
Freiburg in der Schweiz führt am 1. Juli 2025 die bezahlte Freistellung bei Menstruationsbeschwerden ein. Absurder politischer Schachzug oder ein wichtiges Signal, um Vereinbarkeit in Unternehmen ganz neu zu definieren?
Mitarbeiterinnen der Stadt Freiburg in der Schweiz dürfen bei starken und regelmäßigen Menstruationsschmerzen seit Juli 2025 drei Tage bezahlten Urlaub pro Monat nehmen. Laut einer Studie der AOK leiden zwei von drei Frauen an Regelschmerzen. Bei fast jeder Fünften sind diese – zum Teil auch aufgrund der noch weitgehend unbekannten Erkrankung Endometriose – so stark, dass sie massiv in der Ausübung ihres Alltags eingeschränkt sind.
Dennoch sind die Auswirkungen des weiblichen Zyklus – oder überhaupt originär weiblicher Körperveränderungen wie Schwangerschaft, Geburt oder auch die Wechseljahre – noch weitgehend unerforscht und werden im beruflichen Kontext kaum berücksichtigt.
Gut so, sagen einige Frauen: Lange genug haben wir dafür gekämpft, als ebenbürtig mit Männern wahrgenommen zu werden. Jetzt wollen wir nicht auf unsere Biologie reduziert werden. Das bisschen Bluten bekommen wir auch noch hin. Wer jedoch mit starken Bauchkrämpfen, migräneartigen Kopfschmerzen und Übelkeit bereits einmal einen wichtigen Vortrag gehalten, dreißig Kindergartenkinder betreut oder auch einfach nur einen Arbeitstag im Büro durchgestanden hat, weiß, dass die Situation nicht ganz so einfach ist. Frauengesundheit ist eben doch relevant. Gerade auch im beruflichen Kontext.
Entsprechend argumentieren Befürworterinnen des Freiburger Gesetzesvorstoßes, dieser sei ein wichtiges Signal, um überhaupt auf Menstruationsbeschwerden aufmerksam zu machen. „Menstruationsschmerzen sind auch heute noch ein Tabuthema“, so Gemeinderätin Margot Chauderna, die den Antrag zum Gesetz stellte. Natürlich könnten Arbeitnehmerinnen auch bereits heute drei Tage ohne Attest der Arbeit fernbleiben, wenn sie Regelschmerzen hätten, aber so werde einfach klar, dass dies reale körperliche Gründe habe. „Wenn man Schmerzen hat, muss man sich ausruhen können“, so Chauderna.
Letztlich zeigt das Thema exemplarisch, wie auch heute noch im beruflichen Kontext mit körperlicher Schwäche oder überhaupt körperlichen Besonderheiten umgegangen wird. Sie wird einerseits ins Lächerliche gezogen („Du hast wohl deine Tage!“), andererseits schlicht ignoriert. Dabei belegen Zahlen, wie notwendig – und auch wirkungsvoll – Erholungszeiten und gesunde Selbstfürsorge unter anderem für die Burnout-Prävention sind.
Die medial bezeichnenderweise als „Urlaub“ dargestellte bezahlte Freistellung bei Menstruationsschmerzen dient nun gerade nicht der reinen Erholung, sondern trägt einer realen körperlichen Belastung Rechnung. Der Menstruationsurlaub wirft aber die wichtige Frage auf, ob Arbeitnehmerinnen – und natürlich auch Arbeitnehmer – tatsächlich nur dann für Unternehmen wertvoll sind, wenn sie scheinbar unbeeindruckt von ihrer Körperlichkeit funktionieren.
Tatsächlich kann es für Wirtschaftsunternehmen von konkretem finanziellen Vorteil sein,
auf die körperlichen und seelischen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rücksicht zu nehmen. Selbstfürsorge als Grundlage wirtschaftlicher Rentabilität wird spätestens dann relevant, wenn sie verhindert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus gesundheitlichen Gründen ausfallen, weil sie zum Beispiel wegen chronischer Erkrankungen dauerhaft in der Ausübung ihres Berufs eingeschränkt sind oder gleich ganz berufsunfähig werden.
In Zeiten, in denen wir gerade in frauentypischen Berufen über massiven Fachkräftemangel und Abwanderung aus den Berufen klagen, ist es somit auch aus wirtschaftlicher Sicht ein sinnvolles Signal, Vereinbarkeit nicht nur als Vereinbarkeit von Familie und Beruf wahrzunehmen, sondern viel umfassender als die Möglichkeit, die eigenen – auch körperlichen – Bedürfnisse mit den Anforderungen des Berufs zu vereinbaren.
Bezeichnenderweise machen auch hier wieder Frauen den ersten Schritt. Erst wenn wir jedoch beginnen, Themen wie eben den „Menstruationsurlaub“ oder auch Fragen rund um den Mutterschutz nicht mehr als „Frauenthema“ wahrzunehmen, eröffnen sich Perspektiven für eine grundsätzlich arbeitnehmerfreundliche und zugleich ökonomisch rentable Unternehmenskultur. Dann kann auch Kollege X, der jeden Monat von Migräneattacken geplant wird, guten Gewissens zeitweise seiner Arbeit fernbleiben und Kollege Y wird sich darin bestärkt fühlen, sein Engagement innerhalb der Familie als ebenso wichtig wie seine berufliche Tätigkeit wahrzunehmen. Zugleich werden diese Arbeitnehmer:innen sich in der restlichen Zeit ihren entsprechend flexiblen Arbeitgebern voraussichtlich umso stärker verpflichtet fühlen und sich entsprechend engagieren.
Echte Vereinbarkeit beginnt dort, wo Menschen ihr Leben außerhalb des Berufs mit ihrer Erwerbsarbeit verbinden können – auf allen Ebenen: körperlich, seelisch und sozial. Die Diskussion über Frauengesundheit ist dabei nur ein Teilbereich des großen Themas
Vereinbarkeit. Sie kann aber bewusst machen, wie relevant dieses auch für die langfristige körperliche Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und damit ihre Verfügbarkeit als zufriedene Arbeitnehmer:innen ist. Das „bisschen Bluten“ ist eben doch keine Nischenthema. Der Umgang mit der Menstruation ist wirtschaftsrelevant.
Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.
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[Foto: (C) Sarah Zöllner]
