Familie, Gesellschaft

Mütter und Macht – Wie passt das zusammen?

Buchexemplar „Mütter. Macht. Politik“ von Sarah Zöllner und Aura-Shirin Riedel


Wie einige von euch wissen, habe ich Ende 2023 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Mütter. Macht. Politik. – Ein Aufruf!“ Darin geht es um gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Mütter brauchen, aber auch grundsätzlich um die Frage: Wer hat in unserer Gesellschaft das Sagen? Wer hat die Macht und wofür setzen Menschen diese Macht und damit die entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten ein?

Von „öffentlicher“ und „privater“ Macht

Bin ich – nach langer und entsprechend aufwendiger Ausbildung – Chefärztin einer Klinik, entscheide ich im Zweifelsfall über das Leben von Menschen, arbeite viel und trage hohe Verantwortung. Ich erhalte aber auch ein entsprechendes Gehalt und kann mir dadurch beruflich und privat Unterstützung finanzieren. Und mein gesellschaftliches Ansehen ist hoch. 

Als Mütter prägen wir umgekehrt maßgeblich und oft über Jahre, wie die Menschen in unserem direkten Umfeld ihr Leben gestalten können. Dadurch, dass wir für andere sorgen, Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen, können Menschen in unserem Umfeld Geld verdienen, sich erholen – oder, ganz grundsätzlich, leben. Zumindest in den ersten Lebensmonaten und -jahren hängt ja buchstäblich das Leben unserer Kinder von uns ab. Spoiler: Auch im Jahr 2024 sind wir Mütter damit zwar mächtig – aber noch immer oft nur in einem eng abgezirkelten Bereich, dem „Privaten“.

Unser Engagement schlägt sich nämlich nicht in entsprechender „öffentlicher“ Macht, in hoher Bezahlung, gesellschaftlichem Ansehen oder einem Umfeld, das wiederum uns unterstützt, nieder. Ganz im Gegenteil, sie führt zu einer regelrechten Entmachtung, bis hin zur Degradierung zur Almosen- und Befehlsempfängerin, falls wir aufgrund unserer Fürsorge für andere auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ein grundlegendes Paradox unserer Gesellschaft. 

Kapitalismus: Das Prinzip von Preis und Wettbewerb

Wir brauchen Mütter und weil wir sie und ihre unentgeltliche, unermüdliche Schaffenskraft als Gesellschaft so dringend brauchen – behandeln wir sie wie den letzten Dreck. 

Klingt widersprüchlich? Nun, nur auf den ersten Blick. Stellt euch einen Marktschreier vor, der seine Ware anpreist. Es sind sicherlich die größten, schönsten, reifsten Tomaten vor Ort, die er verkauft… Stellt euch nun umgekehrt vor, derselbe Herr sollte die Tomaten des Nachbarstandes, an dessen Einnahmen er nicht beteiligt ist, seinem Publikum empfehlen: Seine Bewertung der Ware wäre sicher weit weniger enthusiastisch.

Im Prinzip zeigt das ein grundsätzliches Problem einer Gesellschaft, die von Individualität und den Prinzipien des Wettbewerbs geprägt ist: Was mir nichts nützt, ist mir nichts wert. Und – noch perfider – worauf ich angewiesen bin für meinen eigenen Vorteil, dessen Wert muss ich klein reden. Warum? Weil sonst der Preis (für mich) steigt. 

Der Kampf um die „Pole Position“

Sehe ich also nur mein individuelles Vorankommen, meine Möglichkeit, mich in der „Pole Position“ aufzustellen – und genau darauf zielt ein Wettbewerbssystem wie der Kapitalismus ab – muss ich alle abwerten und klein halten, die mir dabei in die Quere kommen: mögliche Konkurrenz natürlich, aber paradoxerweise eben auch diejenigen, die mich heute unterstützen, denn wären sie nicht mehr unter mir und damit letztlich in meinem Machtbereich – warum sollten sie mir in einem System wie diesem zur Seite stehen? 

Das ist die Logik des Chefs, der seinen Mitarbeiter:innen gönnerhaft seine Gunst erweist und wieder entzieht, dafür, dass sie ihm durch ihre Zuarbeit ermöglichen, seinen Posten zu halten. Es ist auch das Prinzip der klassischen „Ernährerehe“, in der er bestimmt, wohin der Urlaub geht und was abends auf den Tisch kommt, denn er bringt ja das Geld nach Hause und sorgt somit für die, die wiederum für ihn sorgen. Es geht hier knallhart um Macht – und Macht(un)gleichheit.

