Familie, Gesellschaft

Wer Demokratie und Freiheit will, braucht Kinder, die beides erleben dürfen!

Demo-Plakat „There is no Planet B“


Triggerwarnung: Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Kinder!

Deutschland ist ein demokratisches Land. Oder? Freiheit, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit? Klingt gut. Aber – mal ehrlich – so richtig, richtig umgesetzt bekommen wir das als Gesellschaft auch im Jahr 2023 noch nicht. Außer, man hält neoliberale Politik für Freiheit, die Wahl von Müttern zwischen Altersarmut und Burnout für Gleichheit und den Reflex, im Namen bestimmter Menschen oder gesellschaftlicher Gruppen die vermeintliche „Gegenseite“ abzuwerten, für Solidarität. All das nehme ich in politischen Debatten, ebenso wie im wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Diskurs, aktuell wahr. 

Der Wunsch nach Stärke, Eindeutigkeit, „harter Hand“

Woher kommt hier in Deutschland dieser geradezu rigide Wunsch nach klarer Positionierung, nach Stärke und oft spürbar auch die Härte allen gegenüber, die anders sind oder denken als ich? 

Schaut auf die Kinder: Sie zeigen dir, wie die Gesellschaft sein wird, in der du morgen lebst. Entsprechend muss ja gelten: Wollen wir unsere Gesellschaft von heute verstehen, dürfen wir auf unsere eigene Kindheit schauen – und auf die unserer Eltern und Großeltern. Natürlich können wir Eindrücke, Prägungen, Erfahrungen aus unserer Kindheit hinterfragen, sind nicht auf ewig konditioniert, das Kind zu sein, das wir einmal waren. Davon unabhängig jedoch prägt unsere Kindheit tatsächlich in eindeutiger Weise unsere Art zu denken – und oft auch zu fühlen – auch wenn wir schon weit aus Pampers oder Matschhosen herausgewachsen sind. 

Freiheit für unsere Kinder – und für uns als Kind?

Bloggerin und Autorin Bea Beste fragte kürzlich in einem Post auf einem großen Social Media Portal: „Wie haben eure Eltern eure Freiheit eingeschränkt und was hat euch geholfen?“ Hier einige besonders bedrückende Antworten der etwa 30-50-jährigen Leser:innen: 

„Ich habe bei jedem Fehltritt Hausarrest bekommen, dufte manchmal nicht mal mein Zimmer verlassen. Mein Essen musste ich mir selber machen, durfte nicht mit am Tisch essen, sondern mir nur meine Portion holen und wieder ins Zimmer. Das zog sich bis ich 16/17 war.“

„Ich durfte nichts. Mit 15 wurde mir eine Glatze verpasst (es gibt ein Foto davon). Ich wurde geschlagen, bekam kein Essen, Secondhandkkeidung, keine Schminke, durfte manchmal nicht zur Schule, weil ich auf meine jüngere Geschwister aufpassen musste, durfte nicht an Schulausflügen teilnehmen…“

„Ich hab gemacht was ich wollte, hat eh keinen interessiert.“

„Ich durfte im Kleinkindalter nicht mit allen Kindern spielen, da die angeblich Schimpfworte benutzten. Es wurden keine Kindergeburtstage gefeiert. Als introvertiertes Kind fällt es einem dann noch schwerer Freundschaften zu schließen. Dadurch wurde ich natürlich auch nie irgendwo eingeladen.“

„Bekam öfters eine geklatscht.“

Dazwischen – auch das muss gesagt werden, unter den rund 150 Antworten, die innerhalb weniger Tage unter dem Beitrag  gepostet wurden, auch nicht wenige, die sich an Vertrauen ihrer Eltern, gegenseitiges Verständnis und tatsächlich Freiheiten im Jugendalter erinnern. 

Es gibt Menschen, die Solidarität und Gleichberechtigung leben

Für mich bildet das so ziemlich ab, was unsere Gesellschaft auch heute noch bestimmt: Es gibt Menschen, die es anders machen, die echte Solidarität, Gleichberechtigung, eine auf Wertschätzung basierende Erziehung leben. Es gibt sie sowohl unter denjenigen, die selbst ganz andere Erfahrungen gemacht haben, als auch unter denjenigen, deren Kindheit bereits wertschätzend und liebevoll verlaufen ist. 

Aber es gibt eben auch noch einen hohen Prozentsatz an Menschen in Deutschland, die als Kind oder Jugendliche physische und vor allem psychische Gewalt erleben mussten – und JA: Im Zimmer einsperren, schlagen, unter Druck setzen, den Wohnungsschlüssel wegnehmen, das ist körperliche und psychische Gewalt. „Nur“, weil sie gegen Kinder und Jugendliche gerichtet wurde, nicht weniger schlimm! Aber noch immer weitgehend unsichtbar.

