„Familie“ endet nicht mit der Trennung. Das ist in gewisser Weise ein Glück, bzw. birgt kostbare Möglichkeiten, wie ich im ersten Teil dieses Artikels beschrieben habe. Ein gemeinsames Kind, bzw. gemeinsame Kinder zu haben, kann einen dazu bewegen, gerade der Kinder zuliebe Verletzungen zu überwinden und den Streit ums „Recht haben“ nicht immer wieder neu aufzunehmen.
Andererseits bleibt der Ex-Partner – gerade durch die Kinder – immer ein wichtiger Teil des Lebens – und solange die Kinder auf die elterliche Fürsorge angewiesen sind, wird er auch nicht so leicht zu einem Teil der Vergangenheit. Im Gegenteil: Nötige Absprachen, die Begegnungen bei den Übergaben, Feiertage und Ferien, bei deren Planung die Bedürfnisse des ehemaligen Partners mit berücksichtigt werden, bewirken, dass dieser – auch nach der Trennung – noch ganz schön präsent ist.
Und selbst, wenn er oder sie sich ganz aus der Betreuung der Kinder zurückzieht oder derjenige, bei dem die Kinder die meiste Zeit leben, versucht, den Kontakt so gering wie möglich zu halten – so bleibt der ehemalige Partner oder die ehemalige Partnerin doch ebenfalls präsent – wenn auch vielleicht nur als „Leerstelle“, die Zutat, die fehlt im ‚Familiencocktail‘.
Trauer und Leichtigkeit
Ich merke, gut ein Jahr nach der Trennung von meinem ehemaligen Freund und Vater meines Sohnes, dass ich noch Spuren von „Trauer“ um unsere in dieser Konstellation nie wieder bestehende Familie in mir trage. Besonders bewusst wird mir das in Momenten, in denen ich beginne, mich als Frau wieder dem Leben zu öffnen, mich also z.B. mit einem anderen Mann zu verabreden.
Ist einfach noch nicht genügend Zeit vergangen, wenn mich das in dieser Weise (auch) traurig macht? Oder ist es schlicht der Tribut an die Tatsache, dass ich mein Leben zu einem früheren Zeitpunkt anders „gedacht“ habe und ich mich mit einem neuen Kennenlernen noch einmal deutlicher von diesem Entwurf verabschieden muss?
Und was wird sein, wenn ich irgendwann tatsächlich eine neue Beziehung eingehe, womöglich mit einem Partner, der bereits Kinder hat? Die klassische ‚Patchwork-Konstellation‘ – zwei Erwachsene, die es miteinander versuchen, mehr oder weniger leichtfüßig, mehr oder weniger befangen, dazu mehrere Kinder und die jeweiligen vorherigen Partner/innen, ggf. auch mit neuen Partnern…
Gerade schwirrt mir etwas der Kopf, wenn ich mir das vorzustellen versuche… Ist da Raum für Leichtigkeit? Einfach auch mal nur ‚zu zweit sein‘, sich kennenlernen, als Mann und Frau und auch, mit den Kindern, als Vater oder Mutter – ohne gleich den Gedanken: was wird daraus? Ist da Raum für Freude, Unbeschwertheit – und auch für Trauer? „Entmischen“ kann ich den ‚Familiencocktail‘ zwischen meinem ehemaligen Freund, meinen Sohn und mir jedenfalls nicht. Also was damit tun, dass wir immer ein Stück weit verbunden sein werden? Und dass ich vielleicht irgendwann eine neue Bindung eingehen werde?
Mixen mit Vertrauen
Vielleicht ist das Leben auch hier eine Folge kleiner Schritte. Und andererseits so schnell und umbruchartig, dass ich es gar nicht „planen“ kann!… Vermutlich muss ich meinen neuen ‚Cocktail‘ ein Stück weit einfach mischen lassen – vom Schicksal, oder, vertraue ich darauf, einer höheren Instanz. Um im Bild zu bleiben: welcher wirklich gute Barkeeper mixt allein mit dem Verstand? Die Beigabe der Zutaten nach Augenmaß, das Quentchen Zufall bei der Bemessung der Mengen – und dabei das Vertrauen, dass schon alles gut gehen wird, bzw. ich auch mit einem Scheitern umgehen könnte – hierin liegt vermutlich das Rezept jeder guten Mischung – am Tresen wie im Leben.
