
Martina Johann ist alleinerziehend. Sie hat zwei schulpflichtige Kinder und arbeitet in einer Familienberatungsstelle. Ende April 2021 schreibt sie mir eine Mail. „Ich finde es so ungerecht, was die (Schul-) Politik aktuell uns und unseren Kindern antut“, schreibt sie. Hier ihr Statement:
Als alleinerziehende Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern bin ich gerade besonders gekniffen und noch „alleiner“ als sonst. Und meine Kinder sind es auch!
Alles alleine stemmen – Alleinerziehende in der Pandemie
Alleinerziehende müssen auch mit Kindergärten im Notbetreuungsbetrieb und Schulen im Distanz- oder Wechselunterricht alle Anforderungen des Alltags alleine meistern:
- Wir müssen neben der Betreuung unserer Kinder unserer Erwerbsarbeit nachgehen. Von unseren Kindern wird erwartet, dass sie seit Monaten selbständig lernen, ihr Aufgabenpensum strukturieren und die Ergebnisse abgeben. Dabei sind sie auf unsere Hilfe und unsere Anerkennung angewiesen. Wie oft hören sie jedoch im Home Office gerade „Warte bitte mal, ich muss noch diese Mail zu Ende schreiben“ oder sind während der Arbeit außer Haus ganz unbeaufsichtigt. Es gibt einfach keinen Partner, der mal kurz einspringen kann.
- Wir müssen Hausarbeit und die Versorgung mit Essen einplanen und erledigen, müssen einkaufen und für uns und unsere Kinder kochen. Jeden Tag. Allein.
- Darüber hinaus müssen wir die seelische Unterstützung und Motivation unserer Kinder leisten. Im Lockdown kämpfen diese mit Antriebslosigkeit, Langeweile und Überforderung. Wir müssen auch die tägliche Erziehung übernehmen und Konflikte austragen, zum Beispiel bei der Frage (digitaler) Mediennutzung, da unsere Kinder gerade ohnehin ständig im Netz sind.
- Außerdem müssen wir versuchen, den seit Monaten fehlenden Kontakt zu Gleichaltrigen zu kompensieren.
- Und nicht zuletzt spüren wir die Sorge, unseren Kindern bei all dem nicht gerecht zu werden.
Unsere Kinder leiden darunter, wenn wir Eltern überlastet sind.
Was passiert mit unseren Kindern, wenn wir Eltern sie nicht ausreichend unterstützen (können)? Die Lehrerinnen und Lehrer können im Distanzunterricht nicht alle Kinder im Blick haben. Zusätzlich erschweren technische Probleme den Internetunterricht. In der Notbetreuung in den Schulen kann ebenfalls oft nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingegangen werden. Es fehlen ausreichend pädagogische Fachkräfte, die sie bei ihren Aufgaben unterstützen könnten.
Wir alleinerziehenden Eltern sind am Rande unserer Kräfte. Unsere Kinder werden einfach abgehängt. Von wem werden sie aufgefangen? Wann und wie werden ihre Wissensdefizite ausgeglichen?
Alle Mütter und Väter, besonders aber wir Alleinerziehenden, werden von der (Schul-) Politik alleine gelassen. Die langen Lockdowns und das ständige Hin und Her politischer Entscheidungen macht unsere Kinder apathisch, reizbar und aggressiv. Wie oft schon haben sie erst freitags erfahren, dass sie montags in den Digitalunterricht wechseln, beziehungsweise doch wieder zur Schule gehen sollen, sich ihr ganzer Alltag also wieder um 180 Grad drehen wird. Unsere Kinder entwickeln eine Abneigung gegen die Schule, die ihr ganzes Lebensgefühl bestimmt. Wie sollen wir Eltern das auffangen?
Mehr Unterstützung für Familien
Wenn wir wollen, dass unsere Schülerinnen und Schüler die Schule ernst nehmen, dann muss die Schulpolitik auch die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler nach Struktur, Verlässlichkeit und Sicherheit ernst nehmen!
