
Sexy, die sechs Damen auf diesem Werbeplakat? Vor wenigen Tagen fuhr ich auf dem Weg zur Arbeit direkt auf sie zu.
Verführerisch und überlebensgroß
Verführerisch und überlebensgroß lächelten sie mir entgegen. Direkt neben einer Ampel, an der der Durchgangsverkehr alle 2-3 Minuten zum Stehen kommt. Und in unmittelbarer Nähe dreier (!) Schulen, die Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und ca. 30 Jahren besuchen.
Ich selbst war auf dem Weg zur Arbeit. Allerdings voll bekleidet, anders als die lächelnden Ladys, die im Auftrag eines Online-TV-Senders zum „Amateur Star-Wettbewerb 2019“ aufriefen. In welchem Bereich sich der Wettkampf abspielen würde, war angesichts der Kleiderwahl und Posen unschwer zu erraten.
Nun ja. Ich blieb stehen, machte das oben abgebildete Foto und beobachtete einen Augenblick lang die Passanten, deren Blicke die halbnackten Damen streiften.
Und ich war tatsächlich schockiert.
Wer kommt auf die Idee, ein solches Plakat in der „Einflugschneise“ Hunderter junger Menschen zu platzieren, die täglich auf diesem Weg zur Schule gehen? Was soll dabei jungen Männern – und Frauen – vermittelt werden? „Schau mal, uns Damen gibt’s im Sonderangebot?“, „Warum zur Schule gehen, wenn man mit rein physischen Attributen so schnell berühmt werden kann?“
„Amateurwettbewerb“ – suggeriert das nicht auch eine gewisse Unschuld, à la „Mädel von nebenan“? Schau mal, noch posieren hier Mia Blow oder The Real Barbie of Berlin, aber mit etwas Engagement und Silikon könntest morgen schon DU hier stehen!…
Sex sells – Und wer greift zu?
Ich habe einen dreijährigen Sohn, für den „Sex sells“ momentan noch nichts anderes als eine lustig gezischelte Lautfolge ist. Aber das Prinzip wird sich ihm sicher in wenigen Jahren erschließen. Mit jedem „Schau-mal-was-hat-die-für-Titten“-Filmchen auf dem Handy, das ihm seine Kumpel zeigen, wenn er elf, zwölf, dreizehn Jahre alt ist. Mit jeder Bordell-Werbung auf Taxis. Mit Plakaten wie diesem hier. Du bist der (potentielle) Kunde. Und Frauen sind die, die (potentiell) zu kaufen sind. Beziehungsweise nicht alle. Es gibt die „anständigen Frauen“, denen du nie ein solches Angebot unterbreiten würdest. Aber offensichtlich auch die, bei denen die Hürde nicht so groß ist. Sie scheinen sich ja geradezu darum zu reißen, dir ihre Reize anzubieten.
Hure oder Heilige?
Was wir täglich wahrnehmen prägt irgendwann unser Bild von der Welt. Was für ein Frauenbild vermitteln solche, vollkommen selbstverständlich im öffentlichen Raum platzierten, Werbeanzeigen meinem Sohn? Was würden sie meiner Tochter vermitteln?
Sorry: Ich habe keine Lust, in einer Welt zu leben, in der mir solche Werbung auf dem Weg zur Arbeit „entgegenplärrt“. Genauso wenig, wie ich mir eine solche Welt für meinen Sohn wünsche. Ich gebe zu, ich war kurz versucht zu einer Guerilla-Aktion wie den PorNo-Stickern, welche die feministische Zeitschrift EMMA vor einigen Jahren als Heftbeilage und handfestes Statement gegen sexistische Werbung verbreitete.
Statt dessen schreibe ich jetzt hier im Blog. Und meinem Sohn werde ich erklären und vorleben, dass Sexualität etwas Wunderbares sein kann: selbstverständlich und schön. Und auch, dass sie sein sehr persönliches, intimes Geschenk sein wird an Menschen, die ihm wichtig sind und mit denen er sie tatsächlich erleben möchte. Vor allem aber bemühe ich mich schon jetzt, ihm zu zeigen: es gibt Grenzen – seine eigenen und die anderer – und beide sind zu respektieren.
Kürzlich habe ich den klugen Satz gelesen:
„Kinder brauchen keine Grenzen. Kinder brauchen Erwachsene, die Grenzen haben.“
Vielleicht werde ich, wenn er zwölf, dreizehn, vierzehn ist, mit ihm sprechen, sollten wir an einem Werbeplakat wie dem oben beschriebenen vorbeikommen. Vielleicht spreche ich dann auch gar nicht über Sex mit ihm. Aber hoffentlich habe ich ihm bis dahin vermittelt, dass Frauen nichts sind, was man sich „per Klick“ bestellt. Auch wenn sie im Netz, in Bordellen und wie hier auf der Straße scheinbar so „easy“ verfügbar sind. Wer so von Frauen denkt, erniedrigt jedenfalls nicht nur diese – sondern vor allem sich selbst.
