Familie, Psychologie

Wie Kinder erfolgreich lernen – Forscher:innen versus Entdecker:innen

Kind fotografiert Blume


Kommt dein Kind in der Schule gut zurecht? Erledigt es bereitwillig Aufgaben, auch wenn sie ihm keinen großen Spaß machen? Hat es klare Ziele und strengt sich an, um diese zu erreichen? In unserem Schulsystem, wie es aktuell organisiert ist, wird es damit höchst wahrscheinlich erfolgreich sein.

Anders sieht es aus, wenn dein Kind weniger ein zielgerichtet arbeitende/r „Forscher:in“, denn ein/e lust- und interessenbetonte/r „Entdecker:in“ ist. Dann wird es wenig Sinn darin sehen, Aufgaben zu erledigen, die ihm keinen Spaß machen. Es wird sich viel schwerer tun, konsequent an einer Sache „dran zu bleiben“, zumindest, wenn es deren Nutzen nicht klar versteht. Glücklich machen kleine Entdecker:innen die Abwechslung, neue Impulse, das Unbekannte. Wochenlang Rechtschreibregeln einzuüben oder Aufgaben nach vorgegebenem Rechenweg zu lösen, gehört eher nicht dazu.

Unser Schulsystem bevorzugt bestimmte Lernformen und -typen

Ich finde es wichtig, sich bewusst zu machen, dass unser Schulsystem, wie es aktuell noch immer überwiegend strukturiert ist, nicht nur auf bestimmte Lerntypen ausgerichtet ist (es bevorzugt klar visuelles und auditives Lernen, also das Aufnehmen von Information über das Anschauen, Lesen und Zuhören), sondern auch auf bestimmte Persönlichkeitstypen, wie eben das zielgerichtet „forschende“ Kind und weniger auf das explorativ lernende Kind. 

Alle Kinder lernen übrigens erst einmal explorativ: Babys und Kleinkinder nutzen ihre Umwelt und probieren Ihre Fähigkeiten aus, indem sie sich neugierig mit ihrem direkten Umfeld auseinandersetzen. Sie experimentieren und entdecken dabei, was sie können und wie Dinge funktionieren, erst einmal ohne bewusstes, langfristiges Ziel. 

Zugleich zeigen sich bereits im Vorschulalter Persönlichkeitstendenzen: Springt dein Kind von einem Impuls zum nächsten oder vertieft es sich über lange Zeit in eine Tätigkeit? Wecken viele Dinge gleichzeitig oder kurz hintereinander sein Interesse oder fokussiert es sich klar auf ein Thema und untersucht Dinge im Detail?

Unsere Gesellschaft braucht Forscher:innen und Entdecker:innen

Unsere Gesellschaft braucht Forscher:innen, die mit langem Atem Ziele anstreben und mit Fokus und Ausdauer Neuland erschließen. Es braucht aber auch die kreativen Entdecker:innen, die mit feinem Gespür für Möglichkeiten Neues schaffen. 

Das Ergebnis ist auf den ersten Blick ähnlich: In beiden Fällen entsteht Neues. Nur entdecken die Forscher:innen es im Außen, die Entdecker:innen im Innen. 

Schule, wie sie aktuell gestaltet ist, legt großen Wert auf die Verarbeitung und Umsetzung dessen, was im Außen angeboten wird. Das Innen, was also an Impulsen und Ideen aus den Schüler:innen heraus kommt, wird dagegen oft als eher störend empfunden. Es hat seinen Platz, wenn überhaupt, in klar begrenzten kreativen Aufgaben. Im Aufsatz im Deutschunterricht, im Musik- oder Kunstunterricht, zweimal pro Woche für 45 Minuten, vielleicht zusätzlich in außerschulischen Angeboten wie der Theater- oder Kunst-AG. 

Entdecker:innen müssen schulisches Lernen erst lernen

Kinder, die (vorzugsweise) entdeckend lernen, müssen neben dem Schulstoff also eine für sie ganz neue Form des Lernens lernen, nämlich das zielgerichtete oder forschende Lernen. Es kommt ihnen verständlicherweise fremd vor, anstrengend und damit vermutlich wenig attraktiv. 