Der Deutsche Kinderschutzbund forderte bereits im März 2021 mehr Unterstützung für Kinder und Jugendliche. Nicht nur seelisch, auch vom Wissens- und Leistungsstand her, werden diejenigen Kinder und Jugendlichen systematisch benachteiligt, die von ihren Eltern im Homeschooling nicht unterstützt werden können. Wir alleinerziehenden Eltern sind oft für die Schulbildung unserer Kinder alleine verantwortlich und damit noch stärker belastet.
Das könnten Lösungen sein:
- Das Schulministerium könnte Nachhilfe-Gutscheine an Familien austeilen, so dass die Kinder die entstandenen Lücken aufarbeiten können.
- Präsenzunterricht in deutlich kleineren Klassen wäre konform mit Hygienevorschriften und dennoch weit effektiver als der ständige Wechsel aus Präsenz- und Distanzunterricht.
- Reduzierte Lehrpläne und ein klarer Fokus auf die Basics der jeweiligen Fächer würden Eltern und Kinder entlasten.
- Informationen zu schulischen Belangen (z.B. Wechsel von Präsenz- zu Distanzunterricht) müssten rechtzeitig kommuniziert werden. Nicht erst freitags, wenn montags die Änderungen in Kraft treten.
- Kinder und ihre Eltern bräuchten regelmäßig Raum zum Austausch untereinander (z.B. in Form digitaler Elternabende, einer Eltern-, bzw. Klassen-Chat-Gruppe usw.) und ausreichende Kapazitäten an schulpsychologischer und sozialer Beratung. Test- und Impfzentren wurden in kürzester Zeit logistisch realisiert. Warum nicht pädagogische Angebote wie Nachhilfe und schulische Beratung?
Leider erleben unsere Kinder nur wenig bis kein mediales Interesse. Und somit werden sie auch von der Politik nicht gesehen. Traurig aber wahr: Unsere Kinder und Jugendlichen haben keine Lobby. Weder in der Stadt Köln, noch im Land noch im Bund. Sie haben ja auch keine (Wähler-) Stimme.
Martina Johann (Protokoll: Sarah Zöllner)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familienthemen und Mutter eines Babys sowie eines Kindergartenkindes.
Unterstützung für Alleinerziehende in der Pandemie?
- Der VAMV Landesverband Berlin und bietet auf seiner Seite einen Überblick über Unterstützungsmöglichkeiten für Alleinerziehende in der Pandemie.
- In NRW bietet der VAMV Landesverband in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW telefonische Beratung an: Corona Krisen-Hotline für Alleinerziehende.
- In Köln berät die ZentralE (Zentrum für alleinerziehende Eltern) Alleinerziehende telefonisch oder nach Terminvereinbarung auch persönlich. Kontakt: 0221-16833337.
- Darüber hinaus beraten deutschlandweit kirchliche und kommunale Familienberatungsstellen kostenlos und in der Pandemie auch per Telefon oder Video-Call.
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[Foto: Pixabay]
Der Beitrag hat Wellen geschlagen. Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim vom großen Elternblog „Stadt Land Mama“ haben ihn auf Facebook geteilt und er wurde über 170x kommentiert und fast 140x geteilt. Das Thema scheint unter Eltern einen Nerv zu treffen.
Umso absurder, dass bis heute, nach über einem Jahr Pandemie, der Zugang zu gutem und regelmäßigem Unterricht (inklusive des technischen Equipments, um am Distanzunterricht sinnvoll teilnehmen zu können) für Millionen Kinder noch immer irgendwie „Glückssache“ ist. Wer unterstützende Eltern, die Fähigkeit zur Selbstorganisation, gute Sprachkenntnisse und die entsprechende Infrastruktur hat, kommt ganz gut zurecht. Wer nicht, NICHT… Das ist im Sinne der Teilhabe ALLER Kinder an der Gesellschaft und des Rechts ALLER Kinder auf Bildung ein Skandal. Und dennoch ändert sich seit Monaten nichts an der Pandemie-Schulpolitik. Puh…
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Zum Weiterlesen. Die alleinerziehende Mutter Martina Johann kommt mit ihrem Anliegen am 08.05.2021 auch in einem Artikel des Redaktionsnetzwerkes Deutschland zu Wort: “Kinder haben in der Pandemie keine Lobby.“ Alleinerziehende Mutter fordert praktische Lösungen.
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