
„Ich bin glücklich, wenn nur du glücklich bist!“, „Was du willst, ist das Wichtigste für mich!“, „Die Bedürfnisse meiner Liebsten haben oberste Priorität“. Wer kennt solche Sätze nicht, hat sie vielleicht sogar schon selbst gesagt oder aber vom eigenen Partner oder der Partnerin gehört. Ist es nicht echte Liebe, wenn wir das Wohl des anderen über unseres stellen? Nachgiebig, verzeihend, verständnisvoll? Äh… ja und nein. Warum eine Portion Selbstbezogenheit auch der Liebe gut tut, schreibe ich hier.
Nachgiebigkeit als Zeichen echter Liebe?
Selbstbezogenheit, gar Egoismus, klingt nicht schön – und ist für Partnerschaften in vielerlei Hinsicht auch tatsächlich nicht förderlich. Aber nicht alles, was der andere – oder vielleicht sogar wir selbst – als egoistisch bezeichnen, dient wirklich der Pflege des eigenen Egos. Mein Partner möchte das Wochenende mit einem Besuch im Schwimmbad beginnen, mir ist es dafür noch zu kalt. Bin ich egoistisch, wenn ich dies äußere? Und ist er es, wenn er umgekehrt auf seinem Standpunkt besteht? Sollte ich mitgehen, um seinem Willen zu entsprechen – oder sollte er umgekehrt auf seinen Wunsch verzichten?
Menschen, die als Kind selten erfahren durften, dass ihre Wünsche und vor allem Bedürfnisse von Interesse waren, tendieren hier vermutlich zu einem der Extreme: entweder zu wachsweicher (und innerlich widerständiger) Nachgiebigkeit, oder aber zu sturem Gegenhalten. Im ersten Fall geht sie mit ins Schwimmbad, verdirbt dabei aber allen durch ihre schlechte Laune die Stimmung („Ich wollte ja nicht, aber das interessiert eh keinen“). Im zweiten Fall bleibt ihm nichts übrig, als nachzugeben, will er keine mittlere Beziehungskrise provozieren, argumentiert sie doch, wenn er sie liebe, zwinge er sie bei der Kälte nicht mitzukommen.
Mehr als JA oder NEIN – als Erwachsene können wir ehrliche Lösungen finden
Dass er sie aber eigentlich gar nicht zwingen kann – und umgekehrt sie allen Spielraum hätte, eine Lösung zu finden, die ihnen beiden entspricht, geht in diesem Machtkampf unter. Statt unzufrieden nachzugeben oder aber unflexibel auf dem eigenen Standpunkt zu beharren, könnte sie ihm vorschlagen, allein zu gehen und ihn danach zuhause ausgeruht und entspannt wieder begrüßen. Und er könnte umgekehrt vorschlagen, den Besuch auf den Nachmittag zu verlegen, wo es vielleicht schon wärmer ist.
Um den Kompromiss geht es meiner Ansicht nach bei diesem Konflikt allerdings nur oberflächlich. Schließlich ist auch gar nicht immer ein Ausgleich möglich. Vielleicht ist das Schwimmbad am Nachmittag geschlossen oder sie hat einfach auch dann keine Lust?
Was tun wir, wenn unsere Bedürfnisse in einer Partnerschaft klar auseinandergehen? Wie stehen wir für uns ein, ohne den anderen zu brüskieren oder aber uns selbst zu einem faulen Kompromiss zu zwingen?
Drei Schritte zu echter Harmonie bei unterschiedlichen Bedürfnissen:
- Wir lassen unsere Vorstellung einer falsch verstandenen Harmonie beiseite: wirklich harmonisch ist eine Beziehung nicht, wenn es keine Konflikte gibt oder gar der Anspruch besteht, dass beide immer dasselbe wollen. Wirkliche Harmonie besteht, wenn beide sich in ihren Bedürfnissen gesehen fühlen und dem anderen zugestehen, dass er oder sie etwas ganz anderes brauchen und wollen kann als sie selbst.
