
Alleinerziehend zu sein ist auch heute noch oft ein beruflicher Nachteil. „Weniger belastbar, das Kind ständig krank, unflexibel“ – so die Vorurteile, die Alleinerziehenden im beruflichen Umfeld entgegengebracht werden.
Aber es geht auch anders: Sandra K. ist alleinerziehend. Den Kindergartenplatz ihrer Tochter Selina bezahlt ihr Arbeitgeber. Sandra arbeitet seit Selinas erstem Geburtstag wieder zu 65 Prozent. Als ihre Tochter vor kurzem fast zwei Wochen lang krank war, konnte sie ihre Aufgaben im Homeoffice erledigen, selbstverständlich ohne die Erwartung, mit krankem Kind dasselbe Pensum zu leisten wie im Büro. Dass das nicht möglich ist, weiß ihre Chefin, selbst Mutter zweier kleiner Kinder, ohnehin. Sandra wird die versäumte Arbeitszeit flexibel zu einem späteren Zeitpunkt nachholen können. Auch dass Sandra in Teilzeit arbeitet, ist kein Problem. Wie im öffentlichen Dienst hat sie das garantierte Recht, sobald sie es möchte, wieder auf Vollzeit aufzustocken. Selbstverständlich übernimmt sie trotz reduzierter Arbeitszeit weiterhin anspruchsvolle Aufgaben und ist in interessante Projekte involviert ist. Wichtige Meetings finden in ihrem Unternehmen ohnehin nicht nach 15 Uhr statt. Und selbst wenn Sandra mal länger im Büro sein muss, ist das dank zuverlässiger Randzeitbetreuung in der Kita ihrer Tochter kein Problem.
Klingt zu gut, um wahr zu sein?
Ist es leider auch nicht. Die Realität der Arbeitswelt für Familien und v.a. für Alleinerziehende sieht oft noch immer ganz anders aus. Alleinerziehende wollen – und müssen – häufiger als Mütter in Paarbeziehungen berufstätig sein, auch wenn ihre Kinder noch im Kleinkind- oder Kindergartenalter sind. Gerade junge Alleinerziehende und Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren sind aber tatsächlich häufig auf den Bezug von ALGII angewiesen, vor allem, weil ihnen die Zeit und zum Teil auch die berufliche Qualifikation für eine reguläre Berufstätigkeit fehlt. Das Bild der armen Alleinerziehenden, die sich mit staatlicher Hilfe und in prekärer Beschäftigung (z.B. mit Mini-Jobs) über Wasser hält, ist somit kein reines Klischee. Andererseits sind sehr wohl gerade Alleinerziehende über 35 und mit akademischen Hintergrund beruflich oft bereits etabliert und können sich und ihren Kinder einen guten Lebensstandard bieten.
1) Essentiell: Verlässliche Kinderbetreuung
Entscheidend dafür, dass Alleinerziehende ihren Beruf ausüben, oder überhaupt erst eine solide berufliche Qualifikation erwerben können, ist eine umfassende und verlässliche Kinderbetreuung. Dies stellte bereits 2009 eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Alleinerziehende fest. Während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 habe ich als Autorin für eine Reportage mit vier alleinerziehenden Müttern mit ganz unterschiedlichem beruflichen Hintergrund gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass die Frauen ihre Situation umso schwieriger fanden, je weniger Zugang zur Kinder (Not-) Betreuung sie hatten. Auch Arbeiten im Homeoffice war mit einem Kind im Kindergartenalter nur stundenweise möglich. Für Alleinerziehende ist eine verlässliche Kinderbetreuung also der Schlüssel zu beruflichem Erfolg, bzw. in vielen Fällen überhaupt zu einem Einkommen, mit dem sie ihre Familie ohne weitere Hilfe finanzieren können.
2) Neue Arbeitszeitmodelle helfen Alleinerziehenden – und nicht nur ihnen
Daneben brauchen Alleinerziehende noch stärker als Eltern, die gemeinsam für ihre Kinder sorgen, zeitliche Flexibilität beim Ausüben ihrer beruflichen Tätigkeit. Arbeitszeitkonten, bei denen Zeit angespart werden und zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden kann, können Alleinerziehenden helfen, z.B. Kita-Schließzeiten oder Schulferien zu überbrücken. Bedacht werden muss dabei allerdings, dass im Alltag vieler Alleinerziehender oft wenig Spielraum für zusätzliche Arbeitszeit bleibt. Nicht umsonst arbeiten viele Alleinerziehende, gerade auch mit kleinen Kindern, in Teilzeit, obwohl sie finanziell ein volles Gehalt durchaus gebrauchen könnten.
Die vollzeitnahe Teilzeit (also 30-35 Stunden pro Woche) kann ein Weg sein, Zeit für die Familie zu gewinnen und dennoch die finanziellen Einbußen (auch mit Blick auf die Altersvorsorge) relativ gering zu halten.
