
Als Eltern planen wir unser Leben ja oft minutiös: Erst Frühstück, dann umziehen und los zum Kindergarten. Die Abgabe für Projekt X steht übermorgen an. Heute Nachmittag könnte ich noch schnell zum Copyshop, und Wäsche waschen sollte ich auch noch… hm, das Kind hat gekleckert, aber umziehen wollte ich es ja ohnehin und zu eng will ich das nicht sehen – ach nöööö… der ganze Tisch ist voller Kakao. Bleibt doch mal still sitzen, Kinder! Das Telefon klingelt – Was? Erzieherin krank, Notbetreuung? Okay, Kind bleibt zuhause… Kommen euch Situationen wie diese bekannt vor? Der Versuch, euren Alltag zu planen und die Erfahrung, dass dann doch alles anders läuft. Eh voilà: sweet Chaos zum Frühstückstoast…
Kontrollverlust stresst
Was sich amüsant liest, kann sich in der Realität ziemlich unangenehm anfühlen – der tägliche latente Kontrollverlust des Elternseins. Spürt ihr den Impuls zu widersprechen? „Kenn ich nicht!“, „Hier läuft alles wie geschmiert?“ Nun, das freut mich! Ich kann sagen, bei uns ist das oft genug nicht der Fall. Statt dessen immer wieder das Austarieren zwischen dem, was ich mir so gedacht habe und dem, was meine Söhne, mein Partner und das Leben daraus machen. Tiere füttern im Wildpark? Unser Großer stürzt auf dem Weg zum Auto. Schürfwunde am Knie und erst einmal das Bein verarzten. Morgens noch schnell die Kinder in die Kita? Der Kleine will nicht. Tränen, Geschrei, geworfene Matchboxautos statt Betreuung. Oder auch: Abend zu zweit? Leider sind mein Partner oder ich beim Ins-Bett-Bringen der Kinder eingeschlafen. So wursteln wir uns als Familie gepflegt durch’s Chaos. Echte Herausforderungen wie Krankheit, Probleme im Job oder tiefergehende seelische Turbulenzen nicht eingerechnet.
Was also tun mit der Erfahrung, dass gerade nichts geht, wie ihr wollt?
Lasst los!
Ach, das Loslassen. Immer wieder ein guter Rat. Und eine der schwierigsten Übungen überhaupt. Lassen wir unsere Hoffnungen, Erwartungen, Vorstellungen los, wie etwas sein soll – und gehen mit dem, was ist. Wenn eure Kinder im Wildpark fünfzehn Minuten eine Schnecke beobachten statt den 14-Ender im Gehege daneben – super! Wichtig ist, dass sie Spaß haben, wobei, sei ihnen überlassen. Letzteres ist natürlich weit weniger leicht gesagt, wenn ihr euch alle auf die Füße tretet wegen unterschiedlicher Bedürfnisse: Ruhe versus Toben, Neues entdecken versus „das Vertraute ist so entspannt“. Vielleicht auch: Mutig sein wollen und gerade nicht können. Konsequent sein wollen und die Kraft dazu nicht finden. Es gibt ja genügend Situationen, in denen andere unseren Ansprüchen nicht genügen und genügend Momente, in denen wir unserem eigenen Anspruch nicht gerecht werden. Also –
Seid nicht zu streng.
Seid nicht zu fordernd. Mit euch nicht und auch nicht mit euren Liebsten. Auch das weit schwerer getan als gesagt, denn gehen wir oft nicht gerade mit denen am härtesten ins Gericht, die uns am vertrautesten sind? Weil uns keine Höflichkeit, keine Konvention, keine Furcht, den anderen zu verlieren, von harschen Worten abhält? Und weil das tägliche Chaos unsere Nerven ohnehin strapaziert? Wer gestresst ist, wird oft genau so, wie andere ihn nicht gern hätten: laut, ungeduldig, ausweichend, kontrollierend, fahrig… Also –
Seid aufmerksam. Und pragmatisch.
Wenn ihr euch dringend nach Ruhe sehnt, sorgt nicht noch zusätzlich für Streit und Unruhe, indem ihr alle anderen kritisiert. Sagt klar, was ihr braucht. Helft einander gegenseitig, zu bekommen, was ihr braucht und vergesst nicht: vor allem braucht ihr einander! Auch wenn wir uns gegenseitig vielleicht gerade dorthin wünschen, wo der Pfeffer wächst – mit unseren Kindern, unserem Partner, mit den uns umgebenden Menschen wachsen wir und werden immer wieder ein Stück weiser. Außerdem ist das Leben allein meist schlicht kein besseres. Also findet Wege, das tägliche Chaos miteinander zu meistern. Durchaus auch, indem ihr eure Grenzen klar benennt!
Was euch der (zeitweise) Kontrollverlust schenken kann.
Das Gefühl, im täglichen Miteinander unsere Kräfte als endlich zu erleben, uns gestresst und überfordert zu fühlen, ist sicher nicht angenehm. Aber es kann uns eines schenken: das tiefe Verständnis, dass das Leben selbst sich nicht kontrollieren lässt. Also befreit euch von der Illusion, dem Chaos unter allen Umständen trotzen zu müssen. Wenn wir uns ihm für den Moment ergeben, erleben wir oft, was jenseits der Kontrolle möglich ist: Lebendigkeit. Leichtigkeit. Das Leben selbst.
Herzlich, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen und Mutter eines Kindergarten- sowie eines Grundschulkindes.
Mehr von mutter-und-sohn.blog?
[Foto: privat]