Familie, Gesellschaft

Unter den Pulten der Muff von 1000 Jahren: Schule im Jahr 2024

Kind schreibt mit Kreide auf Schultafel


Schule im Jahr 2024 in Deutschland lebt von engagierten Lehrkräften, die trotz massiver Fehler im System täglich ihr Bestes geben. Sie ächzt unter Lehrkräften, die im System Schule resigniert habe und ihr mangelt es schmerzlich an Lehrkräften, die sich, motiviert und gut ausgebildet, diesem System entziehen. Und die Schüler:innen? Sie leben mit all dem. Jahrelang. Irgendwie. Ist schließlich Schulpflicht…

Was Schule kann und wo ihre Grenzen sind

Ich selbst habe über zehn Jahre lang an einer Schule des zweiten Bildungswegs unterrichtet. Das heißt, ich habe Schüler:innen auf das Abitur vorzubereiten, die schon eine Ausbildung abgeschlossen hatten, bereits Verantwortung für ein Kind trugen oder erst vor wenigen Jahren aus Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt nach Deutschland geflüchtet waren. Das Interesse und Engagement der jungen Menschen hat mich immer wieder begeistert. Allerdings nahm ich wahr, dass selbst an dieser – insgesamt „guten“ – Schule, mit viel Möglichkeit zur Partizipation und zugewandten, engagierten Lehrkräften, nach ein bis zwei Jahren unter meinen Schüler:innen oft eine gewisse Schulmüdigkeit aufkam. Es war einfach viel: Das Lernen von Stoff „auf Abruf“, rund zwei Dutzend Klausuren jedes Jahr, viel Stillsitzen und Zuhören in den Klassenzimmern. Ja, wir hatten eine Sport- und Theater-AG, eine aktive Schüler:innenmitverwaltung, einen Schulsozialarbeiter – aber eben auch Curricula, die aus allen Nähten platzten, mit Inhalten, die sich häufig eher am Bildungskanon von 1890 orientierten, als an den Interessen heutiger junger Menschen.

Ich selbst habe als Lehrerin dennoch gerne mit meinen Schüler:innen gearbeitet – besonders gern in den Momenten, wo etwas Freiraum möglich war, ich sie entscheiden lassen konnte, was sie sich aneignen und womit sie sich aus echtem inneren Antrieb beschäftigen wollten. Das waren meist auch die Momente, wo sie ihre Fähigkeiten am meisten entfalteten. Noch immer ist mir ein Stehgreif-Gitarrenkonzert eines Schülers in Erinnerung, das uns alle bass erstaunt zurückließ. Davor und danach sagte er in der Klasse nicht viel, aber im Rahmen dieses Vortrags konnte er sein Talent zeigen.

Wir müssen unserem Lehrer dienen…

Heute bin ich Mutter eines Kindes, das selbst die Schule besucht. Auch mein Sohn hat engagierte, zugewandte Lehrerinnen und geht insgesamt (noch) ganz gern zur Schule – schon allein, weil er dort täglich seine Freunde sieht. Zugleich bekomme ich kurz vor Schuljahresende ein Gedicht in die Hände, das die Kinder der zweiten Klasse zum Abschied ihrer Lehrerin auswendig lernen sollen. Darin ohne jede Ironie die Strophe: „Alle Schüler stehen ganz traurig vor Ihnen und müssen nun einem anderen Lehrer dienen“ und etwas später: „Wir werden ganz lieb und artig sein – und weiter gut lernen, ist das nicht fein.