Liebe Sunnybee,
ich glaube, dass der Wunsch nach einer „heilen“ Familie – Mutter, Vater, Kind/er – ein sehr tief sitzender, vielleicht sogar archaischer Wunsch vieler Menschen ist. Früher war es einfach, als die Gesellschaft diese Konstellation zum Non plus ultra erkoren hat und sich jeder danach richtete. Heute ist Individualität und Verwirklichung eigener Ziele der Maßstab und damit sind alle Regeln für Familienkonstellationen aufgehoben: Alles ist möglich und wird toleriert. Es gibt nicht mehr nur ein „Wir“, sondern mit neuen Partnern, neuen Großeltern, neuen Familien plötzlich ganz vieles „Wirs“ und in jedem gelten vielleicht andere Regeln. Da einen klaren und für alle passenden Weg zu finden grenzt an eine verwirrende Sisyphosaufgabe, bei der einem tatsächlich der Kopf schwirren kann.
Wie auch immer eine solche Lösung aussehen mag, ich bin der Ansicht, dass eine Voraussetzung dafür von allen (!) aus der früheren „heilen“ Familie zwingend gegeben sein muss, und zwar Frieden. Frieden, den ich mit dem früheren Partner schließe, den ich mit den Verletzungen schließe, die mir zugefügt wurden und die ich zugefügt habe. Nach meinen Erfahrungen grenzt auch das schon wieder an eine Sisyphosaufgabe, die ich in meinem Umfeld nur selten erlebt habe. Doch wenn das gelingt, dann kann das gemeinsame Kind, die verbindende Zeit der Liebe (die es ja mal gab), die frühere Vertrautheit … eine gute Grundlage sein, eine neue feste Freundschaft aufzubauen in der es dann nicht nur um die Absprachen zum gemeinsamen Kind geht, sondern auch um Gemeinsames in einer neu gewachsenen, ganz anders gelagerten Freundschaft. Dafür muss aber eben das befriedete Alte zum Boden für das neu Wachsende werden.
Ehrlich gesagt halte ich diese heute möglichen Familienkonstellationen mittlerweile sogar in vielen Fällen für besser – auch für die Kinder – als sich verbissen an konservative, überholte Familienbilder zu klammern. Für die Kinder ist es doch viel besser, wenn die Eltern einen wohlwollenden freundschaftlichen Umgang pflegen, als wenn sie zusammen bleiben – der Kinder wegen – und Spannungen und Streit den Familiencockail alltäglich vergällen und ungenießbar, ja sogar ungesund für alle machen! In so einer friedlichen Konstellation gegenseitiger Wertschätzung kann sogar ein neues Groß-Familienleben, gemeinsame Aktionen oder Urlaub mit den neuen Partner möglich werden, vielleicht sogar gemeinsame Wohnkonzepte, was auch immer … In meinen Augen ist das der einzig sinnvolle Weg, denn Eltern bleibt man sein Leben lang und das über das Kind Verbindende hört ja auch nicht mit der Volljährigkeit auf.
Die meisten werden vermutlich zustimmen, dass wir gerne unser Leben bestmöglich planen und absichern möchten, alle Überraschungen auszuklammern versuchen. Aber „das Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen …“ beschreibt John Lennon dieses Verhalten in einem von Henry Miller geklauten Zitat. Meines Erachtens geht es nicht ohne Gott- bzw. Urvertrauen und der damit einhergehenden Gelassenheit, das alles, was passiert, schon irgendeinen Sinn haben wird. Nach meinen Erfahrungen in der Palliativversorgung gibt es eh keine Zufälle.
Bleibt mir nur noch allen die das betrifft die nötige Kraft, Zuversicht und das nötige Durchhaltevermögen dafür zu wünschen, dieses hehre aber überaus lohnenswerte Ziel zu erreichen.
Herzliche Grüße, Hanno
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