
Sind alleinerziehende Väter privilegiert? Diese Frage stellt sich mir anlässlich eines Gesprächs, das ich vor kurzem mit einem getrennt lebenden Vater führte. „Eigentlich hat sich der Alltag gut eingependelt“, erzählt er mir: „Die Kinder kommen am Wochenende gern zu mir, ich habe unter der Woche abends Zeit für mich und mein Chef hat nichts dagegen, wenn ich mal einen Tag frei nehme, wenn eines der Kinder krank ist. Klingt gut, oder? Wie geht es seiner Ex-Frau?
Weniger Streit – weniger Geld
„Seit der Trennung ist einiges leichter geworden“, erzählt auch sie mir. „Eigentlich vor allem, dass wir uns nicht mehr darüber streiten, wer für was im Haushalt und in Bezug auf die Kinder verantwortlich ist. Jetzt ist einfach klar: ich mache alles. Und er zahlt den Mindestunterhalt.“ Das Lachen, das diesem Satz folgt, klingt etwas bitter. „Wie kommt es denn dazu?“, frage ich: „Du arbeitest doch auch. Weshalb ist klar, dass du den Löwenanteil der Kinderbetreuung übernimmst?“
„Irgendwie stand das gar nicht zur Debatte“, höre ich als Antwort. „Hätte er nicht weiter Vollzeit arbeiten können, wäre er wohl nicht ausgezogen. Das Gehalt meines Ex ist nicht das Üppigste. In Teilzeit wäre es für ihn mit einer eigenen Wohnung richtig knapp geworden. Und auch sein Chef hätte wohl gemeckert.“ Wie es meiner Bekannten, die ihre Arbeitszeit nun mehr schlecht als recht um die Betreuung ihrer Kinder herum arrangiert, selbst finanziell geht, frage ich lieber nicht. Betreuungsunterhalt erhält sie, obwohl eines ihrer Kinder noch nicht drei ist, aufgrund des gerade angehobenen Selbstbehalts für Unterhaltsleistende nicht. Und vom Mindestunterhalt für ihre Kinder, Kindergeld und ihrem aktuellen Einkommen lassen sich sicher keine großen Sprünge machen.
Die Last der Verantwortung
„Ja, es ist im Alltag schon sehr anstrengend“, gibt sie zu. „Ich nutze fast die gesamte Zeit ohne meine Kinder für meine Arbeit oder die Organisation des Alltags, habe Tausend Dinge im Kopf und kontrolliere gedanklich ständig, dass ich nichts vergesse. Auf Dauer geht das nicht gut. Dann schlafe ich schlecht, werde anfällig für Infekte und bin meinen Kindern gegenüber gereizt. Letztlich macht das für mich aus, alleinerziehend zu sein: ich trage für mich und meine Kinder die Hauptverantwortung. Finanziell, emotional und ganz praktisch im Alltag. Wenn ich es nicht tue oder aktiv Freunde und Bekannte um Hilfe frage, passiert schlicht nichts. Sich davon, auch gedanklich, frei zu machen, ist gar nicht so leicht. Auch wenn ich mal Zeit ohne meine Kinder habe, brauche ich mehrere Stunden, um überhaupt wieder zu mir zu kommen. Und ja, dauernd auf diese Weise unter Strom zu stehen schlaucht!
