Gesellschaft, Politik

„Ach übrigens, mein Mann arbeitet für die AfD!“

Zerrissene Deutschlandfahne vor blauem Himmel


Es beginnt mit Smalltalk. Ich treffe mich mit einer Freundin und unseren Kindern. „Dein Mann hatte keine Zeit?“, frage ich. „Nein, er ist auf einer Parteiveranstaltung“, so ihre Antwort. Das weckt meine Neugier. Wie schön, noch jemand in meinem direkten Umfeld, der sich politisch engagiert! „Bei welcher Partei denn?“, frage ich etwas später. Meine Freundin zögert kurz: „Bei der AfD“, sagt sie dann: „Er arbeitet im Auftrag des Landesverbands.“

Uff… Einen Moment lang muss ich wohl sehr betreten ausgesehen haben. „Ja, er ist eben konservativ“, fährt sie fort: „Und bei der AfD sind ja nicht alle rechtsradikal. Manche haben sogar richtig gute Ansichten. Außerdem braucht er als Freiberufler den Job.“

Manche bei der AfD haben doch richtig gute Ansichten.

Mein Gehirn rattert. Was soll ich dazu sagen? Dass ich, selbst freiberuflich tätig, dennoch ganz bewusst auswähle, für wen ich arbeite? Dass ich „Sündenbock-Erzählungen“, wie sie die AfD verwendet, besch***en finde. Schlicht, weil sie am eigentlichen Problem vorbeigehen und auf Kosten von Menschen (zu) einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Dass ich Alice Weidel abstoßend finde, wenn sie in einer Rede vor dem Bundestag am 28.11.2023 suggeriert, Geflüchtete lebten bei uns im Luxushotels, nähmen Rentner:innen ihren Platz in Seniorenheimen weg und seien „Abkassierer“ des Bürgergeldes (vgl. Rede ab 4:30).

Was Weidel tut, ist bewusstes Schüren von Ressentiments gegen Menschen, die erst einmal vor allem eins brauchen: Unsere tatkräftige Unterstützung. Und JA, danach möglichst bald die Möglichkeit, hier eigenes Geld zu verdienen, sich wirklich zu integrieren, verbunden mit der klaren Forderung, dies zu tun und Konsequenzen, wenn sie es nicht tun. Nur: Integration braucht Offenheit, Unterstützung – die Möglichkeit, sich als Teil einer (neuen) Gemeinschaft zu fühlen. Das ermöglicht das Ankommen in einer Kultur, die oft ganz anders ist als es die eigene war.

Wir schieben sie alle, alle ab!“ zu grölen, wie es die AfD-Jugend bei der Wahlparty der Partei in Brandenburg tat, ist jedenfalls keine Lösung. Zu schauen, wie erreicht unser Bildungssystem endlich auch Jugendliche aus sozial schwachen Familien, schon eher. Wie erhalten junge muslimische Männer eine Perspektive, ohne einen Islamismus (nicht: Islam) für sich entdecken zu müssen, der ihnen die Unterlegenheit von Frauen und anderen Religionen suggeriert? Wie werden ländliche Regionen gestärkt? Wie über Steuer- und Arbeitsmarktpolitik echter sozialer Ausgleich geschaffen zwischen denen, die sehr viel und denen, die sehr wenig haben?

Wie reden wir mit Freunden, die ganz anderer politischer Meinung sind als wir?

Was tun, wenn mitten auf dem Spielplatz das Thema Politik auf einmal in dieser Form zur Sprache kommt? Wie damit umgehen, wenn Freunde oder gute Bekannte Parteien gut finden, die man selbst sehr kritisch sieht und offenbar für bare Münze nehmen, was ihnen deren Vertreter:innen erzählen?

„Warum wählt dein Mann nicht die CDU, wenn er konservativ denkt?“, frage ich meine Freundin. 

Die CDU sei ihren Werten einfach nicht mehr treu, so die Antwort meiner Freundin. Spätestens seit 2015, als Merkel die „Willkommenskultur“ eingeläutet habe. Es hört sich an, als sei das der Anfang vom Ende unseres Landes gewesen. „Übrigens sind viele Muslime Befürworter:innen oder sogar Mitglied der AfD“, fährt sie fort: „Sie stören sich selbst an den Ausländern, die nach 2015 nach Deutschland gekommen sind und sich nicht an die Gesetze halten. Mit denen werden sie über einen Kamm geschert.“

Wir sind nicht rassistisch, sonst wären doch nur Rassisten für uns.

