Gesellschaft, Persönliches

Der Kuss. Oder: kleine Lektion in Toleranz in Niederbayern

Zwei Jugendliche von hinten

Fahrt mit der Regionalbahn. Ein junger Mann steigt aus. Auf dem Bahnsteig begrüßt ihn sein Freund. Die beiden küssen sich. Innig. Ausdauernd. Sie scheinen nichts um sich herum wahrzunehmen.

Einer der beiden bleibt am Bahnhof zurück, der andere steigt wieder in den Zug, setzt sich auf den Platz des anderen. 

Was wohl in den Köpfen der Passagiere vorgeht, die die Szene beobachtet haben? 

Ich selbst fühle Dankbarkeit, in einer Gesellschaft zu leben, in der zwei junge Menschen so offen ihre Liebe zeigen können. Auch wenn sie zwei Männer sind. Ich denke, dass es Länder gibt, wo das nicht einmal für einen Mann und eine Frau möglich wäre.

Ich denke auch, dass gerade die älteren Männer im Abteil diese Begegnung vielleicht mit gemischten Gefühlen beobachtet haben. Weil es eben zwei junge Männer sind. Oder einfach, weil ein Kuss im öffentlichen Raum etwas ist, dem man zusehen will und von dem man zugleich diskret den Blick abwenden will, um die Intimität des Augenblicks nicht zu stören. Weil so offen gelebte Zärtlichkeit selten ist. 

Auch ich bin fasziniert und spüre zugleich den Impuls, nicht stören zu wollen. Und ich frage mich: Ist es nicht zu forsch, fast unverfroren, seine Liebe so öffentlich und physisch zu präsentieren? Oder fehlt mir dazu nur selbst die Unbefangenheit?

Allen, die in diesem Land auf intellektueller und damit letztlich abstrakter Ebene über die Rechte queerer Menschen sprechen, über Grundrechte, über den Wert unserer Demokratie – all denen möchte ich zurufen: Das war ein Moment, der mir zeigt, wofür ich mich in dieser Gesellschaft engagiere. 

Dafür nämlich, dass ein zärtlicher, intimer Moment wie dieser genau das sein darf: Ein Augenblick zwischen zwei Menschen. Der nicht allen gefällt, den vielleicht nicht alle „passend“ finden, dort auf dem Bahnsteig – aber der dennoch sein darf. Einfach so.

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[Foto: Unsplash]

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