alleinerziehend, Gesellschaft

Solo, selbst & ständig: Was Alleinerziehende wirklich brauchen (Rezension 3/5)

Cover „Solo, selbst und ständig“ von Anne Dittmann (Kösel Verlag)


Teil 3/5 der Rezensions- und Buchvorstellungsreihe „Mütter und Gesellschaft“. Hier geht es (demnächst) zu Teil 1, Teil 2, Teil 4 und Teil 5 – inklusive VERLOSUNG!

Reizdarmfleißig. Das ist so ein Wort, das mich anspringt in diesem Buch. Nach rund hundert Seiten steht es da und bringt viel auf den Punkt von dem, was Anne Dittmanns Leben als Alleinerziehende, wie sie schreibt, lange ausmachte – ebenso wie das Leben vieler Alleinerziehender: „Also, ich war immer fleißig. Nicht auf die gute Art, sondern so, wie ich es von meiner Mutter gelernt hatte: angstfleißig. Aufsteiger*innenfleißig. Reizdarmfleißig.“ Annes Mutter war auch schon alleinerziehend. Und Anne schreibt sinngemäß: ich war ihr dankbar. Und wollte zugleich alles anders machen. 

Lektüre nachts um zwei

Dieses Buch ist tatsächlich eines, für das ich nachts aufstehe, um es zu lesen. Und das nicht nur, weil ich, selbst alleinerziehend und mit zwei Kindern, meine Arbeitszeit nicht selten auf die – endlich ruhigen – Nächte verteile. Auch, weil mich echt packt, was ich da lese. Denn es zeigt mir, was ich aus eigener Erfahrung kenne: kein Alleinerziehendsein ist wie das andere – ebenso wie kein Muttersein wie das andere ist. Es macht so viel aus, woher ich komme, wie ich gelernt habe, mit meinen Gefühlen und den Situationen, dir mir begegnen, umzugehen, wie das Verhältnis zu meinem/r Expartner:in ist und welche Ressourcen ich habe – einfach qua Geburt und Elternhaus. Und zugleich gibt es vieles, was vermutlich viele Alleinerziehende kennen. Ich will niemanden über einen Kamm scheren, aber aus einer Menge persönlicher Begegnungen – und zum Teil auch eigener Erfahrung – weiß ich: da ist fast immer die Sorge um das eigene Kind, zumindest in der ersten Zeit nach der Trennung. Die Mischung aus Erleichterung und Trauer, wenn es nicht bei dir ist, denn dann kannst du als Alleinerziehende einmal durchatmen – und zugleich schmerzt dich, dass du dafür deine Kinder wegorganisieren musst. 

Dieser Beitrag erschien auch auf der Plattform SOLOMÜTTER. Schau gern mal vorbei!

Auch die Frage: Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht alleinerziehend, bienenfleißig und am Organisieren bin? Wo bleibe ich in diesem ganzen Konstrukt aus Kind, Beruf und Alltagspflichten, das ich tagtäglich bewältige? Und nicht zuletzt die Mischung aus Resignation und Empörung, wenn du merkst: strukturell, in der Rechtsprechung, im Arbeitsrecht, bei der Vergabe von Sozialleistungen, werden Alleinerziehende oft einfach nicht – oder nicht ausreichend – mitgedacht. Einerseits in der Vielfalt der Lebensweisen und der persönlichen Voraussetzungen, die hinter dem Begriff „alleinerziehend“ stehen (bin ich beruflich gut abgesichert, weiß, aus wohlhabendem und bildungsnahem Elternhaus und engagiert sich mein/e Expartner:in für die gemeinsamen Kinder – oder nichts von alledem?) und zugleich in der ganz eigenen Stärke und zugleich Verletzlichkeit Alleinerziehender, die eben auch kulturell und strukturell bedingt ist. 

Sorge für dich selbst. Du kannst es! – Und musst es auch können

Unsere Gesellschaft traut Alleinerziehenden inzwischen zu, mit ihren Kindern eigenverantwortlich ein gutes Leben zu führen. Alleinerziehend zu sein ist – zumindest vielerorts – kein Stigma mehr. Die Mutter kein „gefallenes Mädchen“, das Kind kein „Bangert“, wie noch vor rund 60 Jahren. Die Unterhaltsrechtsreform von 2008 geht davon aus, dass Müttern nach einer Trennung die eigenständige Existenzsicherung möglich ist – und fordert das durch Wegfall des Unterhalts für den betreuenden Elternteil, sobald das Kind drei Jahre alt ist, auch rigoros ein. „Sorge für dich selbst. Du kannst es!“ So der Appell , der dahinter steht. „Du musst es können!“, so der unausgesprochene Anspruch dahinter.

