
Über Pfingsten waren wir als Familie ein paar Tage im Urlaub. Ich habe Freundinnen Bilder von unserer gemeinsamen Zeit geschickt. Eine schrieb zurück: „Danke für die schönen Fotos. Ihr seht wirklich aus wie eine glückliche Bilderbuchfamilie!“ Sie freute sich mit mir. Und ich freue mich auch. Denn ja, wir hatten eine wirklich schöne Zeit in dieser knappen Woche mit unseren Jungs – und haben uns zweimal auch wirklich heftig gestritten. Und der Kleine hat in drei von vier Nächten so schlecht geschlafen wie schon die letzten zwei Jahre. Der Große hatte auch so seine Momente – und romantische Abende zu zweit waren in diesem Urlaub (noch) eher rar…
Schön war es trotzdem – weil wir als Familie Neues entdeckt haben. Miteinander. Auch viel gelacht und gekuschelt haben. Weil keine äußeren Termine unseren Tag bestimmten. Echtes Leben ist eben beides: anstrengend und schön, mit Momenten, in denen uns alles überfordert und Zeiten, in denen wir sehr glücklich sind. Nur, wann sprechen wir darüber wirklich ehrlich, selbst mit unseren Freundinnen und Freunden? Dabei würde diese Ehrlichkeit doch alle erleichtern, oder? Die ohne das (vermeintliche) Bilderbuchfamilienleben – und auch die mit.
Die „Rama-Werbung“ als Ideal?
Als Kind hatte mein Partner die „Rama-Familie“ aus der Werbung, mit Papa-Mama-Kindern harmonisch beim Frühstück im Sonnenschein, als Sehnsuchtsbild vor Augen. Heute sitzen wir mit unseren Jungs oft ähnlich harmonisch am Frühstückstisch – bis Minuten später der eine sein Milchglas umstößt und der andere behauptet, noch nie so ungerecht behandelt worden zu sein wie in dem Moment, wo er nicht den dritten Kakao an diesem Morgen bekommt. Und dann gelingt es uns Eltern manchmal, den Missklang auszugleichen und es bleibt friedlich – und manchmal gibt es Streit, alle werden laut und die Kaffeetasse steht am Ende halb voll da, während die Gemüter sich beruhigen müssen.
Ich wette, das passiert in allen Familien heute, morgen und an jedem Tag der Woche. Manchmal läuft es rund – manchmal auch über längere Zeit eher holperig. Und manchmal gibt es hinter den Türen der Einfamilienhäuser und Wohnungen im Grüngürtel der Stadt auch echte Sorgen: Kinder, die im Leben nicht so gut zurechtkommen, wie ihre Eltern es sich wünschen, Eltern, die depressiv oder süchtig sind. Schwer kranke, pflegebedürftige Angehörige. Nicht zu lösende Beziehungskonflikte, Geldsorgen, psychische oder physische Gewalt. Auch davon erfahren wir oft erst nach Jahren oder im Nachhinein, selbst von engen Freundinnen und Freunden. Weil es eben mehr als schmerzlich sein kann, sich einzugestehen, was da ist oder auch, was man (oder frau) mit sich machen lässt, um den Schein der heilen Welt nach außen zu wahren.
Ein Netz, das Familien trägt
Familien in dieser Situation brauchen Hilfe. Kinder, die in einem solchen Umfeld leben, brauchen Menschen, die ihnen zeigen, dass das Leben, das sie erfahren, nicht das ganze Leben ist. Und Eltern, die nicht mehr weiterwissen, brauchen Menschen, die sie nicht verurteilen, sondern ihnen helfen, im Leben wieder sicheren Stand zu finden. Je glatter die Fassade, umso versperrter aber oft der Blick dafür, dass Hilfe wirklich nötig ist. Oder einfach nur ein Netz an Menschen, das Eltern(teil) und Kind(er) verlässlich umgibt. Das in guten wie in schlechten Zeiten wirklich da ist, sich nicht „abspeisen“ lässt mit vermeintlich idyllischen Bildern und glattgeredeten Geschichten. Ein Umfeld, das hinsieht, nachfragt, wirklich Anteil nimmt.