Auch die Möglichkeit zu Homeoffice kann für Entlastung sorgen, wenn z.B. das Kind kurzfristig zuhause betreut werden muss. Dabei betont Nicola Stroop vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in NRW (VAMV NRW) allerdings, Homeoffice mit krankem Kind sei „eine Zumutung“ und in vielen Fällen schlicht nicht wirklich möglich. Wer, wie viele Eltern, im Frühjahr 2020 die eigenen Kinder mehrere Wochen neben der Arbeit zuhause betreuen musste, kann das definitiv unterstreichen.
Nicht umsonst entscheiden sich nicht wenige Alleinerziehende früher oder später dafür, selbstständig tätig zu sein. Das finanzielle Risiko ist höher, aber die zeitliche Flexibilität erscheint oft so reizvoll, dass Alleinerziehende dieses Risiko auf sich nehmen.
3) Chefinnen und Chefs, die Alleinerziehende fördern und ein stabiles soziales Netz
Ebenso wichtig wie die zeitlichen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit ist für Alleinerziehende ein berufliches und privates Netzwerk, dass ihre Stärken erkennt und sie in Krisensituationen unterstützt. Das kann die Chefin oder der Chef sein, die oder der ihre alleinerziehende Mitarbeiterin mit anspruchsvollen Aufgaben versieht, obwohl diese zeitlich nicht so flexibel ist wie kinderlose Mitarbeiter/innen. Das sind Nachbarn, Freund/innen oder Familienmitglieder, die einspringen, wenn kurzfristig die Kinderbetreuung ausfällt oder wegen einer Erkrankung des Kindes nicht möglich ist. Und es kann auch der Ex-Partner oder die Ex-Partnerin sein, die durch die verlässliche Mitbetreuung des Kindes Alleinerziehenden Freiräume verschaffen, die diese dringend für berufliche Projekte oder einfach die Regeneration im stressigen Alltag brauchen. Viel zu vielen Alleinerziehenden fehlt dieses berufliche und private Netzwerk allerdings. Es ist kein Wunder, wenn sie dann, sozial mehr oder weniger isoliert und beruflich in prekären Arbeitsverhältnissen, an ihre Grenzen stoßen und auf lange Sicht gegebenenfalls auch körperliche Beschwerden entwickeln.
4) Politische Unterstützung für Ein-Eltern-Familien
Nicht zuletzt sind auch politische Rahmenbedingungen wie eine höhere Zahl an bezahlten „Kinderkrankentagen“ für Alleinerziehende oder eine garantierte Kinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr essentiell für deren beruflichen Erfolg. Wenn Familien den besonderen Schutz des Staates genießen, so muss das für Ein-Eltern-Familien in besonderem Maße gelten. Schließlich tragen Alleinerziehende die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder in vielen Fällen tatsächlich alleine – und finanzieren ihre Familien zusätzlich oft auch noch (fast) ausschließlich selbst.
5) Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die berufliche Qualifikation
Als letzten und nicht zu unterschätzenden Faktor für beruflichen Erfolg Alleinerziehender sehe ich deren Selbstbild und wie sie ihr Leben (z.B. auch den Umgang mit dem/r Ex-Partner/in) gestalten. Wer das Alleinerziehendsein grundsätzlich als Stärke wahrnimmt, wer sich als Organisationstalent, voller Widerstandskraft und fähig zu außergewöhnlichem Zeitmanagement wahrnimmt, wird im Beruf selbstbewusst verhandeln können, um die Rahmenbedingungen, die für ein gutes Leben allein mit Kind nötig sind, zu schaffen. Wer seine Energie auf sich selbst und das Wohl der eigenen Kinder ausrichtet und z.B. nicht auf endlose Streitigkeiten mit dem/r Ex-Partner/in, wird auch mehr Ressourcen für berufliche Ziele nutzen können. Und wer sich schließlich auch allein mit Kind vollwertig fühlt und selbstsicher die Bedürfnisse Alleinerziehender vertritt, trägt gesellschaftlich dazu bei, dass sich das Bild der „armen Alleinerziehenden“ wandelt. Alleinerziehend zu sein ist nicht notwendigerweise ein berufliches Hindernis. Es kann sogar eine Chance sein für Eltern, die sich, alleine mit Kind, ihrer Fähigkeiten bewusst sind und diese (auch) als berufliche Qualifikation nutzen.
Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
Schau doch mal vorbei!
Dieser Artikel erschien zunächst als Gastbeitrag auf Windeln&Workouts. Schau doch mal, was Katharina Püschel in ihrem Blog über den Alltag als berufstätige Mutter und Athletin schreibt. Lesenswert! Ihren Gastbeitrag zum Thema Altersvorsorge für Mütter auf mutter-und-sohn.blog findet ihr hier.
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[Foto: Windeln&Workouts]