Dass genau das aber keineswegs selbstverständlich ist in einer Gesellschaft, in der Frauen auch während Ehe und Partnerschaft noch signifikant weniger verdienen, mehr familiäre Fürsorgearbeit übernehmen und dadurch gravierend schlechtere berufliche Chancen und insgesamt eine geringere soziale Absicherung haben, wird ignoriert. Mitten unter uns werden Ein-Eltern-Familien ganz offen benachteiligt, ausgegrenzt und durchaus auch stigmatisiert. Und das gerade, wenn sie zu denen gehören, die tatsächlich Hilfe benötigen. Weil sie mit schlechter Ausbildung oder zu wenig Zeit (Stichwort unzuverlässiger Umgang, Stichwort fehlende Kinderbetreuung) einfach nicht so arbeiten können, dass es ihnen und ihren Kindern ein „gutes Leben“ ermöglichen würde. Weil sie konfrontiert sind mit gewalttätigen oder auch nur zahlungsunwilligen Expartner:innen. Oder einfach nur, weil sie von vorneherein nicht das dickste Stück des Kuchens abbekommen haben: als Migrant:innen, Arbeiterkinder oder einfach, weil sie Frauen sind.

Ein Buch, das unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält

93 Prozent aller Alleinerziehenden sind Frauen und Frauen verdienen auch heute in Deutschland durchschnittlich fast ein Fünftel weniger als Männer, erhalten im Alter nur halb so viel Rente und reiben sich auf im ewigen Spagat zwischen Familie und Beruf. Alleinerziehende Mütter betrifft das alles doppelt – gerade auch, wenn tatsächlich kein (Ex-) Partner da ist, der finanziell, organisatorisch und emotional mit anpacken kann. 

Anne Dittmann schreibt über das alles. Sehr persönlich. Sehr klug. Auch sprachlich wirklich beeindruckend auf den Punkt. Und vor allem gelingt es ihr, dass aus all dem kein Lamento wird. Weil sie selbstbewusst, reflektiert und kenntnisreich den Blick dafür schärft, dass ihr Bericht eben nicht die Schwierigkeiten und Erfolge einer einzelnen alleinerziehenden Mutter nachzeichnet – sondern dass wir uns als Gesellschaft darin wiedererkennen können. Wie wir mit denen umgehen, die (phasenweise) unsere Hilfe benötigen oder auch nur „reizdarmfleißig“ dafür rödeln, dass dem nicht so ist, sagt viel über uns als Gesellschaft aus. „Solo, selbst & ständig“ ist damit viel mehr als ein Erfahrungsbericht oder Ratgeber für Alleinerziehende. Es ist ein wirklich packendes Plädoyer dafür, dass wir alle endlich dort hinsehen, wo andere für uns – oder an unserer statt – sorgen. Und dass wir den Menschen, die dies tun, darunter auch Alleinerziehenden, strukturell, über Rechtsprechung und politische Entscheidungen endlich ein gutes Leben ermöglichen. Es ist Zeit!

Ein Hammerbuch – absolut lesenswert.

Cover „Solo, selbst und ständig“ von Anne Dittmann (Kösel Verlag)


Macht mit bei der Verlosung!*

Ihr könnt ein Exemplar von „Solo, selbst & ständig“ gewinnen. Kommentiert dazu hier im Blog, welche Erfahrungen ihr selbst mit dem Alleinerziehendsein oder im Kontakt mit alleinerziehenden Freund:innen gemacht habt: Was brauchen Alleinerziehende eurer Meinung nach wirklich?

Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.

Weitere spannende Bücher – mit Verlosung – findet ihr (demnächst) hier – und könnt sie bis 14.5.23 auch gewinnen!

22.04.: „Mission possible. Gemeinsam für Gleichberechtigung“ (Hrsg. Dr. Susan Niemeyer und Cornelia Wanke)

26.04.: „Flexibler Umgang mit Trennung: Unsere Erfahrungen, unsere Learnings, unser Leben!“ von Silke Wildner

10.05.: „Mit anderen Wurzeln: 40 Mütter aus aller Herrinnen Länder erzählen“ von Shirin Lausch

… und am 13.05.2023:

Unsere eigene BUCHNEUERSCHEINUNG (wird veröffentlicht im September 2023). Passend zum Muttertag dann auch mit Cover, Thema und Titel! 😊

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Ich freue mich auf dich!