Auch diese Menschen leben heute unter uns. Sie leiten Unternehmen, äußern sich öffentlich, gehen wählen, treffen Entscheidungen für sich und ihre eigenen Kinder. Viele schlagen vermutlich nicht weiter, geben vielleicht selbst keinen „Hausarrest“ mehr. Aber wie sieht es aus mit – mehr oder weniger subtilem – Leistungsdruck, dem Zwang, besser, „richtiger“, tadelloser als andere zu sein? Wie sieht es aus mit echter Toleranz anderen Standpunkten gegenüber? Mit der Offenheit, sich selbst – und auch anderen gegenüber – Fehler einzugestehen?

Fehlende Selbstliebe erzeugt Härte gegen sich selbst – und andere

Härte gegen Kinder erzeugt so manches: Anpassung und Gehorsam oder Widerstand und Rebellion – aber eben auch fehlende Selbstliebe und eine gefährliche (innere) Härte, sich selbst und anderen gegenüber

Wir sind eine Gesellschaft, in der unsere Urgroßeltern, Großeltern und Eltern Kriege erlebten – und auch wir als jetzige Eltern noch häufig in (häuslichen) Kriegen gefangen waren. Wir haben noch allzuoft Gehorsam, Gewalt und Machtmissbrauch erlebt – wie sollen wir, auch als Gesellschaft, nun „auf einmal“, in wenigen Jahren, freiheitlich, selbst-bewusst und gleichberechtigt denken und fühlen?

Die Sicherheit, es „richtig“ zu machen

Ich bin überzeugt, die Narben unserer Kindheit schlagen sich aktuell in vielen hochgekochten und polarisierenden Debatten nieder, wenn es scheinbar nur noch „richtig“ oder „falsch“ geben kann. Sie zeigen sich in den Wahlgewinnen radikaler Parteien, die einfache Lösungen versprechen und uns ein für alle mal sagen, „was zu tun ist“. Und sie schlagen sich im engsten Kreis in unseren Partnerschaften und in der Beziehung zu unseren eigenen Kindern nieder, wo das Recht auf Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung immer wieder neu zu erkämpfen ist, oft mit Vorbildern vor Augen, die uns genau das nicht vorgelebt haben. 

Wir sind als Gesellschaft eine Gemeinschaft von Kindern, die (zum Teil) noch geschlagen wurden, die gehorsam sein mussten, ihrer Freiheit beraubt wurden, wenn sie Dinge nach Meinung Erwachsener nicht „richtig“ machten. Es ist ein großer Schritt, dass wir uns – auf individueller Ebene, aber auch als Gesellschaft im Ganzen – davon emanzipieren

Der Weg zu einer fürsorglichen Gesellschaft

Es ist der Weg zu einer tatsächlich freien, fürsorglichen und gerecht(er)en Gesellschaft. Allein, vor dem Hintergrund unserer eigenen Kindheitserfahrungen wächst zumindest bei mir das Verständnis, warum wir als Gesellschaft diesen Weg nur so langsam – und oft so zögerlich – gehen. Wir sind allzu oft (innerlich) noch verletzte Kinder – wie sollen wir da, selbst erwachsen, freiheitlich, stark und ohne Angst unsere Welt gestalten? 

Break the Cycle. Für eine Gesellschaft, die Fürsorge, aber auch echte Gleichstellung, in ihr Zentrum stellt. Für eine Gesellschaft, die tatsächlich frei ist – weil die Last vergangener Erfahrungen sie nicht mehr bestimmt!

Herzlich, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

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[Foto: Pixabay]

Ein Gedanke zu „Wer Demokratie und Freiheit will, braucht Kinder, die beides erleben dürfen!“

  1. Ganz kurz hatte ich jetzt etwas Sorge, da du von „neoliberaler Politik“ schriebst. Denn aus meiner Sicht ist diese aktuelle Politik alles andere als liberal. Dass viele Menschen sich neben einer versorgenden, schützenden Hand vor allem auch Führung und Strenge/Härte gegen Andersdenkende wünschen, beunruhigt mich ganz gewaltig. Dieselben, die gegen „alte, weiße Männer“ protestieren, wünschen sich offenbar charismatische Führungspersonen, die eine Wahrheit vorgeben und jeden bestrafen, der nicht spurt. Was erhoffen sie sich davon? Orientierung, Belohnung, Anerkennung?

    Vielleicht waren wir zu verwöhnt in den letzten Jahren, vielleicht haben wir gepennt und die Politik zu viel walten und schalten lassen.

    Wen trifft es am stärksten? Die Kinder, die sich all jenem nur bedingt entziehen können – oft gar nicht. Die Jugendlichen, die sich für einen Beruf entscheiden müssen und mit der ständigen Sorge konfrontiert sind, sich aber der Umwelt zu versündigen. Denn welchen Sinn soll es haben in die Zukunft zu investieren, wenn alles schwarz gemalt und die Welt sowieso untergehen wird?

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