
Teil 1: „Schule und Bildung in der Pandemie“
Teil 2: „Gesundheitsschutz und das Recht der freien Wahl“
Wir biegen scharf ein ins dritte Jahr der weltweiten Corona-Pandemie. Was bedeutet das insbesondere für Familien? Was brauchen wir als Eltern und was brauchen unsere Kinder? Was stärkt uns in dieser nun bereits über zwei Jahre andauernden Ausnahmesituation? Vorab: „uns“ als Familien gibt es im Grunde so wenig wie die eine homogene „deutsche Bevölkerung“. Was den einen wichtig ist, lässt die anderen kalt und natürlich unterscheiden sich die Lebensumstände von Familien gravierend. Was wir Eltern und unsere Kinder allerdings gemeinsam haben: wir sind eine Schicksals- und im besten Fall auch Solidargemeinschaft, die zusammen Wege finden muss, mit der jetzigen Situation umzugehen. Wie kann das aussehen? Was brauchen Familien im 3. Jahr der Pandemie? Was stärkt uns Eltern und unsere Kinder?
Klare Kommunikation und verlässliche Strukturen
Ein gravierender Stressfaktor in Krisen ist die quasi permanente Ungewissheit. Gewohnte Strukturen und Abläufe erweisen sich als nicht mehr tragfähig, der Alltag ist durch Unsicherheit und eine immer wieder neue Anpassungsleistung bestimmt. Das alles kostet Kraft. Was aber hilft? Meiner Meinung nach besonders zwei Dinge: eine klare und eindeutige Kommunikation seitens derjenigen, die Entscheidungen treffen und Konstanten im Alltag, die Halt und Orientierung bieten.
Wie kann so etwas speziell für Familien aussehen? Gerade für berufstätige Eltern spielt die schulische und außerschulische Betreuung ihrer Kinder eine wichtige Rolle. Wie läuft der Unterricht (oder die Betreuung) ab? An wen kann ich mich bei Fragen oder Schwierigkeiten wenden? Erfahre ich rechtzeitig, was in welcher Form umgesetzt werden soll? Für Kinder und Jugendliche selbst ist der Kontakt zu Gleichaltrigen sowie Verbindlichkeit bei täglichen Abläufen besonders wichtig. Wie können sie ihre Freunde weiter sehen, bzw. den Kontakt halten? In welcher Form können sie ihre Hobbys und Interessen verfolgen? Wie weit greifen Schutzmaßnahmen in ihren Alltag ein und wo bleiben Freiräume, (weitgehend) ohne Reglementierung, zur Erholung?
Als Eltern können wir uns fragen, wo wir selbst unseren Kindern gegenüber klar und verbindlich in der Kommunikation sein können und wollen. Wo wir auch Institutionen oder politischen Vertreter/innen gegenüber klare Kommunikation fordern und über eigenes Engagement, z.B. in Elternbeiräten oder bürgerpolitischem Initiativen, für die Entscheidungen und Strukturen sorgen können, die Familien entlasten und stärken. Hier sehe ich gerade im dritten Jahr der Pandemie großen Bedarf: Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 müssen ganz eindeutig empirisch auf ihre Zweck- und Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Nur was wirklich hilft, darf weiter unseren und den Alltag unserer Kinder bestimmen. Infektionsschutz darf meiner Meinung nach zudem nicht dauerhaft über viele weitere Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, wie zum Beispiel das der sozialen Teilhabe, gestellt werden.
Als Eltern können – und sollten – wir Möglichkeiten der Pandemiebekämpfung einfordern, die unseren Kindern erlauben, so unbeschwert wie möglich ihrer Neugier, Wissbegier und Entdeckungsfreude nachzugehen. Ist in Musikschulen, wie aktuell in Baden-Württemberg, das Singen nur noch mit medizinischer Maske erlaubt, können wir als Eltern abwägen, ob wir unser Kind um der Gemeinschaft und der musikalischen Bildung Willen mit Maske im dortigen Chor singen lassen wollen – oder aber zum momentanen Zeitpunkt nach Alternativen suchen, wie dem gemeinsamem Musizieren im kleinen privaten Kreis oder dem Spiel mit Freunden unter freiem Himmel.
Offenheit für Bedürfnisse und Ängste
Ich denke, nach fast zwei Jahren Pandemie dürfte allmählich klar sein, dass wir das Virus nicht so leicht wieder loswerden. Umso wichtiger erscheint mir, dass wir lernen, mit Covid-19 zu leben. Hierzu gehört, dass wir unsere Ängste, aber vor allem auch unsere Bedürfnisse ernst nehmen. Dies gilt natürlich auch für unsere Kinder. Wir sollten ernst nehmen, welches Bedürfnis sich gerade besonders deutlich zeigt: ist es das nach Schutz und Sicherheit, nach Selbstwirksamkeit, nach Austausch, Kontakt oder eher nach Rückzug und Konzentration auf das Wesentliche?
