Gesellschaft, Politik

„Ach übrigens, mein Mann arbeitet für die AfD“ – Wie es weiter ging (Teil 2)

Zerrissene Deutschlandfahne


Wollt ihr wissen, wie es mit der Freundin weiterging, deren Mann für die AfD arbeitet? Sind wir noch befreundet? Haben wir das Thema Politik nochmals aufgegriffen? Was passierte nach dem für mich aufwühlenden Gespräch, das ich vor einigen Wochen mit meiner Freundin auf dem Spielplatz führte, während unsere Kids fröhlich um uns herum tobten?

Tatsächlich dauerte es etwa vier Wochen, bis ich das Gespräch mit meiner Freundin suchte. Zu groß war meine Irritation, groß genug aber auch mein Wunsch, die Freundschaft nicht einfach einschlafen zu lassen oder den Missklang zwischen uns zu ignorieren.

Hier könnt ihr Teil 1 des Beitrags lesen.

Schließlich haben wir uns getroffen, bewusst zu zweit, ohne unsere Kinder, um in Ruhe miteinander sprechen zu können. Zum Einstieg meinte ich: „Gerade, weil sich unsere Kinder so gut verstehen und ich dich mag, möchte ich noch einmal mit dir sprechen. Was du mir über dich und deinen Mann und eure politische Haltung erzählt hast, hat mich stark beschäftigt. Ich möchte gerne besser verstehen, was euch an der AfD so überzeugt, dass ihr den engen Kontakt sucht und sie sogar wählen würdet.“ Und ja, das war keine rhetorische Frage. Ich wollte es tatsächlich wissen.

Der Einstieg in ein echtes Gespräch 

Vielleicht war das der richtige Einstieg für das gute Gespräch, das danach folgte. Denn meine Freundin erzählte mir zuerst die übliche AfD-„Propaganda“ (LGBQ-Initiativen, die Kindergartenkinder angeblich in großem Stil mit Transideologie infiltrierten, Radwege in Peru, die aus Steuergeldern finanziert würden, etc.), aber als ich einfach nur zuhörte, kam sie zu dem, was sie und ihren Mann weit mehr beschäftigt: Die AfD und ihre Programmatik verschaffen ihr ein Gefühl der Sicherheit. Im Sinn von „Wir kehren zurück zu den guten alten Zeiten. Wir bestrafen die oder schicken die fort, die uns Böses wollen und auf Kosten der Allgemeinheit leben. Wir wollen ein Leben, in dem unsere Anstrengung sich lohnt und unser Kind unter klar einschätzbaren und geschützten Umständen lebt.“

Oh Wunder, da waren wir uns sogar einig! Sicherheit, Wertschätzung meiner Arbeit und ein gutes Leben wünsche ich mir für meine Kinder und mich auch.

Nur sehe ich es als wenig sinnvoll an, Asylsuchende deswegen als kriminell zu diffamieren oder Bürgergeldempfänger:innen als schmarotzerhaft, wie es die AfD, aber leider auch Friedrich Merz von der CDU, aktuell tun.

Was ist wahr, was Stimmungsmache?

Genau darüber begannen wir nun zu sprechen. War die „gute alte Zeit“, in der Menschen als Gastarbeiter:innen nach Deutschland kamen, für diese tatsächlich so rosig? Wurden sie in den 1950er bis -70er Jahren nicht eher als billige Arbeitskräfte benutzt, immer mit der Perspektive, dass sie bald wieder gehen würden? Wurde echte Integration, z.B. in Form von Alphabetisierungs- oder Sprachkursen, deswegen als nicht besonders wichtig erachtet und genau dadurch die Grundlage für die Parallelgesellschaft der zweiten und dritten Generation gelegt, die uns mancherorts in Deutschland nun um die Ohren fliegt? Sind unsere heutigen Probleme also vielleicht weniger Schuld der „bösen“, neu zugezogenen, Migranten:innen, als der Migrations-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik der vergangenen 60 Jahre? 

Ähnliches bei der Gesundheits- und Sozialpolitik. Jahrzehntelang wurden Gelder der gesetzlichen Krankenkassen fehlgeleitet bis verprasst, z.B. indem Ärzte noch in den 1990er Jahren wochenlange kostspielige Kuren auf Krankenversicherungskosten genehmigten, zum Teil ohne echte medizinische Indikation. Oder indem Medikamente auf Kassenrezept nach dem Prinzip „viel hilft viel“ verschrieben und Mediziner von Pharmaunternehmen mit üppigen Geschäftsreisen für die Empfehlung teurer Medikamente gewonnen wurden – kein Wunder, fehlt nun überall das Geld. Aber auch der heutige Fokus auf die Rentabilität der Kliniken und Praxen als „Wirtschaftsunternehmen“, die sich vor allem rechnen müssen, schadet der Gesundheitsversorgung. Zwei Extreme, die weit weg sind von dem, was die Menschen wirklich brauchen.

Wir sprachen auch darüber, warum sich so viele Menschen in Deutschland von den etablierten Parteien so offensichtlich unverstanden und in ihren Anliegen nicht gesehen fühlen. Dass Politik auf Bundesebene häufig abstrakten Vorstellungen folgt, die mit dem, was die Menschen vor Ort beschäftigt, nur wenig zu tun haben. Was bringt es, wenn der Einbau von Wärmepumpen subventioniert wird, kaum einer aber das Geld oder den Platz hat, sie zu installieren? Oder wenn genderbewusste Aufklärung auf dem Lehrplan in Kitas steht, Eltern aber darum kämpfen müssen, dass ihre Kinder überhaupt betreut werden?

