Familie, Persönliches

Mini-Me oder der kleine Unbekannte – wieviel Ähnlichkeit erwarte ich von meinem Kind?

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Immer wieder einmal lese ich in Blogbeiträgen oder sonstigen Texten, dass Menschen ihren Sohn oder ihre Tochter (meist das Kind, das dasselbe Geschlecht hat wie sie selbst) als „Mini-Me“ (in etwa: „Ich in Klein“) bezeichnen. Klingt nett und niedlich. Und befremdet mich doch irgendwie.

Ähnlichkeit beruhigt

Natürlich, von Geburt an suchen wir an unseren Kinder nach Dingen, in denen sie uns ähnlich sind. Auch Verwandte und Bekannte kommentieren reflexartig: „Diese Nase, das Grübchen im Kinn, das verschmitzte Lächeln – ganz der Papa, ganz die Mama!“

Es erfüllt uns mit Stolz und beruhigt uns, wenn wir uns in unseren Kindern wiederkennen. Später, wenn sie beginnen, ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, staunen wir vielleicht und betonen: So habe ich das auch gemacht als Kind! Ich wollte auch auf die höchsten Bäume klettern. Oder: Broccoli und kratzige Socken mochte ich selbst nie.

Unähnlichkeit irritiert

Was aber, wenn wir merken, dass unsere Kinder ganz anders sind als wir, vielleicht sogar Eigenschaften entwickeln, die wir nicht besonders schätzen? War ich selbst so ein Stubenhocker? Habe ich eine Sache nach der anderen begonnen und nicht zu Ende gebracht? Und dieser Sturkopf? Auf einmal soll „Mini-Me“ uns gar nicht mehr ähnlich sein, denn diese Eigenschaften wünschen wir an uns selbst nicht zu entdecken.

Aber es muss ja nichts Negatives sein. Mein Sohn liebt z.B. alles, was mit Musik zu tun hat. Er kann sich grundsätzlich gut auf neue Situationen einstellen und wirkt auf mich oft überraschend gelassen. Und er mag Eis mit Kaugummigeschmack, je künstlicher umso besser. Trifft auf mich alles nicht zu. Wobei – mochte ich als Kind nicht auch den zuckrigen Süßkram vom Schwimmbadkiosk und wollte als Jugendliche unbedingt Klavierspielen lernen? Da ist sie wieder, die Suche nach Gemeinsamkeiten: du bist eben doch ein Stück weit wie ich, mein Kind! Oder?!

Erwartungen, die wir an unsere Kinder stellen

In meiner Schulzeit war ein Junge in meiner Klasse, bei dem ab etwa seinem zehnten Geburtstag klar war, er würde die Anwaltskanzlei seines Vaters übernehmen. Hat er, soweit ich weiß, schließlich auch getan. Aber ist es das, was wir uns für das Leben unserer Kinder vorstellen? Dass sie gewissermaßen fortschreiben, wer wir sind? Oder gar die bessere Version unserer selbst werden?

Bisschen viel verlangt für so ein kleines Wesen, oder? Mit zwei beginnt es die Welt zu entdecken, mit vier fragt es nach ihrem Sinn und rund zehn Jahre stellt es uns Eltern ebenso in Frage wie sich selbst. Unsere Kinder fordern uns heraus, weil sie uns ähnlich sind. Und weil sie ganz anders sind als wir.

Auch unsere Kinder wollen uns ähnlich sein

Umgekehrt suchen auch unsere Kinder von klein auf nach Ähnlichkeiten zwischen sich und uns. Instinktiv, wenn sie erst wenige Monate alt sind: wir strecken ihnen spielerisch die Zunge heraus und ihre Zunge, den Spiegelneuronen sei Dank, schiebt sich sofort zwischen ihren Lippen hervor. Später imitieren sie uns dann ganz bewusst („Ich bin so stark wie Papa!“, „Ich gehe zur Arbeit wie Mama“) und noch später meinen wir uns tatsächlich in ihnen zu erkennen, in der Art, wie sie den Kopf schief legen, wenn sie gebannt auf etwas lauschen oder auf eine ganz bestimmte Art die Augen verdrehen, wenn ihnen etwas nicht gefällt.

Unsere Kinder – jedenfalls unsere leiblichen – sind ja wirklich ein Stück weit „wir selbst“, dank der Biologie und unserer Gefühle, die uns mit ihnen verbinden. Umso wichtiger, dass wir daneben ihre Andersartigkeit anerkennen und zu schätzen wissen. Gelingt uns das, werden wir, wenn unsere Kinder längst groß sind, vermutlich vielfach belohnt. Weil sie sich uns nah fühlen, auch wenn sie längst ihr eigenes Leben führen. Weil wir gar nicht erst versucht haben, sie zu einer besseren Version unserer Selbst zu machen und sie sich dadurch frei fühlen und geliebt, eben so, wie sie sind: wirklich sie selbst.

Herzlichen Gruß, Sarah

3 Gedanken zu „Mini-Me oder der kleine Unbekannte – wieviel Ähnlichkeit erwarte ich von meinem Kind?“

  1. Sehr schöner Text 🙂 Unsere Töchter unterscheiden sich zum Teil ziemlich stark von uns selbst – jede auf ihre Weise. Bei kleinen Kindern ist das in erster Linie interessant und faszinierend, finde ich. Eine Belastungsprobe wird es wahrscheinlich erst, wenn sie größer sind und unsere „Fußstapfen“ wirklich spürbar verlassen.

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  2. Ich hoffe einfach, dass ich unseren Sohn grundsätzliche Werte wie z.B. Achtung für sich selbst und für andere vermitteln, bzw. vorleben kann, die er (hoffentlich) in seinem eigenen Leben nicht verneinen wird! Alles weitere ist ja erst mal offen – und das ist auch sein gutes Recht, finde ich. Als Kind begleiten wir ihn als Eltern ins Leben, als Erwachsener muss er ohnehin seinen eigenen Weg finden. Und wir müssen lernen, loszulassen… Wird sicher auch noch spannend!😉 Lg, Sarah

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