[*Rechtliches rund um die Verlosung: Mit der Teilnahme am Gewinnspiel erklärt ihr euch bereit, mit Namen und E-Mail-Adresse in meinen Blog-Newsletter aufgenommen und beim Erscheinen neuer Beiträge benachrichtigt zu werden. Das Austragen aus dem Newsletter ist jederzeit möglich. Die Verlosung endet am 14.05.2023, 23.59 Uhr, der Versand der Bücher erfolgt in der Woche ab dem 15.05.2023. Die Gewinner:innen benachrichtige ich per Mail. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Danke an die Verlage für die Rezensions- und Verlosungsexemplare. Alle Beiträge dieser Reihe geben dennoch ausschließlich meine persönliche Meinung wieder. Fotos: privat.]

23 Gedanken zu „Solo, selbst & ständig: Was Alleinerziehende wirklich brauchen (Rezension 3/5)“

  1. Ich habe tolle Erfahrungen mit alleinerziehenden Freundinnen gemacht — der Dreh und Angelpunkt ist doch gegenseitiges Vertrauen, also, egal was ist, da zu sein.

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  2. Alleinerziehende Freundinnen sind für mich wichtig um überhaupt richtig verstanden und gesehen zu werden mit all meinen Gefühlen und Überforderung.
    Ich wünsche mir mehr Unterstützung von Staat und Politik. Anspruch auf Betreuungsunterhalt über das 3. Lebensjahr hinaus. Besonders weil bei den katastrophalen Betreuungszeiten es kaum möglich ist, wieder auf die Stundenanzahl vor der Geburt zu kommen. Wertschätzung meiner Arbeit, die nicht entlohnt wird vom Kindsvater, der sich nur die Rosinen rauspickt.

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  3. Stärke, Mut, Hilfe, Geduld, Halt von der Familie/Freunde, Trost, Me-Time, ……
    Man könnte das ewig fortführen.

    Ich würde mich über das Buch riesig freuen ✊🏻✊🏻

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  4. Die Buchvorstellungen passen 100%ig zu meiner aktuellen Situation und haben bestimmt wertvolle Anregungen und Tipps für mich.

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  5. Alleinerziehende brauchen vor allem auch mal Zeit für sich. Um wieder aufzutanken, sich zu erholen…. und das nicht nur einmal, sondern recht regelmäßig.

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  6. Wie schnell lebt man plötzlich in der Welt der Alleinerziehenden, steht vor Sorgen und Problemen, über die man sich vorher nie Gedanken gemacht hat oder machen musste.
    Ich danke Frauen wie euch, die quasi einige Jahre voraus sind, um Alleinerziehende wie mich in rechte Bahnen zu lenken- ob im Mindset oder im realen Leben. 🙂

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  7. Was braucht man? Eine Menge Gelassenheit, Ruhe, Flexibilität, Hirnkapazität… Aber ich denke, wie das ganze Leben, ist das Leben als Alleinerziehende/r ein Prozess, man wächst sehr über sich hinaus.

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  8. Ich bin auch alleinerziehend und ich habe festgestellt, dass Freunde wichtig sind, die bei Bedarf ein offenes Ohr haben und auch nicht böse sind, wenn man sich mal länger nicht meldet.
    Auch hat mir ganz viel Planung, Routinen und Selbstdisziplin geholfen. So bekomm ich Vollzeitjob und Kind unter einen Hut und kann meine freien Zeiten auch mal für mich und meine Hobbies nutzen.
    Allerdings finde ich auch, ohne Netzwerk, (Familie) und Hort etc., ist es nicht machbar. Leider muss man hier noch viel kämpfen. Dabei möchte man ja eigentlich seine Energie fürs Kind aufbringen und nicht, weil es wieder bürokratische Hürden gibt…. Auch nerven mich die Familienrabatte… Was ist mit den Alleinerziehenden, die keine 2 erwachsenen Personen haben (und das Einkommen)?

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  9. Ich bin Alleinerziehende und denke, man benötigt ein Maß an finanzieller Sicherheit, Resilienz und, sofern möglich, ein gutes Netzwerk (hab ich selber nur begrenzt). Am besten auch wenigstens eine Person alleinerziehend, um mit jemandem sich auszutauschen, der das alles versteht.

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  10. Meine beste Freundin ist alleinerziehend. Sie ist für viele ein Vorbild, weil sie die Situation trotz anstrengendem Job super im Griff hat. Was ihr sehr geholfen hat, war der Rückhalt ihrer Kolleginnen im Job.

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