Umgekehrt sind eher forschend lernende Kinder und Jugendliche nach der Schulzeit oft relativ hilflos, wenn im „echten Leben“ ihre Selbstwahrnehmung, Kreativität und Experimentierfreude gefragt sind. Sich für einen Beruf zu entscheiden, der zu ihnen passt – wie geht das? Sich unterschiedlichen Sichtweisen zu öffnen und mit diesen zu spielen? Oder auch, sich lustvoll dem Leben anzuvertrauen und mitzugehen mit dem, was es ihnen bietet – das alles haben sie jahrelang kaum geübt. 

Dafür sind forschend lernende Menschen gut darin, klar vorgegebene Ziele anzustreben – und auch zu erreichen. Sie werden damit oft zu „Leistungsträger:innen“ unserer Gesellschaft, denn wir definieren Leistung (leider) fast ausschließlich genau so. Leider werden so strukturierte Menschen allerdings auch manchmal zu Burnoutkandidat:innen, weil sie wenig darauf achten, welche Tätigkeit tatsächlich zu ihren Fähigkeiten und Interessen passt und wie das geht: auch einmal spielerisch mit dem Leben umzugehen und einfach zu sein, statt fernen Zielen nachzujagen.

Entdecker:innen lernen dafür oft erst im Erwachsenenalter, einer Sache treu zu bleiben, auch über Durststrecken hinweg. Und sie lernen oft auch spät, die eigene Kreativität und Intuition (wieder) wertzuschätzen – ohne dabei einer gewissen Sprunghaftigkeit, die mit ihrer Entdeckerlust verbunden ist, zu sehr nachzugeben.

Leider mussten Schülerinnen und Schüler, deren Naturell eher dem explorativen statt dem zielgerichteten Lernen entspricht, auf dem Weg ins Erwachsenenalter oft schon viele Angriffe auf ihr Selbstwertgefühl erleben: Sie bekommen zu hören, sie könnten sich nicht konzentrieren, seien zu sprunghaft, nicht ausdauernd genug. Zu viel und zu wenig sind sie aber letztlich nur in einem System, dass einseitig vor allem auf eine ganz andere Art des Lernens ausgerichtet ist. 

Was tut dein Kind, wenn es ganz „bei sich“ ist?

Verzweifelst du also demnächst wieder einmal daran, dass dein Kind vermeintlich so gar keinen „Ehrgeiz“ an den Tag legt, dass ihm das klassische Ziel guter Noten und schulischer Erfolge scheinbar kalt lässt, beobachte es bei den Dingen, die es mit echter Leidenschaft tut: Welche Rollen übernimmt es im Spiel? Wo bringt es dort neue Ideen ein, gibt dadurch ganz selbstverständlich den Ton an, begeistert andere, zeigt echte Führungsqualitäten? Wo träumst es sich vielleicht auch in andere Welten, entdeckt das Wunderbare und Bemerkenswerte in jeder Kleinigkeit, schafft Neues aus scheinbar Belanglosem? Wo denkt es weiter, wo andere nur den vorgegebenen Weg suchen? Wo hinterfragt es Gegebenes? Wo ist es anders als andere und ganz zufrieden damit (solange du es sein lässt, wie es ist)? 

Entdecker:innen-Kinder kommen vielleicht in schulischen Situationen weniger gut zurecht, in denen zielgerichtetes Arbeiten, Konzentration auf eine Sache und fokussierte Aufmerksamkeit gefragt sind. Sie finden häufig im Leben aber genau dort ihren Platz, wo mitreißende Gestalter:innen gefragt sind. Menschen, die mit raschem Blick Möglichkeiten entdecken und andere dafür begeistern können. 

Du kannst dein Kind unterstützen, indem du es in seiner Freizeit genau das tun lässt – das Leben spielerisch entdecken – und schulischen Erfolg nicht zum Maßstab machst, an dem du es misst. Dein Kind zeigt dir übrigens, wie das geht, allein, weil es genau diesen Maßstab für sich gar nicht hat, bzw. nicht so stark gewichtet. Zumindest solange die Menschen, die es liebt, es nicht darüber definieren. 

Alles Gute dir, während du dein Kind genauso siehst und begleitest, wie es ist! 

Herzlich, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

Mehr von mutter-und-sohn.blog?

Ja, du willst keinen Beitrag mehr verpassen!

Auch über die sozialen Netzwerke Facebook oder LinkedIn kannst du dich mit mir vernetzen. Mehr zu aktuellen Terminen und Projekten als Autorin erfährst du über Instagram.

Ich freue mich auf dich!

[Foto: Pixabay]

Hinterlasse einen Kommentar