Leider umgibt längst nicht alle Familien ein solch wohlwollendes und unterstützendes Netz. Umso wichtiger, dass wir uns nicht noch einsamer machen, indem wir behaupten, niemanden zu brauchen. Ich nehme an, keine Mutter fühlt sich dem Alltag, gerade, wenn ihre Kinder noch klein sind, immer komplett gewachsen. Kein Vater hat nicht Momente, in denen er seine kinderlosen Kumpels um ihre Freiheit und die vermeintliche Sorglosigkeit ihres Lebens beneidet. Kein Kind wünscht sich nicht manchmal andere Eltern oder fühlt sich schmerzlich einsam und unverstanden. Es ist einfach Teil unseres Lebens, dass nicht immer alles rosig ist. Sich das einzugestehen und im Zweifelsfall auch Hilfe zu suchen und anzunehmen ist das, was Familien wirklich glücklich macht – jenseits des „Zuckerbäckeridylls“, dass bis heute auch noch manches Bilderbuch uns vorgaukelt.
Ehrlichkeit als Basis eines glücklichen Familienlebens
Um diese Ehrlichkeit uns selbst und auch anderen gegenüber wagen zu können, brauchen wir Menschen, die uns zeigen: ich nehme dich an, genau so wie du bist, mit Macken und Möglichkeiten, mit starken und schwachen Momenten. Und es braucht meiner Meinung nach auch Menschen, die uns hinter ihre Fassaden schauen lassen. Dorthin, wo eben manches rund läuft, anderes aber auch gar nicht. Als Familien, als Eltern und Kinder und überhaupt als Menschen über die Fehlbarkeit reden zu können, die uns umgibt und die auch in uns ist, heilt. Uns im Ganzen, mit allem, was uns ausmacht, zeigen zu können, ist ein Geschenk – und die beste Voraussetzung dafür, dass wir das, was wir uns wohl alle wünschen, tatsächlich leben können: ein wirklich in tiefer Weise glückliches Familienleben.
Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: privat]
Ein Blick hinter die Fassade zu werfen ist echt wichtig. Manchmal ist es mir allerdings in der Onlinewelt auch ein bisschen zu viel Schwarzmalerei, dann bin ich froh, mich mit echten Menschen darüber auszutauschen. Mit Menschen, die einfach Kartoffelsalat aus dem Supermarkt zum Grillen mitbringen oder ihr Kind heute bis 17 Uhr in der KiTa lassen. Einfach so. Weil das Leben unperfekt ist und unperfekt sein darf und uns trotzdem Spaß macht.
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Schön und wahr gesagt, liebe Nadine!😊
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Ein wunderbarer Beitrag, für den ich heute endlich Zeit habe. Bilderbuchfamilien, ja sie prägen uns. Als alleinerziehende Mama von vier Kindern habe ich in der Vergangenheit oft auf die vermeintlich glücklichen Familien geschaut. Und dann werde ich von einer dieser Mütter beneidet, um meine Freiheit. In diesem Moment wurde ich zynisch und schlage vor, sich einfach zu trennen und frei zu leben.
In meinem Leben bin ich mittlerweile so offen , dass ich über meine Brüche in der Vita ganz offen spreche. Auch über meine Ängste. Und dann sind da die wunderbaren Momente, in denen auch ich ein Bilderbuchleben führe. Heute kann ich sie genießen.
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Liebe Britta, sehr schön geschrieben! Ergänzen möchte ich noch, dass Familienleben, egal ob alleinerziehend oder in Partnerschaft, schön und zugleich herausfordernd sein kann. Ich habe ja schon die Erfahrung gemacht, getrennt erziehend zu sein, jetzt lebe ich wieder in einer Partnerschaft – und tatsächlich hat beides seine Vor- und Nachteile. Eine Partnerschaft kann Sicherheit und Geborgenheit bieten, macht aber immer auch Kompromisse und die Auseinandersetzung mit den eigenen Macken und den Macken des anderen nötig – vielleicht hätte sich deine Bekannte am liebsten davon befreit… Und vielleicht konnte sie auch nicht sehen, dass ganz allein für alles zuständig zu sein zwar mehr Freiheit bei Entscheidungen bedeutet, aber eben auch mehr Verantwortung und durchaus auch Momente, in denen sich das Ganze einsam und überfordernd anfühlt. Nur – diese Momente gibt es meiner Erfahrung nach auch in Partnerschaften. Wie immer: gegenseitiges Verständnis hilft und kein zu schnelles Urteil über das Leben der anderen. 🙂
Herzlichen Gruß, Sarah
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