Kunst, Persönliches

Was ist schon normal? Warum alle Menschen gleich und doch verschieden sind

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Magische Klopfrituale, um das Auto wieder in Gang zu bringen? Panik wegen verschwindender Penisse und eine Verabredung „wenn die Kühe auf die Weide gehen“? Was uns fremd, exotisch oder gar absurd erscheint, bestimmen längst nicht nur wir selbst, sondern zu einem bedeutenden Grad die Kultur, in der wir aufgewachsen sind und die wir, leben wir lange genug in ihr, als „ganz normal“ wahrnehmen.

Vor kurzem habe ich in der Bibliothek, interessanterweise in der Kinderbuchabteilung, ein wahres Kleinod entdeckt: auf knapp 170 Seiten versammelt der Autor (zum Teil skurrile) Fakten aus Dutzenden Ländern der Welt. Sortiert nach Themenbereichen klärt uns das Bändchen über Essgewohnheiten, Initiationsriten, die Wahrnehmung von Krankheiten, Liebe, Geburt oder Tod und über kulturell bedingte Vorstellungen von Schönheit, Zeit oder Sinnlichkeit auf. Zwei Kapitel widmet der Autor der ethnologischen Forschung selbst und Auswüchsen wie den Menschenschauen in den Zoos Europas im 19. Jahrhunderts; und in einem Kapitel beschreibt er, wie Menschen aus aller Welt die Deutschen wahrnehmen. Geld dafür zu bekommen, dass man Kinder in die Welt setzt oder der Umstand, dass der Hund mit im Bett schlafen darf, die Oma aber im Heim von Fremden betreut wird, erscheint vielen Besuchern Deutschlands (vielleicht zu Recht) seltsam…

Kein reines Jugendbuch

Eigentlich ist das kein Kinder-, bzw. Jugendbuch im strikten Sinn, denke ich nach der Lektüre. Auch wenn die Texte relativ einfach und gut verständlich formuliert und mit Bildern illustriert sind, sind die Inhalte durchaus auch für Erwachsene von Interesse. Manchmal stellt sich mir beim Lesen natürlich auch die Frage, wie gut recherchiert die einzelnen Fakten sind. Die oben erwähnte „magische Klopfmassage“ für Autos in Indonesien oder schwarz gefärbte Zähne als Schönheitsideal in Teilen Chinas erscheinen uns als Westeuropäer womöglich absurd und könnten das Bild der „seltsamen Anderen“ unterstreichen. Außerdem haben natürlich auch immer einzelne Reisende diese Rituale und Bräuche erlebt, beschrieben und entsprechend ihres kulturellen Standpunkts gedeutet. Das macht das Buch angenehmerweise aber auch deutlich, erklärt z.B., woher die Verbindung „weiße Zähne = schön“, „schwarze Zähne = hässlich“ im westlichen Europa der Gegenwart kommt: was die sozial Angesehenen haben, gilt als schön. Interessanterweise war das auch in unseren Breitengraden vor einigen Jahrhunderten anders, die arme Landbevölkerung färbte sich zu besonderen Anlässen die Zähne schwarz. Da der Adel aufgrund von Naschwerk und mangelnder Mundhygiene schwärzlich verfärbte Beißer zur Schau trug, galt dies als attraktiv und chic. Als Leser/in mag ich das belächeln. Bleibt die Frage, ob Nagellack oder Diäten für Vierjährige, ebenso wie Zahn-Bleechings oder Brust-Vergrößerungen (beides in westlichen Kulturen aktuell gang und gäbe) weniger verrückt sind. 

Letztlich sind wir uns alle ähnlich

Das Buch endet mit einem Kapitel, das deutlich macht, dass wir Menschen weltweit doch nicht so verschieden sind. Wir alle besuchen und beschenken einander, haben feste Regeln um Streit zu schlichten, die Erbfolge zu klären oder Geschäfte abzuschließen. In allen Kulturen werden Feste gefeiert, Übergänge wie Geburt oder Tod mit Ritualen begleitet, überall tanzen Menschen, begrüßen einander, hören und machen Musik, geben einander und den Dingen um sich herum Namen. Keine Kultur kommt ohne eine Vorstellung von Glück, Gastlichkeit, Spiritualität oder auch Zeit aus. 

Verschieden ist nur, wie wir all diese Dinge leben. WAS die Menschen also tun, ist ihnen gemeinsam. Aber WIE sie das tun, darin unterscheiden sie und ihre Kulturen sich ganz erheblich. Das zu erkennen ist für ein Kind sicher ähnlich wertvoll wie für uns „Großen“. Nur brauchen Kinder dafür vielleicht gar kein Buch. 😉

Wolfgang Korn: Was ist schon normal? Warum alle Menschen gleich und doch verschieden sind. Bloomsbury-Verlag 2011.

2 Gedanken zu „Was ist schon normal? Warum alle Menschen gleich und doch verschieden sind“

  1. Ebenfalls lesenswert in diesem Zusammenhang: „Die Deutschen – wir Deutschen“ von Sylvia Scholl-Machl, die darin als interkulturelle Trainerin typische „Culture Clashs“ aus dem Berufsleben zitiert und – echt erhellend – erklärt, warum uns Menschen anderer Kulturen z.B. als eher steif, (über) korrekt und/oder ruppig wahrnehmen. Vor dem Hintergrund einer immer globaler werdenden (Wirtschafts-) Welt sehr interessant!🙂
    Lg, Sunnybee

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