Entwertung von Menschen, die für andere sorgen

Jede:r, der oder die versucht, dieses Prinzip zu hinterfragen – oder gar zu ignorieren – wird damit konfrontiert. Denn wer innerhalb einer solchen Struktur den Ohnmächtigen (in diesem Fall Frauen, Sorgenden, Nicht-Erwerbstätigen) die Macht gibt oder sich auch nur auf eine Stufe mit ihnen stellt – und dies öffentlich macht – der oder die muss selbst mit Entmachtung und sozialer Abwertung rechnen. 

So geht es dem „Hausmann“ oder dem männlichen „Chef in Teilzeit“, und grundsätzlich allen, die im sozialen Bereich tätig sind. Außer, sie grenzen sich wiederum geschickt von denjenigen ab, die sie zu vertreten vorgeben. Dann sprechen Geschäftsführer:innen von Kliniken, Kindergärten und  Pflegeheimen zwar wohlwollend über ihre Angestellten, hatten selbst aber oft schon lange keinen Lappen und keine Brechschale mehr in der Hand. Politiker wie Christian Lindner planen öffentlich, in der Elternzeit Bücher zu schreiben und angeln zu gehen und Ehemann Michael Müller „hilft mit“, aber natürlich nur, solange alles andere ihm Zeit dafür lässt – was er seinen Kolleginnen und Kollegen gegenüber im Job auch oft genug betont.

Was hilft gegen die nur scheinbare Gleichberechtigung?

Neben konkreten Gesetzen, die genau diese Scheinunterstützung und das scheinheilige „Ich bin wie du, habe nur zufällig ganz andere Rechte“ fördern, sind es grundlegende, historisch gewachsene Prägungen, die uns noch immer in diesem Theater scheinbarer Gleichheit bei realer Ungleichheit festhalten. Wer sorgt, wurde über so lange Zeit massiv entwertet, dass wir uns schlicht daran gewöhnt haben – und wer hat schon Lust, an die Stelle derjenigen zu treten, die „unten“ sind – erst recht, wenn die da unten so bequem dafür sorgen, dass ich „oben“ bleiben kann?

Kritisieren wir die Stellung von Müttern und Menschen, die für andere sorgen, in unserer Gesellschaft, kritisieren wir damit immer auch ein System, dass von deren Machtlosigkeit profitiert. Die Profiteure dieses Systems haben sicher kein Interesse, dieses zu verändern – es läuft ja seit langer, langer Zeit (scheinbar) rund zu ihren Gunsten.

Veränderung muss dort ansetzen, wo wir mit denen in Berührung kommen, die „unten“ sind – oder durch äußere Umstände – Krankheit, Mutterschaft, Alter – zu diesen werden. Dabei werden wir feststellen, dass fast immer noch jemand wiederum von uns abhängt: Sei es die Putzkraft, die uns im Haushalt unterstützt, die Erzieherin, die unsere Kinder betreut, unsere Kinder selbst. Hier können wir selbst einen Unterschied machen – durch faire Bezahlung, einen respektvollen Umgangston, die Prägung auf eine andere Form des Miteinanders, in der nicht das Recht des Stärkeren gilt. 

Ein neuer Weg des „Füreinandersorgens“

Es gibt aktuell starke Tendenzen, diesen neuen und anderen Weg des „Füreinandersorgens“ einzuschlagen – frau merkt es auch daran, dass, wie bei jeder echten Veränderung, parallel starker Gegenwind aufkommt und es genug Menschen gibt, die das genaue Gegenteil, nämlich selbstbezogenes Leistungsstreben, ungleiche Rechte und das Vorrecht des vermeintlich Stärkeren, propagieren. 

Als Gesellschaft stehen wir aktuell vermutlich wieder an der Schwelle zu einem Umbruch. Wohin das Pendel schlägt? Es ist noch offen. Wichtig scheint: Wir müssen eine bewusste Wahl treffen. Als diejenigen, die sorgen. Und im Namen derjenigen, die für andere sorgen. Sonst stehen wir plötzlich da und es ist keiner mehr da, der für uns sorgt – außer, wir zahlen dafür. 

Nachdenkliche Grüße, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

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[Foto: Sofia Wagner Fotografie]

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