Indem wir uns klar werden, was uns im Innersten motiviert, werden wir in positiver Weise unabhängig von äußeren Einflüssen. Wir müssen auf diese nicht mehr reflexartig mit Abwehr, Angst oder aber blinder Begeisterung reagieren. Statt dessen schaffen wir uns mitten im Durcheinander immer neuer Virusvarianten und politischer Entscheidungen eine Art innerer Kompass und setzen damit Energie frei, uns für das einzusetzen, was uns wirklich wichtig ist. Ob das Luftfilter in Schulen oder die regelmäßigen Treffen mit anderen Eltern sind, bleibt dann jedem/r selbst überlassen. Wir können die uns umgebenden Einschränkungen akzeptieren und uns dennoch innerlich ein Stück weit von ihnen unabhängig machen.
Dazu kann auch gehören, dass wir pandemiebezogene Meldungen, Analysen und Diskussionen nur noch wohldosiert verfolgen. Viel Aufregung entsteht meiner Wahrnehmung nach durch die Dauerthematisierung der Erkrankung. Nach fast zwei Jahren können wir uns entscheiden, diese als potentielles Risiko ernst zu nehmen und ihr zugleich im Alltag nur den Raum zu geben, dem wir für richtig halten. Schutz vor Covid-19 ja – aber nicht so, dass unser Leben dadurch auf fast allen Ebenen dauerhaft bestimmt wird.
Raum für individuelle Lösungen
2022 sollten wir uns dafür einsetzen, individuelle Lösungen zu finden, statt auf die eine vermeintlich richtige Lösung für alle zu setzen und diese mit Druck – oder gar Zwang – durchzusetzen. Das gilt meiner Meinung nach sowohl für die Impfung gegen Covid-19, bei der ich, besonders in Bezug auf die Impfung von Kindern und Jugendlichen, klar für eine freie Entscheidung nach persönlicher Risiko-Nutzen-Abwägung plädiere. Es gilt aber zum Beispiel auch für die Frage, ob ich mein Kind mitten in der Pandemie zum Unterricht in die Schule schicken oder es lieber von zuhause aus lernen lassen möchte. Für beides gibt es gute Gründe. In Bezug auf digitales Lernen oder einen wirklich sinnvoll konzipierten Wechselunterricht gibt es an Schulen, wie ich im 1. Teil dieser Serie schrieb, allerdings noch viel Luft nach oben. Die Lösung kann dennoch nicht heißen wie bisher: Präsenz- oder Distanzunterricht für alle, um (fast) jeden Preis. Wir sollten 2022 beginnen, endlich denjenigen zuzuhören, die von politischen Entscheidungen, z.B. in Bezug auf die Gestaltung schulischer Bildung, direkt betroffen sind, nämlich Kindern, Jugendlichen und deren Eltern. Und wir sollten uns dafür einsetzen, dass eine echte Wahlmöglichkeit geschaffen wird, statt partout eine Lösung für alle durchsetzen zu wollen.
Echter Austausch und Leichtigkeit
Genau hierzu benötigen wir den konstruktiven Austausch unter Menschen, deren Standpunkte sich gegebenenfalls stark unterscheiden oder sogar widersprechen. Heterogene Entscheidungsgremien sind laut einer Studie der Universtität Konstanz häufig effektiver und damit erfolgreicher als Gremien, in denen sich die Mitglieder sehr ähnlich sind. Diese Chance sollten wir 2022 nutzen: statt diejenigen zu verurteilen, die einen anderen Standpunkt als wir selbst vertreten, sollten wir den Austausch nutzen, um zu tatsächlich praxisnahen, sozial verträglichen und zugleich pandemietauglichen Lösungen zu kommen. Schaffen wir auch für Familien 2022 endlich die Rahmenbedingungen, die uns Eltern und unseren Kindern im Alltag Erleichterung – und damit auch endlich wieder Leichtigkeit – verschaffen. Was brauchen wir als Familien wirklich? Wie soll unser Alltag aussehen? Und wie kommen wir dorthin – jetzt und nicht erst in vager Zukunft? Das sind die Fragen des Jahres 2022. Stellen wir sie!
Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
War dieser Beitrag spannend? Dann interessieren dich vielleicht auch Teil 1 und 2 dieser „Mini-Serie“ zum Jahresanfang:
Teil 1: „Schule und Bildung in der Pandemie“
Teil 2: „Gesundheitsschutz und das Recht der freien Wahl“
Blogparade “Was brauchen Familien wirklich?“
2019 stellte ich diese Frage im Rahmen einer Blogparade auch schon einmal. Die Antworten, die ich erhielt, sind auch heute noch spannend!