Herzlichen Gruß, Sunnybee
PS. Wer etwas gegen diese Art sexistischer Werbung tun möchte: Die weltweit aktive Frauenrechtsorganisation Terre des femmes gibt auf ihrer Website konkrete Tipps: Wie wehre ich mich gegen sexistische Werbung?
Mir geht’s da wie dir.
Mein Großer ist mittlerweile 12 und auch wenn ich mich sicher nicht als prüde bezeichnen würde, werde ich zunehmend gereizter, wenn Nachmittags, wenn er ein bißchen Fernsehen darf, ausgerechnet Werbung für Sexspielzeug zwischen den Cartoons geschaltet wird.
Ich denk mir dann nur: Muss das sein? Echt jetzt?
Also hab ich irgendwann beschlossen, daß ich genauso offensiv sein muss, wie diese blöde Werbung.
Ich rede mit ihm über Sex. Ich erkläre ihm, daß er wohl demnächst Filmchen sehen wird und daß er sich klar sein muss, daß das nicht real ist.
Ich trichtere ihm in einem vielleicht zu jungen Alter ein, daß er sehr genau darauf achten muss, was seine Freundin dann auch wirklich will.
Manchmal denke ich mir, daß er noch zu klein für diese Gespräche ist und dann wieder, daß ich vielleicht in zwei Jahren wenn er komplett in der Pubertät steckt nicht mehr zu ihm durchdringe…
Mir wäre es lieber, ich könnte mir mehr Zeit damit lassen, aber solange er beim Cartoon schauen mit Vibratoren zugespamt wird, hab ich das Gefühl ich muss das jetzt machen.
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Liebe Andrea,
danke für deinen Kommentar und dafür, dass du so anschaulich beschreibst, wie penetrant sich diese Sex-Werbung in unseren ganz normalen Alltag zu drängen vermag, selbst nachmittags beim Cartoons schauen.
Ich bin selbst definitiv nicht „verklemmt“ oder lehne Sexualität an sich ab, aber diese Form der Instrumentalisierung von „Sexyness“ stößt mich ab. Dabei geht es ja auch nicht um sinnliche Erfüllung sondern um Konsum und dessen Propagierung auf Kosten anderer (wie hier der scheinbar erfolgreichen „Models“ auf dem Plakat).
Ja, lass uns als Mütter und selbstbewusste Frauen unseren Söhnen gegenüber ein Zeichen setzen. Sex sells. Aber Respekt zählt auf lange Sicht mehr.
Herzlichen Gruß, Sunnybee
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Liebe Sunnybee,
Kapital kennt keine Grenzen! Weder geographisch noch moralisch. „Sells“ ist das Schlüsselwort. It sells und die Kassen klingeln.
Mich stört aber eine andere noch gravierendere Nachricht, die nicht nur diese aber alle solche Sendungen propagieren: Kopfarbeit, Lernen etc. sind weniger wichtig oder gar nicht wichtig. Es werden next models gesucht, neue Superstars, Tanzpaare, Sänger und so weiter. Es wird den jungen Leuten suggeriert, dies seien Hauptthemen. Strengt euch an, um besser zu singen und/oder zu tanzen etc. Wissenschaft uns Technik werden total vernachlässigt. Was Deutschland Wohlstand und Fortschritt gebracht hat. Wenn alle nur tanzen und singen und Model stehen wollen, wer soll denken und arbeiten?!
Mit solchen Wählern ist der deutsche Trump bald „in office!“
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Hallo Steve,
du sprichst einen wichtigen Aspekt an: bei Werbung wie dieser geht es gar nicht um Sexualität (geschweige denn um echte Leidenschaft oder sexuelle Erfüllung), sondern um (viel) Geld und eine diskriminierende Haltung Frauen gegenüber, derer sich der Konsument bedienen soll, wie es ihm eben passt. Insofern passt Trump, den du hier zitierst, mit seiner Haltung des „Ich nehm mir die Welt, wie sie mir gefällt“ wohl gar nicht schlecht…
Kinder wollen – und brauchen Ziele und Vorbilder. Und sie orientieren sich daran, wer in ihrer Welt Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält. Es ist wohl unser Job, ihnen Alternativen zu
„Germany’s next Topmodel“ oder „Gemany‘s Superstar“ zu geben. Und natürlich auch zu einem Weltbild, wie es in Anzeigen wie dieser propagiert wird.
Viele Grüße und danke für deinen Kommentar! Sunnybee
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