- Was aber dann tun mit den auseinander driftenden Wünschen? Ich würde sagen: Stehen lassen. Er will dies, sie das. Beides passt nicht zusammen – so what? Zum Problem wird das Ganze erst, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse zum Gradmesser der Beziehungsqualität stilisiert wird. Oder eben die falsche Nachgiebigkeit zum Zeichen „echter Liebe“. Dann dürfte sie, wenn sie ihn „wirklich liebt“ eigentlich gar nichts gegen das Schwimmbad haben – und er müsste „aus Liebe“ auf den Ausflug verzichten.
- Wieviel fruchtbarer ist es dahingegen, wenn die Liebe die gegenseitige Verschiedenheit akzeptieren kann: Ihr ist’s zu kalt, er freut sich trotz erst knapp 20 Grad auf das Bad – nun, sie könnte an Land bleiben, später dazukommen, zuhause den Morgen genießen, nur kurz ins Wasser gehen. Er könnte umgekehrt akzeptieren, allein zu gehen oder zumindest allein im Wasser zu planschen, oder sich auf einen späteren Besuch einlassen. Alles Kompromisse, die mit der echten inneren Akzeptanz des anderen nicht schmerzen. Denn: er oder sie braucht eben etwas anderes, also unterstützen sich beide dabei, das zu bekommen, was sie brauchen. Das eigene Wohl wird ernst genommen, das des anderen aber auch.
Wenn es in einer Partnerschaft gelingt, in dieser Weise für sich einzustehen und zugleich selbstbewusst auf den anderen zuzugehen, stärkt das das WIR – viel mehr als es ein „Ich tue alles für dich (aber nichts für mich)“ je könnte.
Herzlichen Gruß und Verständnis sowie konstruktive Lösungen für eure auseinandergehenden Bedürfnisse!
Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
Die Autorin ist Lehrerin, Autorin für Familienthemen und Mutter eines Babys sowie eines Kindergartenkindes.
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[Foto: Pixabay]
Hey Sarah, es ist nie ganz einfach. Wo du das Thema Schwimmbad anschneidest … Wir haben solche Diskussionen sogar nach 15 Jahren Beziehung noch. Mein Mann kam gestern mit ins Schwimmbad – mir und den Kindern zuliebe – und hat, wie von dir beschrieben, schlechte Stimmung verbreitet, weil es ihm bei 38 Grad viel zu heiß und viel zu überfüllt war. Einen Schattenplatz haben wir auch nicht mehr bekommen. Er ging nicht einmal ins Wasser („viel zu voll!“) und ich durfte trotzdem beide Kinder allein bespaßen. Irgendwie ist es nie ganz leicht, auf einen Nenner zu kommen und wenn man lange zusammen ist, wird man oft sogar „störrisch“. Aber abends entspannte sich die Stimmung wieder bei einem Konzert im kühlen Wald, mit eiskaltem Getränk in der Hand und Unterhaltung von Bodo Wartke, der zugegeben wiederum ihm mehr als mir gefiel 😀 Beziehungen sind schon eine eigenartige Kiste.
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Danke für deinen Bericht aus dem echten (Familien-) Leben!🙂 Darüber, wie wichtig es ist, auch über weniger friedliche Momente zu sprechen, veröffentliche ich demnächst nochmal einen Beitrag: es tut einfach gut, zu lesen, dass auch andere Paare/Eltern/Familien diese typischen Konflikte kennen.
Dein Punkt, dass man in langen Beziehungen oft sogar eher „störrischer“ wird, brachte mich übrigens zum Lächeln. Ja, auch Humor wäre, bzw. ist, wirklich hilfreich – und sei es, dass beide, wenigstens nachträglich, über die eigene Dickköpfigkeit in diesen Momenten lachen können. Und eben das ehrliche Gespräch über die jeweiligen Bedürfnisse. Im Alltag müssen Entscheidungen aber ja oft rasch und im größten Trubel getroffen werden. Da dann noch in sich reinzuhorchen und echte Kompromisse zu finden ist einfach die „Königsdisziplin“ der Kommunikation – und klappt nicht immer.
Herzlichen Gruß und entspannte Momente trotz Hitze! Sarah
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