Bei meinem Bekannten, dem getrennt lebenden Vater, hört sich das ganz anders aus. „Eigentlich ist das Stressigste bei mir gerade der Job. Da muss ich schon Gas geben. Zum Glück kann ich regelmäßig Überstunden machen. Ich denke, mein Chef weiß das zu schätzen. Jedenfalls sagt er, er sei zufrieden mit mir.“
Kinder als geliebtes Extra
In der Lebenswelt meines Bekannten kommen die Kinder, wenn überhaupt, nur noch als eine Art geliebtes „Extra“ vor. Er beteuert, sie zu lieben und auch zu vermissen, wenn sie nicht bei ihm sind, aber letztlich hat er sein Leben organisiert, ohne dass sie darin mehr als die Rolle von Besuchern spielen. „Bei mir dürfen sie entsprechend auch ein bisschen mehr“, erzählt er mir: „Sie sind ja nicht so oft bei mir, da muss es dann nicht das gesunde Essen geben und kann auch mal mehr Medienzeit sein.“
Dass seine Ex-Partnerin genau diese Punkte nennt, als ich sie frage, was sie in Bezug auf ihre Kinder und deren Umgang mit ihrem Vater stört und warum sie nicht anstrebt, dass die Kinder mehr Zeit bei ihm verbringen, ist vermutlich kein Wunder: „Letztlich ist er selbst noch ein bisschen wie ein Kind“, sagt sie mir: „Auch, was die Erziehung und Alltagsfürsorge angeht. Er sieht beides eindeutig nicht als seinen Bereich an.“
Ungleiche Rollen – vom Gesetz zementiert
Eine entsprechend unreife Haltung beklagen auch in der Beziehung viele Frauen. Und der Gesetzgeber unterstützt diese Rollenverteilung nach wie vor: In der Ehe durch Ehegattensplitting und das dadurch geförderte Ein-Ernährer-Modell. Danach durch ein Unterhaltsmodell, das noch immer von einer Hauptbetreuungsperson (in 9 von 10 Fällen die Mutter) und einem zahlenden Elternteil ausgeht. Das zementiert die oft bereits vor der Trennung bestehende Ungleichheit zwischen Müttern und Vätern. Denn längst nicht immer fließt genügend Unterhalt, um Mutter und Kindern einen gleichbleibenden Lebensstandard zu gewährleisten. Um aber sich und ihre Kinder eigenständig finanzieren zu können fehlt Müttern oft schlicht die Zeit. Als Alleinerziehende brauchen sie die statt für ihre Erwerbstätigkeit eben für ihre Kinder.
Der getrennt lebende Vater, mit dem ich mich unterhalte, erzählt mir derweil amüsiert von der netten Nachbarin, die jetzt häufig für ihn mitkoche, wenn die Kinder da seien, damit die „etwas Warmes in den Bauch bekämen“. Und von der Kollegin, die auf seinen jüngeren Sohn aufpasse, wenn er bei der Arbeit länger brauche. Bei all dem ist er in den Augen seiner Bekannten der liebevolle Papa, der viel Spaß mit seinen Kindern hat, wenn sie da sind. So sieht er das selbst auch. „Meine Kinder freuen sich immer auf mich“, erklärt er: „vielleicht sogar mehr, als wenn wir täglich aufeinander hängen würden.“
Privilegiert ist, wer über Zeit, Geld und Unterstützung verfügt
Mein Fazit: Sind alleinerziehende Väter nun privilegiert? Wirklich alleinerziehende Väter sicher nicht mehr als alleinerziehende Mütter. Was Vor- und Nachteile schafft, ist erst einmal nicht das Geschlecht, sondern die Frage: Wer übernimmt im Alltag die Verantwortung für die gemeinsamen Kinder? Wer sorgt und kümmert sich? Wer hat Zeit für eine Erwerbsarbeit, wer nicht? Wirklich alleinerziehende Väter haben mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zeitnot und der Last der unteilbaren Verantwortung nicht weniger zu kämpfen als alleinerziehende Mütter (das erzählen zumindest die allein- und getrennt erziehenden Väter, die ich für einen Artikel des Familienmagazins POLA befragen durfte).
Das Privileg liegt also darin, Zeit genug für Familie, Beruf und sich selbst zu haben, Verantwortung teilen zu können und über genügend Geld für ein gutes Leben zu verfügen. Bei allen drei Punkten wird es für Alleinerziehende (egal, ob männlich oder weiblich) richtig knapp. Das schlaucht. Nicht das Mutter- oder Vatersein macht den Unterschied. Es ist, wie unsere Gesellschaft Mütter und Väter behandelt, die alleine für ihre Kinder da sind. Nämlich alles andere als privilegiert.
Nachdenkliche Grüße, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
Mehr von mutter-und-sohn.blog?
[Foto: Pixabay]
Liebe Sarah. Dieser Bekannte macht mich sauer, auch wenn ich ihn nicht kenne. Er sieht sie so selten und dann dürfen sie auch noch „mehr Medienzeit“ als normal…puh. Ich muss atmen.
LikeLike
Liebe Petra, und zugleich – das ist mir wichtig – geht es mir hier nicht um ein generelles „Väter-Bashing“ – sondern im Gegenteil um Wertschätzung und Unterstützung für alle Menschen (unabhängig vom Geschlecht), die Verantwortung für Kinder übernehmen. Egal, ob Mütter oder Väter. De facto sind das aber eben immer noch häufiger die Mütter – erst recht nach einer Trennung. Mit allen genannten Konsequenzen. Danke für deinen Kommentar!🙂
LikeLike