Heureka! Das sind doch genau die Werte, die ich mir für meinen Sohn wünsche… Und letztlich ist auch das (leider) noch Realität an deutschen Schulen: Eine immer klar spürbare Hierarchie zwischen Schüler:innen und Lehrer:innen. Der Druck, zu funktionieren, weil sonst ganz schnell der Ausschluss aus dem System Schule droht und der Anspruch, sich an vorgegeben Lern- und Lösungswegen zu orientieren. Mein Sohn kam voller Neugier und Offenheit in die Schule. Und lernte schnell: Das, was ihm jahrelang großen Spaß gemacht hat – Geschichten mitzuverfolgen, vorgelesen bekommen und selbst zu erzählen – heißt jetzt „Deutsch“. Man muss dabei lernen, den Füller zu halten, ohne zu klecksen, bekommt die Fehler angestrichen, wenn man schreibt und muss sich zu Themen Texte ausdenken, die die Lehrerin gut findet. Das können manche gut, die bekommen die guten Noten. Andere nicht so gut, die sind eben schlecht in der Schule. Mein Sohn wurschtelt sich da so durch. Nimmt das als gegeben hin. Kommt mittags oft reichlich geladen nach Hause. Als Mutter schaue ich mir das an. Unterstütze ihn, wo ich kann, erlaube ihm auch mal, die Hausaufgaben erst am nächsten Tag zu machen, wenn an diesem nichts mehr in den Kopf geht – höre von seinen Lehrerinnen, in der Grundschule gehe es ja noch behütet zu, spätestens an der weiterführenden Schule wehe ein ganz anderer Wind…

Nun… ich habe Schüler:innen unterrichtet, die (zunächst) in genau diesem System Schule oft nicht gut zurechtkamen, die vielleicht zuhause auch nicht die Unterstützung hatten, die Schülerinnen und Schüler in Deutschland wirklich brauchen. Weil in der Schule keine Kapazität für mehr als zwei Runden Wiederholung da ist. Lehrkräfte Brände löschen – und die „Mittelguten“ und „Guten“ notgedrungen mitschwimmen lassen. Weil eben nur zwei bis drei Kinder von zehn schon ab Klasse 1 intrinsisch motiviert und selbstständig den Schulstoff lernen – schlicht, weil es in Häppchen vermittelter „Stoff“ für sie bleibt. Etwas, das die Erwachsenen wichtig finden. Sie machen mit, weil sie die Erwachsenen mögen und ihnen gefallen wollen (später, weil sie gute Noten haben wollen), nicht, weil sie verstehen oder gar empfinden, was an diesen Inhalten wichtig sein soll.

Was lernen Kinder in unseren Schulen?

Das Lernen aus eigenem Antrieb bringen Kinder mit. Sie praktizieren es täglich. Bestenfalls macht Schule ihnen die Freude daran nicht kaputt.

Im schlechtesten Fall lernen sie aber dort auch nur „brav“ zu sein und zu tun, was von ihnen erwartet wird. Spätestens mit 18, wenn unsere Kinder zum ersten Mal wählen gehen, erhoffen wir uns dann von ihnen reflektierte und eigenständige Entscheidungen, erwarten, dass sie in einer komplexen Welt selbstbewusst ihren Standpunkt vertreten und wünschen uns, dass sie als selbstsichere, emphatische, offene Menschen ihren Weg gehen. 

Ob „Bildung“ in der Form, wie sie an unseren Schulen noch allzu oft vermittelt wird, der richtige Weg dorthin ist? Was denkt ihr?

Nachdenkliche Grüße, Sarah Zöllner

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

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[Foto: Pixabay]

2 Gedanken zu „Unter den Pulten der Muff von 1000 Jahren: Schule im Jahr 2024“

  1. Das Bildungssystem und Schulen verändern sich nur punktuell und langsam. Wir haben es immer mit Widersprüchlichkeiten zu tun: Einerseits Individuelle Förderung, andererseits das Berechtigungswesen mit seinen normierten Abschlussprüfungen. Vermittlung von Tradiertem versus Zukunftsbildung. Lernen für das selbstbestimmte Leben versus Anpassung an Normen. Hinzu kommen die unreflektierten Sozialisationen von Lehrkräften. Wir im Saarland haben eine sehr fortschrittliche Inklusionsverordnung, in der weit gehend auf „Etikettierungen“ von Lernenden verzichtet wird. Gerade kam ein neuer Leistungsbewertungserlass heraus. Diesem nach muss ich gar nicht mehr klassische Klassenarbeiten für alle am gleichen Tag schreiben. Leistungsnachweise können auf ganz verschiedene Art und Weise erbracht werden. Lehrkräfte und Eltern tun sich unendlich schwer damit (nicht alle), diese Poetentiale der Veränderung zu nutzen. Hausaufgaben und ihre Sinnhaftigkeit in Frage zu stellen scheint auch ein großer Schritt. Die Debatte um Ziffernnoten geht jetzt ins mindestens 50ste Jahrzehnt. ..

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