seiner Vorstellung nach Kräften selbst. Er lebt also mit dem unauflöslichen Widerspruch einer offenen Zukunft, vor der der Schleier seiner gegenwärtigen Erkenntnis liegt, und der zukünftigen Bestimmung der Konsequenzen seines gegenwärtigen Handelns.
Der ökonomische Mensch ist eine eindimensionale Verkürzung auf die Lebensform als Bündel von Bedürfnisparametern zur besseren Kalkulierbarkeit seines Handels in einem ihm aufgenötigten System, als wenn das Koordinatensystem des Kalküls nicht selbst im beständigen Wandel begriffen wäre, und damit seine Prämissen. Das Experiment bestätigt sinngemäß im Ergebnis nur die Bedingungen, unter denen der Menschenversuch der geldbasierten Tauschwirtschaft zuvor angelegt worden ist. Ein Denken außerhalb dieses willkürlichen Koordinatensystems scheint so wenig möglich zu sein, wie eine Welt vorstellbar ist, in der eine andere Physik herrscht. Daher rührt auch die Gleichsetzung der Ökonomie als ‚Naturwissenschaft’, obwohl sie wesentlich eine scholastische Theologie ist. Auf die axiomatische Begrifflichkeit der geldbasierten Ökonomie ist gewissermaßen das noch zu überwindende ‚ptolemäische’ Weltbild der Neuzeit gestützt.
Virtú oder virtuell?
.. Während dem Meister seines Handwerks kaum das Zertifikat seiner Qualifikation gegönnt wird, würden ihm im digital vollautomatisierten Industriebetrieb allenfalls öde Maschinenüberwachungsfunktionen zufallen. Die Entfremdung des Menschen von seinem Werk erfolgt in exponentieller Geschwindigkeit, die jede gesellschaftspolitische Reaktion überfordern und zuletzt unmöglich machen wird. Abqualifiziert und sinnentleert kann „Arbeit 4.0“ unmöglich als ein würdiger Teil des menschlichen Daseins angenommen werden (darüber können auch nicht Weiterbildungsmaßnahmen in Programmiersprachen hinweg trösten). Die Forderung des Lebenslangen Lernens wird aus dem Munde der Digital-Lobby zum blanken Zynismus der entmenschten Produktivität.
Sofern Produktion nicht mehr durch Menschen für Menschen Wertschätzung erfahren kann, bedeutet digitalisierte Produktivität zuletzt eine zirkelhafte Selbstbezüglichkeit der Mittel, die sich die Zweckhaftigkeit angeeignet haben. Im Strudel der technoiden Beschleunigungsspirale verschwindet jeder kulturelle Form- und Gestaltwille in einem Strudelabfluß des veritablen Nichts. Wir fallen letztlich der Ideologie eines digitalen Nihilismus anheim.
In seiner Betrachtung der Relevanz des hegelschen Materialismus im 21. Jahrhundert konstatiert der slovenische Philosoph Slavoj Zizek die Virtualität künftiger Realitäten (virtuell erweiterte Realität = augmented virtual reality) als eine Steigerung der Potentialität. Das Potentielle sind die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten aus einem bereits gegebenen Regelrahmen zur Verwirklichung (z.B. der Fall einer bestimmten Augenzahl beim Würfeln). Hingegen ist die Virtualität die potenzierte Möglichkeitsform aus dem Raum unvorgegebener, und daher unkalkulierbarer, Möglichkeiten. Diese sind dann völlige Neuschöpfungen quasi aus dem Nichts (ex nihilo). Bei der Verwirklichung eines virtuellen Ereignisses im Rahmen einer digitally augmented reality ergeben sich sozusagen künftig tatsächlich ‚unmögliche Möglichkeiten’. Zu propagieren, daß im entgrenzten Un-Möglichkeitsraum nur Wünschbarkeiten auf Verwirklichung lauern würden, entspricht der Ignoranz, beim Bungee-Sprung in den virtuellen Abgrund auf das Seil zur Rückbindung auf das Reale zu verzichten.
In einem weiteren Schritt wäre als möglich denkbar, daß der künftige Verlauf der Geschichte, mit ihrem zufällig scheinenden, oft unbedeutenden Nebeneinander von Ereignissträngen und den unvermittelt scheinenden Wendungen, auch vorgeschrieben werden kann. Nach der Vorlage einer Art Drehbuch kann mit Hilfe der medialen Fokussierung (durch selbstreferentielle Rekursion) der Gang der Geschichte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Das potentiell Mögliche wird in die Realität geholt, Dinge geschehen, weil sie zuvor entsprechend medial aufgeladen wurden; Taten können in dieser Weise provoziert werden, um sie medial verwerten zu können. Damit befinden wir uns in einer Matrix der scripted reality.
