Dieser Artikel wird polemisch. Ich bin müde, während ich ihn schreibe. Ab dem 14.5.2020 sollen Kindergärten und Kindertagesstätten in NRW im „erweiterten Notbetrieb“ wieder besucht werden können. Ab irgendwann Mitte Juni im noch weiter erweiterten Notbetrieb und ab September – vielleicht und insofern die Corona-Fallzahlen nicht eine, noch nicht näher definierte, Grenzmarke überschreiten – im „eingeschränkten Regelbetrieb“. Normal, d.h. verlässlich und ausreichend lang für alle berufstätigen Eltern, wird daran aber voraussichtlich noch gar nichts sein: „alle Kinder nach den Sommerferien mehrmals pro Woche“, „maximal 7h täglich“ – diverse Prognosen geistern munter durch den (Medien-) Raum. Noch Fragen?
Mal angenommen, mein Partner ist Buchhändler, ich freie Journalistin. Haben wir irgendwann in den nächsten Monaten Anspruch auf eine verlässliche, regelmäßige Betreuung unseres Kindergartenkindes? Zumindest in NRW sieht die Lage momentan düster aus. Homeoffice ist für mich schließlich easy machbar. Ein Vorschulkind ist das Kind auch noch nicht (dann dürfte es in NRW nach momentanem Stand zumindest ab dem 28.5. noch einmal regelmäßig den Kindergarten besuchen). Und leider üben wir acht Stunden pro Tag qua Definition des Landes NRW einen „nicht-systemrelevanten“ Beruf aus. Immerhin kommt trotz Stress noch Geld in die Familienkasse.
Als Studentin oder Arbeitssuchende alleinerziehend? Als Alleinerziehende in Elternzeit? Keine Chance auf einen Kita-Platz in NRW momentan, nicht mal tageweise, schließlich steht die Notbetreuung nur Alleinerziehenden zu, die einen Beruf ausüben.
Anwältin und Unternehmensberater? Anspruch auf einen Notbetreuungsplatz bereits seit dem 23.4.2020, da ich als Anwältin in „kritischer Infrastruktur“ tätig bin. Als Verkäufer im Tabakladen um die Ecke oder an der Tankstelle gegenüber übrigens auch.
Aber, wie gesagt: Notbetreuung heißt gerade, dass mein Kind auch nur exakt für die Stunden betreut wird, in denen ich arbeite. Das hält die Stellungsnahme des Landes NRW vom 7.5.2020 explizit fest: „Die Sicherstellung der Kindertagesbetreuung dient gegenwärtig noch nicht der Entlastung der anspruchsberechtigten Eltern, sondern der Notwendigkeit, den anspruchsberechtigten Eltern ihre Tätigkeit in der [als relevant eingestuften] Infrastruktur zu ermöglichen“. Arbeite ich in Randzeiten, also vor 9 Uhr oder gar am Wochenende, wird es mit der Betreuung während meiner kompletten Arbeitszeit zudem eher nichts. Das Angebot richtet sich nämlich auch nach den praktischen Möglichkeiten der Kitas. Wenn von den ohnehin nur fünf Erzieherinnen, die dauerhaft gesund sind, zwei zu einer „Risiko-Gruppe“ gehören, bleibt für die Kita-Leitung nicht viel Raum für Extras.
Private Lösung erwünscht
Private Lösungen also ausdrücklich erwünscht. Betreuungsgruppen unter Kita-Eltern und Nachbarn, oder so. Aber, – ha – der Beruf der Eltern aus dem Betreuungstandem wird „systemrelevant“, der eigene nicht: Pech gehabt. Und wie genau passe ich auf zwei weitere Kinder auf, die durch unsere Wohnung toben, während ich mein Beratungsgespräch im Home-Office zu führen versuche? Und wie passt das alles zum Infektionsschutz? Immerhin hat mein Kind für ein paar Stunden Gesellschaft.
Vielleicht können wir unsere Dreizimmerwohnung ohnehin bald nicht mehr halten. Dann hat unser Kind kein eigenes Zimmer mehr. Vielleicht entwickelt es durch den Stress der letzten Wochen eine Sprachentwicklungsstörung. Oder beginnt zu beißen. Dann darf es („beengte Wohnverhältnisse“, „Sprachförderbedarf“, „sonderpädagogischer Förderbedarf“) voraussichtlich ab dem 14.5. in NRW wieder tageweise in die Kita.
Außer natürlich, ich habe als Elternteil ganz andere Sorgen. Weil ich wirklich oft wirklich betrunken bin. Und jähzornig. Und von den Erzieherinnen in der Kita ohnehin wenig halte. Da das Jugendamt gerade überfordert ist, bleibt mein Kind noch ein paar Wochen zuhause. Ich nehme es einfach mit in die Kneipe nebenan. Die öffnet ab dem 11.5. ja wieder. Unbeschränkt.
Da lernt es vom Leben. Und betreut ist es auch.
Die Autorin ist Studienrätin und freie Autorin, momentan in Elternzeit und Mutter eines Kindergartenkindes. Eigentlich bemüht sie sich in ihren Texten um einen eher moderaten Ton. Das aktuelle Kita-Wiedereröffnungschaos stellt sie diesbezüglich vor Herausforderungen.