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[Foto: Pixabay]
Liebe Sarah,
Du hast recht, blendest meines Erachtens aber einen Aspekt aus: den derer, die nicht frei entscheiden können, wie zum Beispiel das Kind mit Immundefekt in der Klasse meines Sohnes, das bei der Laisser-faire-Haltung dort nur zu Hause bleiben kann und keine freie Wahl mehr hat. Ich teile deine Einstellung, dass Impfen eine Privatentscheidung sein sollte, umso wichtiger wird dann konsequentes Testen und ein sinnvoller Einsatz der FFP-Maske, wenn nicht im Unterricht, dann auf den Gängen und im Schulbus. Und konsequentes Daheimbleiben beim geringsten Verdacht. Sonst bleibt die Freiheit Freiheit für Privilegierte.
Meine ungeimpfte Kollegin ist übrigens ein hervorragendes Beispiel, wie Verantwortung sogar auf einer Intensivstation gelingen kann. Nix für ungut, Natalie
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Liebe Natalie, danke für deinen Kommentar und vermutlich unterscheiden sich unsere Standpunkte gar nicht so sehr. Ich befürworte – und praktiziere – auch Rücksichtsnahme und Umsicht, aber eben kein blindes Schießen auf Spatzen mit Maßnahmen, deren Schaden womöglich gegenüber ihrem Nutzen überwiegt (Masken im Gesangs- oder Schulsportuntericht oder die Ausgrenzung von Jugendlichen aus dem sozialen Leben wegen fehlender Impfung sind für mich zwei Beispiele). Ich finde, da müssen einfach andere und auch lebensnahere Lösungen gefunden werden.
Ansonsten denke ich inzwischen: langfristig müssen wir lernen mit dem Virus zu leben, die Impfungen bieten keinen hundertprozentigen Schutz, das Virus selbst scheint ja allmählich über seine Mutationen zwar ansteckender, aber auch etwas weniger gefährlich zu werden. Vielleicht erschrecken wir dann irgendwann nicht mehr bei jeder Schnupfennase, behandeln unsere kerngesunden Kinder nicht mehr prophylaktisch wie Virenschleudern oder grenzen erwiesenermaßen gesunde Erwachse aus dem sozialen Leben aus.
Was ich positiv fände, wäre allerdings, wenn uns ein Bewusstsein erhalten bliebe, dass unser Verhalten Konsequenzen hat und dass die Schwächsten innerhalb unserer Gesellschaft tatsächlich gezielten Schutz und Unterstützung brauchen. Angesichts zahlreicher Steine, die z.B. pflegenden Angehörigen immer weiter in den Weg gelegt werden oder auch nur den Müllbergen, die aktuell im Rahmen der Gesundheitheitsvorsorge durch Milliarden Tests oder Einwegmasken erzeugt werden, zweifle ich allerdings zunehmend an der Umsicht – und zum Teil auch Ehrlichkeit derjenigen, die diese Entscheidungen zu verantworten haben. Und das finde ich zum jetzigen Zeitpunkt fast das Bedenklichste der Pandemie.
PS. Was wird den mit deiner ungeimpften Kollegin ab Mitte März (Einführung der Impfpflicht in Pflegeberufen) passieren? Wird sie aufgrund ihrer Entscheidung entlassen werden?
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Das weiß niemand, sie hat schließlich einen ordentlichen Vertrag mit entsprechend er Kündigungsfrist. Einstellen könnte sie vermutlich niemand.
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Das heißt, sie könnte, nachdem sie während der ganzen Pandemie ihren Beruf verantwortungsvoll und – wie du schreibst, auch bedacht auf den Schutz ihrer Patient/innen – ausgeübt hat, womöglich bald ihre Existenz verlieren – oder müsste, um ungeimpft weiter arbeiten zu dürfen, regelmäßig ein Bußgeld bezahlen?! Oder sich eben gegen ihren Willen impfen lassen? Das alles in einer Zeit, in der es ohnehin an Pflegekräften mangelt… ehrlich gesagt, sind es genau Entscheidungen wie diese, die mich an der Weitsicht und dem Augenmaß mancher Politiker/innen aktuell zweifeln lassen.
Vielleicht magst du mir ja im März kurz schreiben, wie das Ganze ausgegangen ist – würde mich wirklich interessieren!
Herzlichen Gruß, Sarah
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Hallo Sarah, danke für Teil 3. Einzelne Aspekte mögen wir unterschiedlich sehen, aber dann haben wir „… konstruktiven Austausch unter Menschen, deren Standpunkte sich gegebenenfalls stark unterscheiden oder sogar widersprechen …“ und das ist ja auch gut so.
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Sehe ich auch so!:-) Daher immer wieder gern! Viele Grüße nach Berlin, Sarah
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