Ich beginne diesen Blog mit der Aussage einer Kollegin, die ich eigentlich sehr mag und als reflektiert und sozial engagiert schätze. Vor kurzem schleuderte eben diese Kollegin mir in einem Gespräch zwischen Unterricht und Lehrerklo sichtlich empört entgegen, sie könne das Gejammer junger Mütter, sie seien durch Beruf und Kinderfürsorge doppelt belastet, nicht mehr hören. Sie selbst pflege trotz Vollzeitstelle seit Jahren ihre alte Mutter und jammere auch nicht. Das sei ihre „Privatsache“ und meine eben auch, da ich mich nunmal entschieden habe, ein kleines Kind zu haben UND berufstätig zu sein. Mit diesem Satz empfahl sie sich in ihre nächste Klasse – und brachte mich zum Nachdenken.
Ich bin – inzwischen – Alleinerziehende eines fast dreijährigen Sohnes. Und ich arbeite seit kurz vor dem 1. Geburtstag meines Sohnes wieder. Als Gymnasiallehrerin an einer Schule, auf der Erwachsene auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nachholen können. Ich mag meinen Beruf nach wie vor sehr – UND ich arbeite wie 4 von 5 Kolleginnen mit Kindern unter sechs (und 0 von 2 Kollegen;-)) in Teilzeit, was – inklusive Vorbereitungs-, Nachbereitungs-, Korrektur- und Konferenzzeiten – ganz gut funktioniert, wenn nicht gerade eine meiner „Säulen“ weg bricht: die Kinderbetreuung durch Kita und/oder Babysitterin sowie die Gesundheit des Kindes, des Kindsvaters oder meine eigene.
Doppelt belastet
Denn JA, in solchen Momenten fühle ich mich durchaus „doppelt belastet“ – dann werde ich meiner Arbeit nämlich nicht mehr wirklich gerecht, meinem kleinen Sohn nur bedingt und mir selbst und meinem Bedürfnis nach Ruhe und Erholung gar nicht…
Jammern auf hohem Niveau, in einem Beruf, der als einer der „familienfreundlichsten“ in Deutschland gilt? Und mein Gefühl der zeitweisen Überlastung tatsächlich „Privatsache“? Ich finde NICHT.
Privat ist daran, dass ich ein Kind in sein (hoffentlich einmal eigenständiges) Leben begleite, eigentlich GAR nichts: wer hat mehr davon als die sogenannte „Öffentlichkeit“, wenn er später durch meine Fürsorge, Aufmerksamkeit, durch geschmierte Brote, Trost, ggf. Fahrdienste zu seinen Hobbies, durch Beratung, Unterstützung, ausgefochtene Kämpfe und meinen Glauben an ihn zu einem (hoffentlich) sozial kompatiblen, mitdenkenden und -fühlenden Teil dieser Gesellschaft wird, vor der ich jetzt all diese Fürsorge – und manchmal auch Sorge – quasi „verstecken“ soll?
Zwei Jobs in Vollzeit
Die Zeit, die ich mir jetzt für meinen Sohn nehme, WILL ich mir nehmen – und JA, in meinem Beruf habe ich den Luxus, auch teilzeitbeschäftigt noch genug zu verdienen, um mich und mein Kind in „Vollzeit“ zu finanzieren – aber die Kraft und Energie, die mich das (neben der Freude an beiden Aufgaben) auch kostet, nehme ich sozusagen „auf eigene Kappe“: ich reduziere mein Einkommen seit zwei Jahren freiwillig um fast die Hälfte, indem ich Teilzeit arbeite; täte ich es nicht, würde ich mich der Grenze meiner Belastbarkeit nähern mit ZWEI Jobs, bei denen der eine Arbeitgeber über das Aufgabenprofil der anderen Tätigkeit nicht gerade gut informiert ist… Oder schlichter gesagt: wie ich ein kotzendes Kind, drei Nächte ohne Schlaf, meine Unterrichtsvorbereitung und 40 zu korrigierende Klausuren koordiniere, bleibt tatsächlich erst einmal meine „Privatsache“.
Und damit meine ich NICHT, dass meine Schulleiter nicht grundsätzlich verständnisvoll sind, wenn ich z.B. meine mir rechtlich zustehenden Kinderkrankentage nehme. Ich meine, dass sie – zu Recht – erwarten, dass ich meine (bezahlte) Arbeit in der Schule auch mit Kind verlässlich und in ähnlicher Qualität wie zu den Zeiten ohne Kind erledige.
Nur HABE ich jetzt eben ein Kind – wie übrigens meine Kollegin ihre pflegebedürftige Mutter – und damit eigentlich ZWEI Jobs, die ich, mit allen Konsequenzen, in „Teilzeit“ ausübe… Kita und Babysitter, Zeiten bei Papa, der ca 80 Prozent arbeitet, und eigene Nachtschichten machen es möglich. Finanziert muss das Ganze werden (in Geld und in Stressphasen durchaus auch auf Kosten meiner Gesundheit) – real bezahlt, bzw. wirklich gravierend steuerlich entlastet, wird diese „Care-Arbeit“ nicht.
Fürsorge ist nicht „privat“
Und ich denke, solange meine Kollegin ernsthaft meint, die Pflege ihrer Mutter sei ihre Privatsache – eine Frau, die doch eigentlich weiß, welche Herausforderung die Fürsorge für Familienangehörige neben den Verpflichtungen einer bezahlten Arbeit ist – solange ist das eben KEINE Privatsache.
Statt uns untereinander „anzuzicken“ – Elternpflegende und Kindererziehende, Vollzeit- und Teilzeitarbeitende – sollten wir lieber fordern: schätzt die privat geleistete Fürsorge wirklich wert! Auch finanziell (in Form von echten Steuerersparnissen, Fürsorgegehalt oder zu erwerbenden Rentenpunkten)! Sie ist essenziell für unsere Gesellschaft und damit sehr viel – nur eines sicher nicht: Privatsache!
5 Gedanken zu „Privatsache?“