Ist eine Partei wählbar, die Rechtsradikale in ihren Reihen akzeptiert?

Ebenfalls Thema waren die offen Rechtsextremen in der AfD. Laut Aussage meiner Freundin wollten sich die „gemäßigten“ Mitglieder der Partei von diesen sogar distanzieren. Meine Nachfrage: Warum tun sie es dann nicht laut, deutlich und öffentlich?! Warum ist Parteichefin Weidel an dieser Stelle nicht ebenso klar, wie bei ihren sonstigen markigen politischen Statements? Rechte raus aus der AfD! Dann könnte diese tatsächlich eine wählbare, rechtskonservative Alternative zur CDU werden. Aber so?

Pinkle ich in ein Glas Wasser, wäre ich schön blöd, es danach auszutrinken, so sinngemäß Komiker Hape Kerkerling.

Die Rechten in der AfD sind Stimmenfänger der Partei (gerade im Osten Deutschlands) und damit offenbar nicht leicht verzichtbar. Aber rechtfertigt das, sie in der eigenen Partei zu akzeptieren?  Was für ein Licht wirft das auf die Partei im Ganzen? Wie glaubwürdig ist sie dadurch in ihrer Aussage, nicht rechtsradikal und rassistisch zu sein? 

Ich merke, dass meine Freundin meiner Argumentation interessiert und nach und nach auch mit einer Spur Nachdenklichkeit folgt. 

Wie geht es weiter? Wir bleiben im Gespräch!

Was wird daraus? Zumindest haben wir uns diesmal keine Schlagworte um die Ohren geworfen. Und wir haben einander zugehört. Wir gehen auseinander mit dem Gefühl, der anderen als Mensch weiterhin Wertschätzung entgegenbringen zu können. Auch wenn unsere politische Haltung in Teilen stark unterschiedlich ist. 

Was für mich das Aus unserer Freundschaft bedeuten würde, wäre, wenn meine Freundin selbst rassistisch, sexistisch oder homophob denken würde. Das tut sie, wie ich es nach dem Gespräch wahrnehme, aber tatsächlich nicht. Dennoch folgt sie einer Partei, die rassistische, sexistische und homophobe Propaganda betreibt.

Warum sie das tut, ist jetzt für mich etwas besser verständlich. Sympathischer macht es mir das Ganze nicht. Aber vielleicht braucht das für den Moment auch gar nicht der Fall zu sein. 

Eure Meinung interessiert mich!

Wie hättet ihr dieses Gespräch geführt? Wart ihr schon einmal in einer solchen Situation? Vielleicht auch mit anderem Ausgang? Wie immer freue ich mich auf eure Kommentare und Bemerkungen!

Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner

Die Autorin ist freie Journalistin, Autorin für Familien- und Gesellschaftsthemen sowie Mutter eines Kindergarten- und eines Grundschulkindes.

💡 Tipps für einen echten Dialog – auch zu kritischen (politischen) Themen: 

  • Ich höre zu und will verstehen, was dich zu deiner Meinung bewegt.
  • Ich erkläre dir, was die Gründe für meinen Standpunkt sind. 
  • Wir nehmen wahr, worin wir uns unterscheiden.
  • Wir nehmen wahr, worin wir uns einig sind.
  • Wir sprechen respektvoll und wertschätzend miteinander. Das bedeutet auch, die Meinung des anderen grundsätzlich zu akzeptieren, ohne ihn oder sie bekehren zu wollen. 
  • Wir finden heraus, wie wir gemeinsame Ziele konkret umsetzen können.

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3 Gedanken zu „„Ach übrigens, mein Mann arbeitet für die AfD“ – Wie es weiter ging (Teil 2)“

  1. Chapeau. Ich finde es sehr gut und richtig, wie du das aufgezogen hast. Mit mir wirklich nahestehenden Menschen brauchte ich solche Gespräche bisher nicht, ich habe bei entfernteren Bekannten versucht, ähnlich sachlich, wenn auch nicht so detailliert, zu argumentieren. Ob es von Erfolg gekrönt war, weiß ich nicht.
    Aber ich vermute auch stark, dass eine solche Vorgehensweise vor allem in einem Umfeld funktioniert, in dem beide Gesprächspartner wissen, dass sie einander wichtig sind.

    Vor allem zeigt mir dein Beispiel aber, dass auf einer persönlichen Ebene der Gesprächsfaden nicht abreißen darf, in einem größeren Kontext allerdings auch eine scharfe Grenzziehung notwendig ist – vor allem von den Konservativen im Lande.
    Danke für den ermutigenden Beitrag und einen schönen Sonntag.
    Grüße von Anja

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    1. Danke für die Rückmeldung. Ich bin auch erleichtert, dass es ein solches Gespräch möglich war! Und ich sehe eine klare Bekenntnis zu den Grundwerten unserer demokratischen Gesellschaft UND den wertschätzenden Dialog als den Weg, der uns durch diese gesellschaftspolitische Krise führt. Ich hoffe sehr, das wird endlich auch auf (bundes-)politischer Ebene erkannt!

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