Die Zwecke entsprechend einflußreicher Ebenen zielen jedoch nicht auf bloße Unterhaltung, diese ist nur eine der Kulissen, hinter der die Zwecke verborgen gehalten werden. Durch die Überlagerung der Wirklichkeit mit den vorgeprägten Deutungsmustern der marktbestimmenden Konzerne, innerhalb des Rahmens der sogenannten erweiterten Realität (augmented reality), ereignet sich die Verschmelzung von Realität und Virtualität. Mit der Betrachtung der Umgebung durch die Brille der Objektverfügung und Käuflichkeit, schreitet die Bevormundung durch Werbekommentar und Betriebsanleitung für die Verwertung aller Lebensbereiche voran. Was bei entsprechenden Spielkonsolen verharmlost und am Arbeitsplatz als nützlich begrüßt wird, schiebt sich zwischen den Akteur (Spieler, Bildschirm-Arbeiter) als Simulation einer parallelen Wirklichkeit, die eben im Begriff steht Dominanz zu erlangen.
Wie so oft, werden die heraufkommenden Techniken zunächst in spielerischer Form in das gesellschaftliche Gefüge hineingetragen. Das Herabsetzen der skeptischen Schwelle geschieht unter den Aspekten der vergnüglichen Unterhaltung. Als Spielzeuge zur Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten künstlicher ‚Wirklichkeiten’, virtueller Realitäten, erscheinen nunmehr Gerätschaften, die in einer Einheit gleichzeitig die visuelle und akustische Wahrnehmung komplett auf eine computergenerierte Umwelt einschließen, und durch den isolierenden Rundum-Abschluß von der Möglichkeit des Abgleiches mit der gegenwärtigen Wirklichkeit ausschließen. Mit den sogenannten VR-Brillen wird hiermit ein erster Anfang gemacht. Ob eine entsprechende Linsenoptik oder eine spezielle Bildschirmsteuerung die Illusion zu perfektionieren helfen, bewegt sich lediglich graduell auf der Achse der technisch Machbarkeit. Die Potentiale der erforderlichen Rechnerleistungen und der komfortablen Ausstattung legen bereits heute den Möglichkeiten der Virtualisierung der Weltwahrnehmung keinerlei Beschränkungen auf.
Wie stets, wird sich auch hier die Doppelseitigkeit der ‚Lust’ an der Technik erweisen, denn jedem Vergnügen an der technischen Innovation stehen unweigerlich die Potentiale des Schreckens gegenüber. Schon die Begriffe der ‚Angstlust’, dem ‚Gruselspaß’ bringen den engen Bezug der Polaritäten zum Ausdruck. Ein aktuelles Problem bei der Darstellung virtueller Realität stellt die Verwirrung des Gleichgewichtssinnes bei ungenügender Abstimmung der optisch dargestellten Perspektiven mit der körperlich wahrgenommenen Bewegung. Schwindel und Übelkeit, ein Achterbahneffekt, macht dem menschlichen Bewußtsein bis auf Weiteres im Umgang mit der VR-Technik zu schaffen. Aber es ist dabei nicht einmal ausgemacht, daß man nicht auch auf eine perfide Nutzbarmachung der biologischen Unzulänglichkeit des menschlichen Organismus verfällt. Die Nutzung der VR-Technik, in die Hände einer pyramidalen Exekutive gelegt, wird, eine solche Prognose sei hier einmal gewagt, nicht zögern, künftig eine neue Gattung der Folter zu realisieren. Eine solche würde den Nachweis von Spuren unmöglich machen, denn in seinem Wahnsinn bliebe jedes Opfer ein Gefangener seines eigenen unmitteilbaren Bewußtseins. Womit der Mensch noch immer gespielt hat, damit wurde er, historisch gewiß, auch immer gequält.
Es handelt sich hierbei quasi um eine infernalische Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo), also einer Schöpfung ohne Schöpfer, ein Sein ohne Grund.
Die Auslöschung des Reellen durch das Virtuelle hinterläßt eine Leere des rein Potentiellen eines unendlichen Möglichkeitsraumes, der das Existenzielle durch die unendliche Null vollkommen ersetzt.
Zitiert aus: „ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
– vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität – Franz Sternbald
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„Der ökonomische Mensch ist eine eindimensionale Verkürzung auf die Lebensform als Bündel von Bedürfnisparametern zur besseren Kalkulierbarkeit seines Handels in einem ihm aufgenötigten System, als wenn das Koordinatensystem des Kalküls nicht selbst im beständigen Wandel begriffen wäre, und damit seine Prämissen.“ Finde ich durchaus plausibel. Danke für diesen sehr ausführlichen Kommentar und seine dystopische – und in Teilen leider vielleicht sogar realistische – Zukunftsvision.
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