[Foto: Pixabay, Schrift ergänzt]
Ich bewundere jede(n), der oder die in diesem Chaos noch im Homeoffice arbeitet, ich schaffe es nicht mal meinen Blog zu pflegen. Mag ja sein, dass nicht alle Kinder so kräftezehrend sind wie meine, aber ich bin ziemlich erschöpft, vom Aufstehen bis abends um acht das hyperaktive Kleinkind, dann der Versuch in die widerstrebende, psychisch instabile Jugendliche, die Corona für eine Erwachsenenverschwörung hält, irgendwelche Lerninhalte zu kriegen. Ach ja, Teilzeit arbeite ich ja noch in einem systemrelevanten Beruf (Intensivschwester, Viertelstelle), für die Tage könnte das kleine Kind in die Kita . Das würde meine Systemrelevanz unterstützen – mir aber keine freie Minute verschaffen, stattdessen würde mir dann vermutlich ob dieser Unruhe das Kind komplett um die Ohren fliegen.
Ich weiß auch keine Lösung, nur dass ich meine Grenzen wirklich spüre.
LikeGefällt 1 Person
Danke für deinen Kommentar! Verrückt, du könntest sogar die Notbetreuung in Anspruch nehmen, aber wie es – wie ich finde, schon fast zynisch – in der Verordnung steht: „Die Sicherstellung der Kindertagesbetreuung dient gegenwärtig noch nicht der Entlastung der anspruchsberechtigten Eltern, sondern der Notwendigkeit (…) ihre Tätigkeit in der [als relevant eingestuften] Infrastruktur zu ermöglichen.“
Als Alleinerziehende erhältst du momentan in NRW, selbst wenn eine Entlastung durch die Betreuung eines Kindes dringend nötig wäre, z.B. aufgrund gesundheitlicher Schwierigkeiten, die ärztlich attestiert sind, nicht mal tageweise Zugang zur Notbetreuung. Dass diese auch dem Schutz deiner Gesundheit und damit letztlich dem Schutz des Kindes dienen würde, ist irrelevant. Alles ist nur auf die „Sicherung der Erwerbstätigkeit“ ausgerichtet. Also bleibt nur die Organisationen einer zusätzlichen, ggf. kostenintensiven, privaten Betreuung. Das finde ich in dieser Situation, ehrlich gesagt, empörend!😅
LikeGefällt 1 Person
Eine vernünftige Idee für unsere Situation habe ich selbst nicht. Sie erscheint mir verfahren und ich gebe auch niemanden die Schuld daran. Ich dachte, wir stehen das einfach durch, aber monatelang mache ich das nicht mehr mit. Man kann den Kleinen im wachen Zustand NIE aus den Augen lassen, er ist lieb und reizend aber ohne jede Impulskontrolle und deshalb schlicht unberechenbar.
Vor Monaten wurde mir vom Jugendamt noch gesagt, dass sie es nicht verantworten können, dieses Kind ohne Entlastungsmöglichkeit in der Familie zu lassen, nun geht es auf einmal gar nicht anders.
Das Kind gehört allerdings als ehemals langzeitbeatmetes Frühgeborenes selbst zur Risikogruppe, sonst würde ich ihn auf dem Ticket „hochverhaltensauffällig“ vielleicht irgendwie unterkriegen.
Ist schon eine recht spezielle Situation, für die ich niemanden verantwortlich mache.
LikeLike
Mir kam gerade die Idee: versuche doch eine Person zu organisieren, die dich zuhause entlastet (ob Babysitter, der von deinem Sohn akzeptiert würde oder eine Haushaltshilfe, die dir einen Teil deiner Arbeit abnimmt) – und stell die Kosten dem Träger, der dir die Pflegeverantwortung für dein Kind übertragen hat, in Rechnung. Ja, du hast aus freien Stücken die Verantwortung für dein Pflegekind übernommen, aber das heißt ja auch, dass du gut für dich sorgen musst, um diese unter den aktuellen Ausnahmebedingungen erfüllen zu können. Fürsorgearbeit erledigen wir Sorgetragenden ja oft „kostenlos“, bzw. lediglich mit versteckten Kosten für uns selbst. Das wäre mal ein Ansatz, den „Preis“ dieser Arbeit nach außen hin sichtbar zu machen.
LikeGefällt 1 Person
Lieb von dir, dass du dir Gedanken machst!
Ich bin via Pflegestufe finanziell gar nicht schlecht aufgestellt und das Jugendamt ist in unserem Fall sehr entgegenkommend, wenn es sein muss auch finanziell. Wirklich. Sie wissen, dass es schwer belastete Kinder sind und erkennen meine Leistung an.
Nur muss man dann noch die passenden Leute finden und das ist schwieriger als erwartet.
Die pädagogische Begleitung für die Große will/darf sich wegen Corona nur noch draußen mit ihr treffen und obwohl ich unseren Schrebergarten angeboten habe, kriegen sie es nicht hin draußen Hausaufgaben zu machen, was das schwerste zwischen uns ist.
Der Kleine hat eine tolle Babysitterin, die ich über die Pflegestufe finanziere, nun stellt sie sich als handfeste Coronaleugnerin raus, die sich an gar nichts hält und wie gesagt, der Kleine hat nicht so eine tolle Lunge und ich als Frühchenschwester will nix reinschleppen … Der Teufel ist halt ein Eichhörnchen.
Wie denn auch sei, angeblich öffnen in HH die Kitas für Vorschulkinder am Montag wieder, schauen wir mal, nach ein zwei ruhigeren Tagen und einem langen Telefonat mit der Erziehungsberatung geht es mir auch schon wieder besser, als an dem erschöpften Tag, an dem ich den Kommentar schrieb.
LikeGefällt 1 Person