Da ist sie wieder: Die krude Argumentation aus „Wir sind nicht rassistisch, sonst wären doch nur Rassisten für uns.“ Und: „Wir haben nichts gegen Ausländer, die richtigen dürfen gerne bleiben.“ Nachzuhören ebenfalls in Alice Weidels „Generalabrechnung“ mit der Ampel-Koalition (plus CDU) im Bundestag am 28.11.2023.

Vielleicht wäre an der Stelle der Verweis auf das Parteiprogramm der AfD hilfreich. Darin steht klar, dass diese die Abschaffung der Kindergrundsicherung plant und dafür niedrigere Steuersätze für Vermögende. Dass sie die Selbstbestimmung von Frauen im Rahmen von Abtreibungen beschränken will. Dass sie das dreigliedrige Schulsystem wieder einführen, bzw. erhalten will, das durch seine frühe Selektion dazu beiträgt, dass Kinder aus sozial schwachen Familien und mit wenig familiärer Unterstützung erwiesenermaßen schlechtere Chancen haben, ihren Abschluss zu machen. Sie wettert gegen Windkraft, gegen die Regularien der EU und verspricht was als Alternative? Neue deutsche Landesgrenzen, eine deutsche Leitkultur und ein „Ende der Diskriminierung von Vollzeitmüttern“, dafür Wohnzuschüsse für junge (deutsche) Menschen, die früh eine Familie gründen (Stichwort „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“). Außerdem eine Abschaffung der Gender Studies, Tierschutz und noch so manches mehr.

Als Chamäleon der Politik besetzt die AfD offensiv sowohl links-liberale als auch konservative Themen, die bisher den etablierten Parteien vorbehalten waren. Auf diese Weise sammelt sie die Selbständigen, die Wertkonservativen, die Coronapolitik-Verdrossenen, die Friedensbewegten, die Häuslebauer, diejenigen, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind und diejenigen, die eben „Ausländer raus!“ brüllen, hinter sich. Das alleine ist eine Kunst. 

Viele erwarten von den etablierten Parteien keine Lösung der Probleme mehr.

Dagegen zu argumentieren ist gar nicht leicht. Wenn der SPD-Kanzler selbst „konsequentere Abschiebungen“ fordert. Wenn die Grünen als ehemalige Friedenspartei Waffenlieferungen in die Ukraine vorantreiben. Wenn die Bildungspolitik tatsächlich im Argen liegt und Familien in der Tat mehr Wahlfreiheit und Unterstützung bräuchten. Und – das ist wohl das Wichtigste – wenn sehr viele Menschen von den aktuell regierenden Parteien offenbar nicht erwarten, dass sie daran wirklich etwas ändern werden.

Genau hier müssen Grüne, SPD, CDU, FDP und Linke ansetzen. Zuallererst bei der Frage: Wie bekommen wir das Vertrauen unserer Wähler:innen wieder? Und wofür stehen wir im Kern? Nur so bleiben sie erkennbar und damit wählbar. Die „Alternative“ für Deutschland haben wir vor der Nase. Jetzt ist es an den anderen Parteien, (wieder) zu einer echten Alternative zu werden.

“Es ist schwierig aktuell mit der Politik“, einigen meine Freundin und ich uns währenddessen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Viel mehr geht gerade nicht, zwischen Apfelschnitzeverteilen und dem Wunsch der Kleinsten, sie aufs Klo zu begleiten. Das Gespräch ist damit beendet. Ein Unbehagen bleibt.

Wie es nach unserem Gespräch weiterging, findet ihr übrigens in Teil 2 dieses Blogbeitrags. Schaut gern mal rein!

Hier zum Selbstlesen und Selbst-Informieren die Programme der wichtigsten im Bundestag sowie im Europaparlament vertretenen Parteien:

Hier Argumente gegen rassistische und antisemitische Polemik:

Nachdenkliche Grüße, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

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[Foto: Pixabay]

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