
Was brauchen Familien wirklich? Zeit miteinander? Liebevolle Kommunikation? Freude am Zusammensein? „Ich habe ein volles Leben mit einem erfüllten verwechselt“, schreibt Autorin Leonie Schulte, selbst Mutter dreier Kinder, im Vorwort ihres Buches. Und dass sie sich auf den Weg machen wollte, herauszufinden, was wirklich zählt. Statt immer mehr, immer besser und immer neu die Beschränkung auf das Wesentliche. Aber was ist das überhaupt? Und wie geht Reduktion im positiven Sinn mitten im Trubel zwischen Kindern, Beruf und Partnerschaft? Dieser Ratgeber gibt Antworten – einfühlsam und praxisnah – und lässt Menschen zu Wort kommen, die in ihren jeweiligen Bereich Expert/innen sind.
Keine Supermama – gut genug als Mutter ist perfekt
„Hinreichend gut genügt!“ antwortet zum Beispiel Margrit Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften, auf die Frage, was Mütter brauchen, um ihre Kinder gut ins Leben zu begleiten. Die Illusion der „Supermama“, des perfekten Ideals, setze Frauen unnötig unter Druck: es sei nicht möglich – und auch nicht nötig -, als Mutter immer fürsorglich, innig liebend und zugleich perfekt organisiert zu sein. Fehler, Schwächen und emotionale Durchhänger gehörten zum Leben dazu. Zudem brauche es für ein gelingendes Leben als Familie viel mehr als persönliche Anstrengung und Motivation – gesellschaftliche Strukturen müssten auf Familien ausgerichtet sein und das Elternsein dürfe nicht als Wettkampf um die beste Förderung des Kindes missverstanden werden.
Wie aber tatsächlich gelassener werden? Wie überhöhte Ansprüche an sich selbst und an das Leben als Familie loslassen? Fehler zu akzeptieren, auf die eigene innere Stimme zu hören, sich zu fragen, was stimmt für mich und nicht nur für alle anderen, sind einige Ansätze, die Leonie Schulte nennt.
Praktische Tipps für das Wesentliche im Familienalltag
Aber die Autorin beschränkt sich nicht nur auf die innere Haltung als Mutter oder Vater. Statt dessen fragt sie ganz praktisch in den weiteren Kapiteln: wie schaffen wir es, auch im Außen gemäß unseren Bedürfnissen als Familie zu leben? Was ist uns wichtig in Bezug auf den Ort, an dem wir leben? Supermarkt und Krabbelgruppe in der Nähe oder Wald, saubere Luft und viel Platz für alle? Wieviel Raum brauchen wir, welche Anschaffungen sind wirklich nötig – und was machen wir z.B. mit all dem Spielzeug, das bereits da ist und das unsere Kinder in seiner Fülle regelrecht überfordert?
All das sind natürlich in gewisser Weise „Luxusprobleme“ klassischer Mittelstandsfamilien, für die es an Fürsorge, Förderung und auch materiellem Wohlstand für die Kinder nicht genug sein kann. Man könnte dem Ratgeber vorwerfen, dass er sich an Eltern wendet, die sich nichts Schlimmeres zuschulden kommen lassen als ihrem Liebling unnötigerweise den dritten Haba-Laster gekauft zu haben. Auch Illustration und Gestaltung suggerieren trotz aller (kleiner) Schwierigkeiten ein Familienidyll in warmem Licht und mit ziemlich perfekt inszenierten Eltern und Kindern – also im Grunde genau das Gegenteil dessen, was die Autorin propagiert.
Familienwerte und kluge Alltagsorganisation
Andererseits macht es so natürlich auch Freude, diesen wirklich schön gestalteten Ratgeber zur Hand zu nehmen und Aussagen wie die des Kinderarztes Herbert Renz-Polster, der Eltern rät, Kindern vor allem die Anerkennung ihrer Person, Sicherheit und das Gefühl dazuzugehören zu geben, sind einfach zu wichtig, um sie als nettes Gerede abzutun. Außerdem ist spürbar, dass Autorin Schulte Eltern mehr als das Blaba typischer Erziehungsratgeber mitgeben möchte. Toll finde ich zum Beispiel, dass sie Eltern rät, sich die Frage nach den eigenen Werten zu stellen und danach, wie sich diese im Alltag leben lassen. Sich also weniger an bestimmten Erziehungsstilen und strikten Glaubenssätzen zu „guter Erziehung“ zu orientieren und sich statt dessen zu fragen: was ist uns als Familie wichtig? Ein respektvolles Miteinander? Ein verantwortungsvolles, selbstbestimmtes Leben? Hilfsbereitschaft? Und wie können wir das leben? Exkurse zur Bindungstheorie sowie zur Bedürfnisorientierung und Selbstfürsorge als Eltern ergänzen diese grundlegenden Gedanken.
Die abschließenden zwei Kapitel zeigen schließlich, wie im Alltag überhaupt Raum und Zeit für ein gemeinsames Familienleben geschaffen werden kann: über sinnvolle Organisation alltäglicher Aufgaben, eine gerechte Verteilung des Mental Load und auch schlicht den Mut zur Lücke und die Reduktion der täglichen To-Dos.

Ich freue mich besonders, an dieser Stelle als Gastautorin Tipps zur Alltagsorganisation und Selbstfürsorge als Alleinerziehende beisteuern zu können. Die wichtigsten Impulse: sich in allem Stress dennoch ein gutes Leben zu gönnen und sich Unterstützung zu holen, wenn es alleine nicht mehr geht.
Was macht eine Gesellschaft familienfreundlich?
Das letzte Kapitel des Buches widmet Leonie Schulte schließlich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Familien für ein gutes Leben brauchen sowie dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So betont z.B. Autor und Bildungsjournalist Birk Grüling, dass familienfreundliche Arbeitsmodelle grundsätzlich nicht nur in klassischen Bürojobs möglich seien – der Wille auch der Väter, neue Wege zu gehen und ihre Zeit für das Familienleben aktiv einzufordern, müsse jedoch da sein: „Väter dürfen es nicht nur bei Lippenbekenntnissen belassen“, so der Autor.
Was brauchen Familien also? Unter anderem eine Gesellschaft, in der nicht alle das Gleiche und davon möglichst immer mehr anstreben, sondern die statt dessen eine Vielfalt an Lebensentwürfen ermöglicht und Familie als essenzielles Thema auch der Politik versteht. Nur eine Gesellschaft, die die Bedürfnisse der nächsten Generation ernst nimmt, ist zudem wirklich zukunftsfähig. „Das gute Leben, es ist leicht“, so Leonie Schultes Schlusswort. Damit Familien diese Leichtigkeit leben können, brauchen sie einen Rahmen, der sie trägt und stärkt. Dieses Buch gibt auf psychologischer, alltagspraktischer und politischer Ebene wichtige Impulse dazu. Lesenswert!
Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
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[Foto: privat, ich danke dem Verlag für das zu Verfügung gestellte Rezensionsexemplar. Der Beitrag gibt dennoch ausschließlich meine persönliche Meinung wieder.]
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