Gesellschaft, Persönliches

Dank sei meiner Stadtbücherei! Was ich heute über Vertrauen lernte

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Seit gut zwei Jahren versorgt die Stadtbücherei unseres Viertels meinen Sohn und mich regelmäßig mit „Stoff“: Nachschub für unsere abendlichen Vorlese-Sessions. Ohne diese großartige Institution hätten wir Kleinode wie Krokodrillo oder Philip und sein Fluss nicht entdeckt und das Kinderzimmer meines Sohnes würde inzwischen vor neu gekauften Büchern aus allen Nähten platzen. Jawohl, ich schätze unsere Bücherei sehr. Sogar hier im Blog habe ich ihr schon einmal einen Artikel gewidmet.

Und dann diese Mail – 

Sehr geehrte Frau …, unmittelbar nach der Rückgabe kontrollieren wir alle Medien. Dabei haben wir festgestellt, dass beim von Ihnen zurückgegebenen Buch XY die ersten Seiten zusammenkleben. So können wir das Buch leider nicht weiter verleihen. Es muss deshalb von Ihnen ersetzt werden. Bitte bringen Sie das Ersatz-Medium in die Zweigstelle. Bis zur endgültigen Klärung muss Ihr Ausweis leider gesperrt bleiben.

Autsch… Verblüfft starre ich auf den Bildschirm. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie diese verklebten Seiten zustande gekommen sind. Jedenfalls sind sie mir nicht einmal beim Vorlesen aufgefallen.

Nun ja, zwei Telefonate und einige Tage später stehe ich persönlich in der Bibliothek, um mir das besagte Buch anzusehen; mir gegenüber die wirklich freundliche Leiterin der Filiale, der das Ganze auch nicht recht zu sein scheint.

Ist das Buch verklebt? Absolut. Die ersten zwei (Papp-) Seiten lassen sich gar nicht mehr voneinander lösen. 

Kann ich mich daran erinnern, selbst die Seiten verklebt, z.B. Saft darüber geschüttet zu haben, oder fällt mir eine Situation ein, in der dies meinem Sohn passiert sein kann? Keinesfalls. 

Und warum ist mir das Ganze dann nicht aufgefallen?! Das frage ich mich tatsächlich selbst. Am wahrscheinlichsten erscheint mir die Antwort, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass das Buch erst ab Seite 3 lesbar war. Aber selbst daran kann ich mich nicht mehr mit 100% Sicherheit erinnern. 

Tja, und so stehen wir uns da im Foyer der Bücherei gegenüber, die nette Leiterin und ich. Ich beteuere sinngemäß „Ich war’s nicht“, sie beteuert, dass sie sich nicht erklären könne, wie mir der Schaden beim Lesen nicht aufgefallen sein könne. Ich stimme ihr insgeheim zu und werde fast unsicher, ob ich ihn womöglich in einer Art abendlicher Halbtrance nicht doch verursacht habe. 

„Sei ehrlich!“

So müssen sich unsere Kinder fühlen, wenn wir sie mit liebevoller Strenge fragen: Hast du das letzte Stück Buttertoast gegessen, deine Hose zerrissen, den Knopf an der Lampe abgebrochen? Wir sind uns ja meist so sicher – wie vermutlich die Bibliothekarin heute auch – den Schuldigen vor uns zu haben. Und dann sagen unsere Kleinen: „Ich war’s nicht!“ 

Denken wir dann, sie lügen? Fragen wir vielleicht: „Denk nochmal gut nach: ist dir das wirklich nicht passiert?“ „Warst du’s wirklich nicht?“ Und natürlich mahnen wir: „Sei ehrlich!“

Tja… dort in der Bibliothek bin ich ehrlich – und trotzdem nicht sicher. Und die Dame mir gegenüber meint schließlich auch nur: es sei wahr, im Nachhinein könne sie nichts beweisen. Mir ist klar, ich auch nicht. Wirklich überzeugt gehen wir zunächst beide nicht auseinander. Aber sie erklärt sich bereit, meinen Ausweis zu entsperren, ohne dass ich das Buch bezahlen muss. 

Tja, und wie ist das, wenn die Aufrichtigkeit sich ganz schön unsicher anfühlt? Und das, ohne dass ich mir de facto einer Schuld bewusst bin? Da kommen wohl die, mit nachsichtiger Strenge geäußerten, (Eltern-) Fragen meiner Kindheit zum Tragen. Und so bin ich schon fast bereit, das Buch zu bezahlen. Aber das käme wiederum einem Schuldeingeständnis gleich. Wohl als goldene Brücke bietet die Leiterin mir an, der Bibliothek bei Gelegenheit eine Bücherspende zukommen zu lassen. Ich erkläre mich gern dazu bereit und versichere, ab sofort bereits beim Ausleihen auf etwaige Schäden zu achten.

Wir gehen im Guten auseinander. 

In Zukunft aber schaue ich vermutlich noch genauer hin, wenn irgendwo von „eindeutigen Fakten“ und „klarer Sachlage“ die Rede ist. In dubio pro reo – was das Strafrecht für die großen Sünder vorsieht, mag uns im Einzelfall ungerecht und als „zu lax“ erscheinen. Vermutlich ist es aber vor allem eins: ziemlich weise und für das Zusammenleben von uns (fehlbaren) Menschen essentiell. Misstrauen schürt Angst, Vertrauen schafft Verbundenheit. Ich jedenfalls wusste letzteres bei dieser Gelegenheit sehr zu schätzen!

Wie hättet ihr an meiner Stelle reagiert? Wie an Stelle der Bibliothekarin? Könnt ihr euch an Situationen erinnern, in denen ihr dankbar für das Vertrauen anderer wart? Wenn ihr mögt, schreibt gern einen Kommentar!

Herzlichen Gruß, Sunnybee

[Foto: Pixabay]

2 Gedanken zu „Dank sei meiner Stadtbücherei! Was ich heute über Vertrauen lernte“

  1. Ich wäre vermutlich erstmal total überfordert gewesen und hätte mich super geärgert und auf das ganze System geschimpft. Man gibt die Bücher ja nicht mehr bei Menschen ab, deswegen vertraut man dann dem System und kann im Grunde nicht nachweisen, dass man unschuldig ist… Schön, dass es sich bei dir dann so klären ließ. Trotzdem fühlt man sich wahrscheinlich sehr unwohl – zumal direkt die Karte gesperrt wurde? Das würde ich in jedem Fall arg übertrieben finden, denn man zahlt ja für den Service.

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    1. Liebe Nadine,
      ja, ich war definitiv auch wütend und perplex, als ich die Benachrichtigung bekommen habe, aber da wir dort schon jahrelang zufrieden unsere Bücher ausleihen, wollte ich das Ganze ohne „bitteren Beigeschmack“ über die Bühne bringen. Auch in dieser Bücherei ist das Abgeben der Bücher übrigens nur noch vollautomatisch möglich und ich finde, hier zeigt sich, dass der Verzicht auf menschliche Arbeitskraft durchaus seine Tücken haben kann!😅
      Liebe Grüße, Sunnybee

      Gefällt 1 Person

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